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Hightech-Waffe für die Ukraine So funktioniert die neue GLSDB-Munition

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Präzisionsgesteuerte Flügelmunition mit großer Reichweite (Grafik): GLSDB-Projektile können selbst besonders geschützte Ziele zerstören.

Präzisionsgesteuerte Flügelmunition mit großer Reichweite (Grafik): GLSDB-Projektile können selbst besonders geschützte Ziele zerstören.

(Foto: © Saab AB)

Die ukrainischen Streitkräfte erhalten ein neues Waffensystem aus dem Westen. Die futuristische wirkende GLSDB-Munition startet wie eine Rakete und schlägt wie eine gelenkte Flügelbombe ein. Was können die Geschosse leisten?

Im Krieg in der Ukraine kommt womöglich bald schon neueste Militärtechnologie aus dem Westen zum Einsatz: Nach monatelangen Vorbereitung will die US-Regierung bislang unbestätigten Medienberichten zufolge die sogenannten GLSDB-Geschosse freigeben und in die Ukraine liefern.

Dabei handelt es sich um eine neuartige Kombination aus Flügelbombe und Raketenartillerie. Die GLSDB-Projektile werden vom Boden aus gestartet und gleiten anschließend präzisionsgesteuert ins Ziel. Im Gegensatz zu herkömmlichen Fliegerbomben sind sie bedeutend schlanker gebaut, was ihre Durchschlagskraft erheblich verbessern soll.

Das Kürzel GLSDB steht für Ground Launched Small Diameter Bomb (etwa: bodengestützte Bombe mit kleinem Durchmesser). Die neue Munition soll es den ukrainischen Streitkräften ermöglichen, besonders wichtige Ziele wie etwa verbunkerte Befehlsstände, Radaranlagen, Geschützstellungen oder Munitionslager tief im russisch kontrollierten Hinterland punktgenau zu zerstören. In der Standardversion wiegt eine einzelne Raketenflügelbombe rund 270 Kilogramm. Die Länge beträgt etwa 1,90 Meter, der Durchmesser nur rund 24 Zentimeter.

Das Waffensystem besteht im Kern aus zwei Komponenten: Die eigentliche Bombe mit Sprengkopf, Navigationssystemen und ausklappbaren Stummelflügeln stammt vom US-Luftfahrtkonzern Boeing. Die schmal gebauten Flügelbomben sind bei der US-Luftwaffe unter dem Kürzel GBU-39/B schon seit dem Jahr 2006 im Einsatz. Dort hängen sie in der Regel - ohne eigenes Raketentriebwerk - unter den Flügeln von Kampfjets wie zum Beispiel der F-15E "Strike Eagle".

Mit aufgeklappten Flügeln und programmierbarem Abstandszünder im Sprengkopf: Eine GLSDB im Zielanflug (Grafik).

Mit aufgeklappten Flügeln und programmierbarem Abstandszünder im Sprengkopf: Eine GLSDB im Zielanflug (Grafik).

(Foto: © Saab AB)

Erst die Kombination mit nordeuropäischer Technik verwandelt die bewährten Flügelbomben in eine sehr viel gefährlichere Waffe: Das Startsystem, mit dem die Spezialmunition vom Boden aus abgefeuert werden kann, liefert der schwedische Rüstungskonzern Saab, in Deutschland vor allem bekannt als früherer Mutterkonzern der gleichnamigen Pkw-Marke.

Im speziell gehärteten Mehrzwecksprengkopf sind je nach Auslegung bis zu 16 Kilo Sprengstoff für Druck- oder Splitterwirkung enthalten. Die Wucht des Einschlags und der schmale Durchmesser sollen ausreichen, um selbst meterdicke Stahlbetondecken glatt zu durchschlagen. Bei den Ukrainern stehen die GLSDB schon seit mehr als einem Jahr auf der Bedarfsliste. In Anbetracht der gewaltigen Übermacht der russischen Militärmaschinerie setzt Kiew auf punktgenaue Schläge, um den Ansturm der Invasoren auszubremsen.

"Wir haben die damals für Kampfjets entwickelte Small Diameter Bomb (SDB) gemeinsam mit Boeing auf den Prüfstand gestellt, um sie für den Bodeneinsatz zu adaptieren und damit für die Artillerie zur Verfügung zu stellen", zitiert der schwedische Saab-Konzern einen ihrer leitenden Ingenieure. "Warum? Weil sie eine sehr hohe Reichweite hat und dabei ihr Ziel bis auf einen Meter exakt trifft. Fähigkeiten, die insbesondere für Soldaten am Gefechtsfeld Sicherheit bedeuten."

Die Reichweite der vom Boden aus gestarteten Flügelbombenrakete gibt der schwedische Waffen- und Flugzeugbauer mit "bis zu 150 Kilometern" an. Der zielgenaue Schuss aus einer solchen Distanz soll einen "besonders großen Abstand" zum Gegner ermöglichen. Zum Vergleich: Artilleriegeschütze im NATO-Standard Kaliber 155 Millimeter kommen bestenfalls auf knapp 30 Kilometer. Selbst die deutsche Panzerhaubitze kommt nur mit Spezialgeschossen auf maximal 40 Kilometer.

Die limitierte Reichweite herkömmlicher Artillerie schränkt nicht nur die Auswahl erreichbarer Ziele ein: In der Ukraine ist die Position eine Frage des Überlebens. Mit einfachen Geschützen müssen sich die Ukrainer gefährlich nahe an die Front vorwagen, damit sie mit ihren Schüssen tief ins gegnerische Hinterland reichen. Dadurch geraten sie schnell selbst in die Reichweite des gegnerischen Feuers.

Im Krieg in der Ukraine könnte sich die neue Abstandswaffe bei der Abwehr der russischen Invasion als überaus wertvoll erweisen. Die GLSDB-Startbehälter lassen sich unter anderem auf voll geländegängigen Raketenwerfern wie dem US-amerikanischen HIMARS-System montieren. Die Ukrainer könnten ihre neuen Waffen schnell von einer Schussposition hinter der Front zur nächsten schicken, bei Bedarf schnell in Sicherheit bringen oder einfach nach jedem Schuss den Standort wechseln.

Ein weiteres technisches Detail dürfte den Ukrainern sehr viel weiter helfen: Die schwedisch-amerikanischen Flügelbomben empfangen ihre Positionsdaten nicht nur über GPS-Satellitendaten, die recht anfällig für elektrische Störmaßnahmen sind. Wenn der Gegner die richtigen Frequenzen blockiert oder mit Störsignalen überlagert, kann die Verbindung zur Satellitenorientierung schnell abreißen. Kurz: Das Geschoss würde das Ziel verfehlen.

Kein Taurus, aber ...

Bei der Entwicklung der GLSDB haben die Waffenbauer jedoch vorgesorgt und die Bedingungen der elektronischen Kriegführung mitbedacht: Die SDB-Bomben sind mit einem zusätzlichen Navigationssystem ausgestattet, das unabhängig vom Umfeld seine Position laufend aus den Bewegungen des Geschosses selbst errechnet. Mit einem solchen Trägheitsnavigationssystem lässt sich in der Praxis eine ausreichend genaue Präzision für Distanzschläge erreichen. Die GLSDB erreicht ihr Ziel ungeachtet irgendwelcher Störversuche.

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Kurz: Die GLSDB sind zwar nicht so schlagkräftig wie die viel diskutierten deutschen Taurus-Marschflugkörper. Aus russischer Sicht stellt die westliche Hightech-Munition dennoch eine ernste Bedrohung dar. Die von den Herstellern genannten Reichweiten decken theoretisch große Teile der von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine ab. Der südöstliche Stadtrand der ukrainischen Metropole Saporischschja zum Beispiel liegt in der Luftlinie weniger als 150 Kilometer von der Küste des Asowschen Meeres entfernt.

Mehr als ein Jahr nach ersten Gerüchten um eine bevorstehende Ausstattung hofft das ukrainische Militär auf eine schnelle Lieferung. Bei dem jüngsten Treffen im Ramstein-Format sei eine Entscheidung gefallen, heißt es. Von Cherson bis zur Krim sind es nur gut 100 Kilometer. Sobald die Ukrainer mit GLSD-Bomben schießen, befände sich der gesamte "Zentralraum" hinter der Saporischschja-Front - also Putins blutig erkaufte Landkorridor im Süden der Ukraine - und selbst noch die Landenge von Perekop am Eingang zur Krim-Halbinsel in der Schlagdistanz der neuen ukrainischen Präzisionsgeschosse.

Quelle: ntv.de, mmo

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