Reaktionen zum Migrationspakt Scholz lobt "historischen Moment", Söder ist nicht zufrieden
07.11.2023, 11:10 Uhr Artikel anhören
Markus Söder gehen die Beschlüsse noch nicht weit genug.
(Foto: dpa)
Stundenlang ringen Bund und Länder im Kanzleramt über den Kurs in der Migrationspolitik. Sie einigen sich schließlich auf ein neues Finanzierungssystem zur Versorgung Geflüchteter und vereinbaren Leistungskürzungen für Asylbewerber. Ein Überblick über die Reaktionen.
Die Spitzen von Bund und Ländern haben sich nach zähen Verhandlungen auf ein neues System zur Finanzierung und Steuerung der Asylpolitik geeinigt. Der Bund werde künftig jährlich pauschal 7500 Euro pro Flüchtling zahlen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Nacht zu Dienstag nach Beratungen mit den Länderchefinnen und -chefs in Berlin. Zudem sollen Leistungen für Asylbewerber gekürzt und die Kontrollen an den Grenzen zu den Nachbarländern verlängert werden. Scholz sprach nach der Einigung von einem "sehr historischen Moment": Es sei "angesichts einer unbestreitbar großen Herausforderung" wegen der hohen Flüchtlingszahlen gelungen, dass nun "alle Ebenen dieses Staates eng zusammenarbeiten".
Ähnlich äußerte sich Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): "Der Deutschland-Pakt Migration legt wichtige Grundlagen, um angesichts der großen Herausforderungen der Migration handeln und konkrete Probleme lösen zu können", erklärte Habeck in Berlin. Es sei wichtig, dass hier alle demokratischen Parteien zusammenarbeiteten. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, bewertete die Vereinbarungen zurückhaltender: Sie seien ein "wichtiger erster Schritt", dem weitere Schritte folgen müssten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bewertete die Ergebnisse zur Migration als Fortschritt, aber als noch nicht ausreichend. "Positiv: Es bewegt sich was! Negativ: Das reicht noch nicht", schrieb der CSU-Chef auf der Plattform X, früher Twitter. "Wir müssen weiter Druck machen, um die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen", betonte Söder. Ähnlich reagiert CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Er sieht einen "kleinen Schritt" mit Blick auf die Entlastung der Kommunen. Das Ergebnis des Treffens reiche aber "bei Weitem nicht aus, um die illegale Migration in Deutschland einzudämmen", sagte er im "Morgenmagazin" der ARD. Linnemann forderte die Einführung von "Kontroll- und Transitzentren", ähnlich wie Dänemark es mache. Asylbewerber sollten erst dann auf Kommunen verteilt werden, "wenn es ein Bleiberecht gibt". Auch der Familiennachzug solle eingeschränkt werden. Die Ankündigung, dass Asylverfahren in Drittstaaten geprüft werden sollten, sei "zu weich".
"Übergang zu einem atmenden System"
Bis tief in die Nacht hatten Bund und Länder um die Kostenverteilung gerungen. Ursprünglich hatten die Länder vom Bund eine Pro-Kopf-Pauschale von 10.000 Euro gefordert. Zwar blieben die Zusagen des Bundes letztlich unter dieser Summe - doch bedeutet die Einigung den "Übergang zu einem atmenden System", bei dem die Zahlungen des Bundes sich an der jeweiligen Flüchtlingszahl orientieren, wie Scholz sagte. "Das heißt, bei steigenden Zahlen gibt es mehr Geld und bei sinkenden Zahlen weniger" - dieser Systemwechsel war eine der Hauptforderungen der Länder.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezifferte den Betrag, der durch die Pro-Kopf-Pauschale bereitgestellt werde, auf insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Damit hätten die Länder nochmals "einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag" erzielt, der den Kommunen für die Flüchtlingsversorgung zur Verfügung stehe. Abgesehen von der Einigung in der besonders strittigen Finanzierungsfrage verständigten sich Bund und Länder auf das grundsätzliche Ziel, die Zahl der in Deutschland ankommenden Schutzsuchenden zu senken. Scholz sagte, für ihn wäre es "das Beste", wenn die Zahl der Flüchtlinge abnimmt - "das ist der Kern all dessen, was wir vereinbart haben".
Auszahlung über Bezahlkarten statt über Bargeld
Die staatliche Unterstützung für Asylbewerber wollen Bund und Länder spürbar kürzen und nach Möglichkeit auf Sachleistungen umstellen. Wenn sich Asylverfahren lange hinziehen, sollen die Schutzsuchenden künftig bis zu 36 Monaten die vergleichsweise niedrigen Unterstützungssätze gemäß Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Bislang wurden die Bezüge schon nach 18 Monaten ungefähr auf die Höhe der regulären Sozialhilfe angehoben.
Scholz wertete dies als "erhebliche Änderung". Zusätzlich solle künftig sichergestellt werden, dass diejenigen, die in staatlichen Unterkünften untergebracht sind und dort Essen bekommen, "das natürlich auch gegenrechnen lassen müssen gegen die Leistungen, die sie erhalten", fügte der Kanzler hinzu. Bundesweit sollen Leistungen möglichst über Bezahlkarten ausgezahlt werden und nicht mit Bargeld. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb bei X, diese Kürzungen könnten "zu Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro führen". Dadurch werde auch "die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert".
Bundesjustizminister Marco Buschmann sprach von guten Schritten zu einer "neuen Realpolitik auf dem Gebiet der Migration". Der FDP-Politiker nannte auf X insbesondere die Verabredung, dass Asylbewerber mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen sollen. Auch würden Spielräume zur Reduzierung von Maßnahmen genutzt, die eine Sogwirkung auf Migranten haben.
"Gefährdung der politischen Stabilität des Landes"
Bund und Länder einigten sich laut Scholz zudem darauf, die verstärkten Kontrollen an den deutschen Grenzen "über lange Zeit" fortzuführen. Zudem verabredeten sie eine Beschleunigung der Asylverfahren. Zur Forderung der Union, Asylverfahren künftig in Drittstaaten außerhalb der EU auszuführen, wurde lediglich ein Prüfauftrag vereinbart. Scholz verwies hier auf juristische Bedenken und auf Zweifel an der Umsetzbarkeit.
Der Kanzler sagte des Weiteren, dass er sich weiterhin um die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zu dem Migrationspaket bemühen werde; deren Zustimmung ist allerdings für die Umsetzung der Bund-Länder-Beschlüsse nicht unbedingt erforderlich. Er sehe aber "die Notwendigkeit, hier unter den demokratisch verantwortlichen Parteien einen Konsens herbeizuführen", sagte Scholz.
Auch MPK-Chef Rhein sprach sich für ein parteiübergreifendes Vorgehen aus: "Wir müssen die irreguläre Migration stoppen und die demokratischen Kräfte müssen beweisen, dass der Staat an dieser Stelle handlungsfähig ist." Die unionsregierten Länder Bayern und Sachsen forderten in einer eigenen Protokollnotiz noch härtere Maßnahmen in der Asylpolitik bis hin zu einer Verfassungsänderung. Das Grundrecht auf Asyl müsse "in seiner jetzigen Form" neu überdacht werden, schrieben sie. Ohne eine rasche Eindämmung der Migration drohe "eine Gefährdung der politischen Stabilität des Landes".
Quelle: ntv.de, tno/AFP/dpa