Verfassungsschutz warnt Russland fährt Sabotage hoch - auch in Deutschland
26.07.2024, 15:12 Uhr Artikel anhören
Im Mai brannte es in einer Berliner Fabrik des Waffenherstellers Diehl - womöglich ein Beispiel für russische Sabotage im Ausland.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Verfassungsschutz sieht eine "erhöhte Gefährdung" durch russische Saboteure. Putins Geheimdienste könnten in Deutschland Agenten für Brandanschläge rekrutieren - ohne dass diese wissen, für wen sie arbeiten.
Es ist eine eindringliche Warnung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz ausspricht: Russland plane Sabotageakte auf deutschem Boden, es gebe "vermehrt Hinweise auf mögliche Aktivitäten in Deutschland". So steht es in dem neuen Sicherheitshinweis, den der Nachrichtendienst am Freitag veröffentlicht hat. Insbesondere Anwerbeversuche von Handlangern durch russische Geheimdienste bereiten dem Verfassungsschutz Sorgen.
Dass Deutschland im Visier russischer Geheimdienste steht, ist spätestens seit dem sogenannten Tiergartenmord 2019 bekannt, als ein Russe in Berlin einen Georgier erschoss, mutmaßlich im Auftrag des russischen FSB. Der nun veröffentlichte Hinweis unterstreicht, für wie groß hiesige Sicherheitsbehörden die Bedrohung durch russische Agenten und Handlanger mittlerweile halten. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Vor welchen Gefahren warnt der Verfassungsschutz?
Der Verfassungsschutz warnt vor Brandstiftung und Vandalismus im Auftrag russischer Geheimdienste. In Gefahr seien "Objekte, die einen Bezug zur militärischen Unterstützung der Ukraine aufweisen", also etwa Produktionsstätten von Waffen oder Lagerhallen für Ukraine-Lieferungen.
Es könnten aber auch Orte Ziel russischer Anschläge werden, die nicht im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg stehen. Durch Sabotageakte und Brandanschläge wollen die russischen Dienste "Verunsicherung und Angst in Politik und Öffentlichkeit" auslösen, glaubt der Verfassungsschutz.
Im europäischen Ausland sind in den vergangenen Monaten mehrere Brandanschläge bekannt geworden, hinter denen örtliche Behörden russische Geheimdienste vermuten. Im März brannte im Osten Londons ein Warenhaus, in dem Güter für die Ukraine lagerten. Einen Monat später wurden vier Briten wegen Brandstiftung angeklagt, zwei von ihnen sollen im Kontakt mit einem russischen Geheimdienst gestanden haben und von ihm bezahlt worden sein.
Mitte Mai wurde offenbar auch ein Shoppingcenter in Warschau zum Ziel von Brandstiftern. Laut dem polnischen Premier Donald Tusk könnten daran russische Dienste beteiligt gewesen sein. Die Untersuchung der Brandursache dauert an.
Wer steht im Fokus der Anwerbeversuche aus Russland?
Nicht jeder, der für einen russischen Geheimdienst arbeitet, wisse von seinem tatsächlichen Auftraggeber, heißt es beim Verfassungsschutz. Denn bei der Anwerbung von Handlangern geben sich Agenten nicht zwangsläufig als solche zu erkennen. Insbesondere Mitarbeiter von Unternehmen, die kritische Infrastruktur betreuen, also etwa Stromversorger, Krankenhäuser oder Bahnbetreiber, sollten wachsam bleiben. Es gebe Hinweise, dass russische Nachrichtendienste gezielt Social-Media-Profile durchsuchen.
So sollten Angestellte identifiziert werden, "die für russische Einflussnahme- oder Anbahnungsversuche empfänglich" sein könnten. "Seien Sie sich darüber bewusst", schreibt der Verfassungsschutz, "dass auch Sie in den Fokus russischer Nachrichtendienste geraten und für die Durchsetzung von deren Interessen instrumentalisiert werden könnten."
Im europäischen Ausland beobachtet der Verfassungsschutz auch die Anwerbung sogenannter "Low-Level-Agents". Also Personen, die ohne Agentenausbildung für Russland Aufträge durchführen. Die Agenten würden über soziale Netzwerke oder Messenger rekrutiert, überwiegend junge Erwachsene, die Russisch sprechen und ideologisch prorussisch eingestellt sind. Ihr Ziel: schnelles Geld verdienen.
So war es auch bei 14 Saboteuren in Polen, die im Dezember in Lublin verurteilt wurden. Laut dem dortigen Bezirksgericht beauftragte ein russischer Geheimdienstler die Täter über Telegram damit, Feuer zu legen oder Kameras an Zugstrecken anzubringen, auf denen Panzer in die Ukraine transportiert werden. Oder damit, "Stop NATO" auf Zäune zu sprayen, wofür die Verurteilten laut "Wall Street Journal" pro Auftrag knapp sieben Euro erhielten, ausgezahlt in Bitcoins.
Sind bereits Sabotageakte Russlands in Deutschland bekannt?
Offiziell konnten die deutschen Strafverfolgungsbehörden Russland noch keine Sabotageakte nachweisen. Im April verhaftete die Polizei in Bayreuth allerdings zwei Deutschrussen, mutmaßlich russische Spione. Sie sollen, so der Generalbundesanwalt, den US-Stützpunkt im nahegelegenen Grafenwöhr ausspioniert und Sabotageakte vorbereitet haben, die die militärische Unterstützung für die Ukraine untergraben sollten.
Als Sabotageversuch können im weiteren Sinn auch die mutmaßlichen Anschlagspläne auf Rheinmetall-Chef Armin Papperger gesehen werden, über die der US-Sender "CNN" kürzlich berichtet hatte.
Vertuschung und Verschleierung gehören zum Kern hybrider Kriegsführung, wie sie der Kreml betreibt. Deshalb können sich die Informationen verschiedener Sicherheitsbehörden auch deutlich widersprechen. Wie kompliziert die Wahrheitsfindung mittlerweile geworden ist, zeigt der Brand im Berliner Werk des Waffenherstellers Diehl Anfang Mai.
Das Unternehmen baut den Lenkflugkörper IRIS-T, den die Ukraine zur Abwehr russischer Luftangriffe einsetzt, wenngleich laut eigener Darstellung an einem anderen Standort. Diehl selbst sprach von einem technischen Defekt als Brandursache, Hinweise auf Sabotage gebe es nicht.
Das US-amerikanische "Wall Street Journal" und die "Bild" meldeten jedoch, ein ausländischer Geheimdienst habe die Bundesregierung auf die mögliche Beteiligung russischer Saboteure hingewiesen. In deutschen Sicherheitskreisen wurde diese Darstellung zurückgewiesen, wie der "Spiegel" berichtete.
Dieser Text erschien zuerst bei stern.de.
Quelle: ntv.de