"Gewaltige Menge an Beton" Russland steckt laut Experten wohl hinter Staudamm-Zerstörung
18.06.2023, 17:18 Uhr Artikel anhören
Wassermassen strömen am Tag der Explosion durch eine große Lücke im Kachowka-Staudamm.
(Foto: picture alliance/dpa/Ukrainian Presidential Office/AP)
Dutzende Tote und überschwemmte Landstriche hinterlässt die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine. Wer oder was dafür verantwortlich ist, bleibt bislang ungeklärt. Laut einem Medienbericht sehen Experten jedoch starke Hinweise auf Russland als Verursacher.
Am frühen Morgen des 6. Juni bricht der Kachowka-Staudamm, der bis dahin Europas drittgrößten Fluss Dnipro aufstaute. Große Landstriche des südukrainischen Gebiets Cherson werden überflutet, Dutzende Menschen sterben. Wie es zu dem Dammbruch kam, ist bis heute nicht aufgeklärt. Russland und die Ukraine geben einander die Schuld. Die "New York Times" legt in einem neuen Bericht jedoch nahe, dass Russland für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms verantwortlich sein dürfte.
Es gebe Hinweise, die klar darauf hindeuteten, "dass der Damm durch eine Explosion lahmgelegt wurde, die von der Seite ausgelöst wurde, die ihn kontrolliert: Russland", heißt es in dem Bericht der Zeitung. Diese beruft sich dabei auf Ingenieure und Sprengstoffexperten.
Um 2.35 Uhr und 2.54 Uhr am Morgen des 6. Juni hätten seismische Sensoren in der Ukraine und Rumänien Erschütterungen registriert, die von großen Explosionen stammen könnten, heißt es in dem Bericht. Zeugen in der Gegend hätten zudem von großen Explosionen zwischen 2.15 Uhr und 3 Uhr morgens berichtet. US-Geheimdienstsatelliten hätten zudem, kurz bevor der Damm brach, Infrarot-Wärmesignale registriert, die ebenfalls auf eine Explosion hindeuteten.
US-Militärbeamter: Schließen Angriff von außen aus
Ein hochrangiger amerikanischer Militärbeamter erklärte gegenüber der Zeitung, dass die Vereinigten Staaten einen Angriff von außen auf den Staudamm, etwa durch eine Rakete, eine Bombe oder ein anderes Projektil, ausgeschlossen hätten. Vielmehr gingen sie nun davon aus, dass die Explosion durch eine oder mehrere Sprengladungen im Inneren des Damms ausgelöst wurde, höchstwahrscheinlich durch russische Agenten.
Vor allem die Größe der in dem Staudamm entstandenen Lücke deutet nach Aussagen von der "New York Times" befragter Fachleute auf eine Explosion hin. Der Sprengstoff könnte etwa in jenem Durchgang platziert worden sein, der durch den massiven Betonblock an der Basis des Damms führt: "Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie etwas anderes als eine Explosion im Inneren des Ganges den Schaden erklären könnte", sagte Nick Glumac, Ingenieurprofessor und Sprengstoffexperte an der Universität von Illinois. "Das ist eine gewaltige Menge an Beton, die bewegt werden muss", ergänzte er.
Auch Norweger messen Erschütterung
Auch das norwegische seismologische Institut Norsar hatte nach eigenen Angaben eine Explosion am ukrainischen Kachowka-Staudamm zum Zeitpunkt seiner Zerstörung festgestellt. Dies würde die Annahme bestätigen, dass der Staudamm durch eine bewusste Aktion zerstört wurde - und nicht aufgrund von Schäden durch vorherige Bombardierungen nachgab.
Die oppositionsnahe russische Recherchegruppe "Conflict Intelligence Team" (CIT) kam jedoch zu einem anderen Schluss: Ihrem Bericht zufolge soll nicht eine willentliche Explosion, sondern "kriminelle Fahrlässigkeit der russischen Streitkräfte" zur Zerstörung des Staudamms geführt haben. Die CIT war nach Vergleichen mehrerer Satellitenbilder vom Herbst 2022 zu dieser Einschätzung gekommen.
Bringt nur vollständige Untersuchung Klarheit?
Auch wenn vieles auf eine gezielt von der russischen Seite initiierte Explosion hindeutet: Den von der "New York Times" befragten Fachleuten zufolge könne nur eine vollständige Untersuchung des Damms Aufschluss darüber geben, welche Abfolge von Ereignissen zu der Zerstörung geführt habe. Auch Erosion durch Wasser "könnte zu einem Versagen geführt habe", sofern der Damm schlecht konstruiert oder der Beton minderwertig gewesen sei. "Aber Ingenieure hielten das für unwahrscheinlich", heißt es in dem Bericht.
Die Zahl der Todesopfer ist knapp zwei Wochen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und die dadurch ausgelösten Überschwemmungen auf mindestens 45 gestiegen. Das ukrainische Ministerium für innere Angelegenheiten sprach zuletzt von 16 Getöteten und 31 Vermissten. Die von Moskau eingesetzten Behörden in den russisch besetzten Gebieten der Region hatten kurz zuvor 29 Todesopfer vermeldet.
Quelle: ntv.de, kst