Ökozid in der Ukraine "Im Schwarzen Meer sind Tausende Delfine verendet"
27.06.2024, 18:38 Uhr Artikel anhören
"Sonare russischer Schiffe könnten Delfintode durch Störung ihres akustischen Systems verursacht haben," so der Wissenschaftler Ivan Rusev.
(Foto: privat)
Russlands Krieg gegen die Ukraine richtet sich gegen das Land und seine Menschen. Aber auch Tiere und Natur leiden unter den russischen Angriffen. Das Ausmaß der Zerstörung der biologischen Vielfalt in den Nationalparks hat bereits ein kritisches Ausmaß erreicht. Der Tuzly-Lagunen-Nationalpark in der Region Odessa ist das einzige Schutzgebiet im Süden der Ukraine, das nicht von den Russen besetzt wurde. Aber auch dort sind die Auswirkungen des Kriegs dramatisch, wie der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Naturparks, Ivan Rusev, im Interview mit ntv.de sagt.
ntv.de: Der Tuzly-Nationalpark ist nicht von den Russen besetzt, aber für Besucher geschlossen, richtig?

Ivan Rusev ist Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des Tuzly-Lagunen-Nationalparks.
(Foto: privat)
Ivan Rusev: Ja, aber wir sind der einzige Nationalpark in der Ukraine, dessen Mitarbeiter tatsächlich noch arbeiten können, die sich in ihrem Gebiet aufhalten und Informationen über die Auswirkungen des Krieges sammeln können. In anderen Parks leben unsere Kollegen entweder unter der Besatzung oder sind geflohen. Allerdings sind uns wegen der Minen von den 44 Kilometern Küste, die vom Park überwacht werden, nur sechs Kilometer geblieben.
Mit wem arbeiten Sie im Park?
Wir haben 45 Mitarbeiter, aber nach dem Beginn der Invasion gingen einige nach Europa, und einige wurden zur Armee eingezogen. Deshalb sind wir derzeit 30. Es herrscht ein echter Personalmangel, vor allem an Männern, die früher als Wachleute tätig waren. Seit Beginn des Krieges sind sechs Inspektoren in den Krieg gezogen - einer wurde getötet, einer wird vermisst. Wir haben nicht genug Inspektoren, um die Natur zu schützen. Deshalb arbeiten wir mit Freiwilligen zusammen, auch mit der Wasserschutzpolizei, die ebenfalls für die Überwachung des Gebiets zuständig ist. Aber das Gelände ist groß, deshalb wird es auch vom Militär bewacht. Und wir haben geflüchtete Wissenschaftler aus Mariupol aufgenommen, die nach der russischen Besetzung gezwungen waren, den dortigen Meotida-Nationalpark zu verlassen.
Welche Folgen hat der Krieg für den Tuzly-Nationalpark und das Schwarze Meer?
Schon kurz vor der Invasion haben wir russische Schiffe im Schwarzen Meer gesehen, die ein starkes Sonar einsetzten. Das hat das Meeresleben beeinträchtigt. Unser Park wurde bombardiert, was Vogelhabitate zerstörte und Zugvögel vertrieben hat. Nachts fliegen russische Drohnen über den Park, die problematisch für Vögel sind, insbesondere für Flamingos, die voriges Jahr erstmals in der Ukraine nisten. Durch Drohnenangriffe ausgelöste Feuer in unserem Park haben Insektenpopulationen und Pflanzen zerstört, die für Zugvögel wichtig sind. Solche Ereignisse dokumentieren wir.
Und wie funktioniert das im Meer?
Seit Kriegsbeginn überwachen wir die Schwarzmeerküste und insbesondere die Delfine. Viele Tiere sind tot angespült worden. Wir haben sie untersucht, sie zeigen keine Spuren von Verletzungen - ihr Tod ist also keine Folge von Wilderei. Ihre Unversehrtheit deutete auf Kriegsauswirkungen hin. Vermutlich haben Sonare ihr akustisches System geschädigt, was zu Orientierungsverlust und Tod führt. Tausende Delfine sind seit Kriegsbeginn verendet. Glücklicherweise ist die Zahl der toten Delfine in diesem Jahr zurückgegangen, was wir darauf zurückführen, dass die Russen den nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres nicht mehr kontrollieren.
Ist es möglich zu berechnen, wie viel Schaden die Natur des Parks bereits genommen hat?
Nein, das kann ich nicht sagen, wir zählen nur und geben dem Umweltministerium Informationen. Aber es sind große Verluste. Bei den Delfinen stellt sich angesichts der vielen toten Tiere schon die Frage, wie man die Population dieser Tiere in der Zukunft wiederherstellen kann. Ohne sie wäre das Schwarze Meer einfach tot.
Gibt es eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf den Ökozid in der Ukraine?
Bisher hat es keine große Reaktion gegeben. Diese Verbrechen sind schwer zu beweisen. Um dies zu beweisen und Unterstützung zu bekommen, verbreiten wir Informationen in verschiedenen Foren, bei ausländischen Experten und Gemeinschaften, auch beim NABU in Deutschland, wo ich über die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die Natur in der Ukraine berichtet habe. Wir haben erhalten solche Unterstützung aus der Türkei, aus Rumänien und Bulgarien. Es gibt übrigens auch russische Forscher, die zu dem Thema publiziert haben.
Was sagen die?
Russische Forscher bringen das ungewöhnliche Sterben von Delfinen in den Buchten von Sewastopol auf der Krim mit Infektionskrankheiten in Verbindung, nicht mit dem Krieg. Als Experte mit 30-jähriger Erfahrung in Infektionskrankheiten widerspreche ich dem. Delfine sind auch Träger von Viren und Bakterien, aber auch Stressfaktoren infolge von chemischer, Strahlen- oder Sonarverschmutzung können Krankheiten auslösen und zum Tod führen. Das Hauptproblem sind die Auswirkungen von Sonaren oder Bomben, die oft Gehirnerschütterungen bei Delfinen verursachen. Auch Signale, die vor Sewastopol und Noworossijsk zum Schutz vor ukrainischen Drohnen eingesetzt werden, bedrohen das Leben im Schwarzen Meer.
Haben Sie Kontakt zu russischen Umweltschützern?
Nein. Ich hatte früher viele Kollegen in Russland, mit denen ich korrespondiert und einige Zeit lang in der Forschung gearbeitet habe. Jetzt habe ich alle Kontakte abgebrochen. Zu Beginn der großangelegten Invasion habe ich ihnen Briefe geschrieben, in dem ich sie um Unterstützung für die Ukraine bat, aber ich bekam entweder keine Antwort oder einige antworteten, dass sie Angst hätten, etwas zum Ukraine-Thema zu schreiben.
Glauben Sie, dass die Ökosysteme der Ukraine wiederhergestellt werden können, wenn der Krieg vorbei ist?
Wir werden um internationale Unterstützung werben müssen und sind bereits in Gesprächen mit verschiedenen Partnern, um die Flussmündungen zu entminen. Außerdem arbeiten wir daran, ein großes Meeresschutzgebiet für Wal- und Delfinarten zu schaffen, zu dem auch das Gebiet um die Schlangeninsel gehört. Das wäre ein wichtiger Schritt für die Wiederherstellung des Meereslebens nach dem Krieg, auch um große Gebiete des Schwarzen Meeres vor Wilderern zu schützen. Unterstützt werden wir dabei von der britischen Organisation Blue Marine Foundation. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass die Ukraine in der Lage sein wird, den Ökozid nachzuweisen. Dann muss Russland Entschädigungen zahlen.
Mit Ivan Rusev sprach Maryna Bratchyk
Quelle: ntv.de