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Berlin sollte Original liefern Taurus-Ringtausch? Olaf Scholz gefällt das

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Schon seit Mai vergangenen Jahres blockt Kanzler Scholz bei der Taurus-Frage ab.

Schon seit Mai vergangenen Jahres blockt Kanzler Scholz bei der Taurus-Frage ab.

(Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)

Seit Monaten sagt Kanzler Scholz nein, wenn die Ukraine um Taurus bittet. Nun bietet London an: Gebt uns Euren Marschflugkörper, wir schicken dafür unseren Storm Shadow nach Kiew. Ein perfekter Deal - für den Kanzler, nicht für die Ukraine. Um die ging es aber. Oder?

Druck aus dem Kessel nehmen - wenn es vor allem darum gehen sollte, dann ist der Ringtausch, den die britische Regierung einem Bericht zufolge angeboten hat, ein perfekter Deal. Olaf Scholz will den leistungsstarken Marschflugkörper Taurus ganz offensichtlich nicht an die Ukraine liefern. Schon seit Mai vergangenen Jahres blockt der Bundeskanzler ab, trotz steigenden Drucks. Der kommt von den internationalen Partnern, aber auch aus den Reihen der Ampelkoalition. Dort sind es vor allem die Sicherheitsexpertinnen und -experten, die bei der Weigerung nicht mitgehen wollen. Diejenigen, die um die Qualität der deutschen Präzisionswaffe wissen und auch darum, wie viel effizienter es ist, die Waffen und Streitkräfte des Gegners nicht an der Front zu bekämpfen, sondern zu verhindern, dass sie überhaupt dorthin gelangen.

Dafür ist der Taurus nach allem, was man weiß, die ideale Waffe. Er ist in der Lage, sehr tief zu fliegen, und entgeht dadurch dem gegnerischen Radar. Er findet sein Ziel auch ohne GPS-System, das anfällig wäre für russische Störsender. Der Marschflugkörper gleicht dafür permanent eingespeicherte Landkarten mit der Beschaffenheit des Geländes unter ihm ab. So bahnt er sich, wenn nötig, über 500 Kilometer eigenständig seinen Weg bis zum Angriffspunkt und kann auch hochwertige und stark geschützte Ziele wie Bunker, Kommandozentralen und Brücken massiv beschädigen oder sogar zerstören.

Technisches Fazit: Man könnte der Ukraine, die an der Front massiv unter Munitionsmangel leidet und weiterhin leiden wird, kaum Besseres tun, als ihr mit dem Taurus eine Waffe in die Hand zu geben, die russische Logistik angreift, Nachschubwege abschneidet; die verhindert, dass die russischen Frontsoldaten aus dem Vollen schöpfen können.

Doch Scholz' Logik geht anders. Er sieht die Fähigkeiten dieser Hochleistungswaffe nicht als Gewinn, sondern als Bedrohung: Mit der hohen Reichweite könnte eine verzweifelte Ukraine sogar Moskau angreifen, mindestens jedoch die Kertsch-Brücke. Sie führt vom russischen Festland auf die besetzte Krim. Damit ist sie die zentrale Nachschubroute für die Front im Süden und noch dazu ein erst wenige Jahre altes Prestigeprojekt des Kreml. Eine rote Linie? Aber so was von. Und wenn die überschritten würde, was würde Wladimir Putin dann machen?

Rote Linien andauernd, und Putin tat: nichts

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dasselbe, was er bei den vielen bisherigen roten Linien getan hat, die in fast zwei Jahren Krieg überschritten wurden - beim spektakulären Angriff auf die Schwarzmeerflotte, bei den Lieferungen westlicher Panzer, beim NATO-Beitritt Finnlands, bei der Zusage des Westens, Kampfjets zu liefern, nach dem Versenken der Moskva. Lauter gerissene rote Linien und Putin tat: nichts. Moment, stimmt nicht ganz, genörgelt hat er schon, ein bisschen rumgedroht auch.

Und trotzdem: Scholz kann oder will sich von Putins Perspektive nicht lösen. Das wissen die Bündnispartner, und darum bietet Großbritannien ihm nun einen Ausweg aus der Misere: Berlin liefert den Taurus an London, und London schickt dafür weitere Marschflugkörper des Typs Storm Shadow in die Ukraine. Ein Angebot, durchaus nicht ohne Vorteil für die Briten, nebenbei gesagt. Denn Taurus ist in allen relevanten Belangen die höher entwickelte Waffe.

Aber ein solcher Ringtausch wäre doch besser als nichts, argumentieren manche in den Regierungsparteien, und das stimmt. Vor allem aber wäre es eine komfortable Lösung für Olaf Scholz, der das Thema abräumen könnte, ohne den deutschen Marschflugkörper in die Hände der Ukraine zu geben.

Was es aber auch bedeuten würde: Die ukrainischen Truppen könnten weiterhin nur mit den Marschflugkörpern der Briten und Franzosen, Storm Shadow und SCALP, angreifen. Die nur die Hälfte der Reichweite haben, die anfälliger sind für russische Störsender, weshalb zuletzt weniger dieser Raketen in ihr Ziel gingen, und die weniger Durchschlagskraft entwickeln im Angriff. Die Möglichkeiten der Ukraine, den russischen Nachschub empfindlich zu stören, wären deutlich eingeschränkter als mit dem Taurus.

Was also ist wichtiger? Dass die Ukraine den Krieg gewinnt? Dass sie mit Hilfe ihrer Partner, die sie mit hochwertigen Waffen ausstatten, Putin zurückdrängt, ihm und nebenbei auch noch Peking und den Mullahs im Iran zeigt, dass die Allianz demokratischer Staaten sich zu wehren weiß gegen solche Versuche, willkürlich Grenzen zu verschieben? Oder dass Olaf Scholz seine Ruhe hat? Dass der Kanzler nach fast zwei Jahren Krieg noch immer bei jedem neuen Waffentyp erst mal mauert, erscheint ihm selbst vielleicht besonnen. Die Ukraine zahlt an der Front dafür mit Menschenleben.

Quelle: ntv.de

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