CDU-Politiker Spahn im Interview "So wird Habecks Wärmeplan zum Wohnbau-Stopp"
03.03.2023, 16:32 Uhr
Im Interview mit ntv.de räumt Spahn auch Fehler der CDU ein. Er spart aber nicht mit Kritik an der Ampel-Koalition.
(Foto: IMAGO/Christian Spicker)
Als Gesundheitsminister kämpfte Jens Spahn an vorderster Front gegen die Corona-Pandemie - mittlerweile ist er zu den Themen Wirtschaft und Energie gewechselt. Im Interview mit ntv.de warnt er davor, dass Deutschland in den kommenden Jahren der Strom knapp werden könnte, und attackiert Wirtschaftsminister Habeck für seine Pläne, neue Gasheizungen zu verbieten. Er sagt aber auch, wo er die Regierung bewusst nicht kritisiert.
ntv.de: Herr Spahn, Sie bearbeiten in der CDU seit der Bundestagswahl die Themen Wirtschaft und Energie. Hatten Sie ein Déjà-vu in der Energie-Krise? Politologen sind die neuen Virologen, die Gasspeicher die neue Sieben-Tage-Inzidenz?
Jens Spahn: Und die Bundesnetzagentur hat in diese Analogie die Rolle des RKI übernommen. Ja, auch wenn Vergleiche hinken, es gibt Parallelen. Zunächst einmal in der Ausgangslage: Nach relativ guten Jahren wurden erst mit der Pandemie und dann mit dem Krieg in Europa unsere Gewissheiten durchgeschüttelt. Wir erleben, dass Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen, wie eine gute Gesundheitsversorgung, Freiheit oder auch der Strom aus der Steckdose, sehr voraussetzungsvoll sind. Aus der vorherigen Krisenerfahrung heraus bewerte ich das Handeln der Ampel durchaus differenziert. Wenn in der Krise schnell entschieden wird und später korrigiert werden muss, werde ich das nicht kritisieren. In Krisen geht Geschwindigkeit vor Perfektion.
Sie spielen jetzt auch auf die Maskenbeschaffung an. In der Frühphase der Pandemie wurden sie dringend benötigt und Sie wurden später kritisiert, zu viel dafür bezahlt zu haben.
Damals galt wie in der jetzigen Krise das Grundprinzip "Haben ist besser als brauchen". In der Pandemie waren das Impfstoffe, Beatmungsgeräte, Masken, Tests oder Medikamente. Davon hatten wir am Ende immer mehr als wir brauchten. Das war immer besser, als wenn etwas gefehlt hätte. Das gleiche gilt jetzt beim Gas. Die Bundesregierung hat richtigerweise alles getan und teilweise jeden Preis bezahlt, um die Gasspeicher zu füllen und uns für den Winter vorzubereiten. Ich bin sehr sicher, der Bundesrechnungshof wird uns in einem Jahr sagen: Das war zu teuer. So wie bei den Masken. Aber ich werde das nicht kritisieren.
Apropos teuer: Die Inflation verharrt auf hohem Niveau. Wie kriegen wir die Preise wieder herunter?
Zunächst einmal müsste die Regierung das zu ihrem wirtschaftspolitischen Hauptthema machen. Das findet nicht statt. Auf der Kabinettsklausur in Meseberg am kommenden Sonntag steht Inflation nicht einmal auf der Tagesordnung. Inflation ist aber das Mega-Thema. Und es ist auch eine soziale Katastrophe. Eine Inflation von 8 Prozent im letzten Jahr und in diesem Jahr vielleicht 6 Prozent bedeutet für einen Durchschnittsverdiener mit 4000 Euro 600 bis 700 Euro weniger - im Monat! Das haut also richtig rein. Ich bin manchmal verwundert, wie ruhig die Deutschen angesichts dieses massiven Wohlstandsverlusts bleiben.
Aber was wäre zu tun?
Inflation bekämpft man, indem man das Angebot ausweitet. Das fängt bei den Energiepreisen an. Alles, was ans Netz gehen kann, sollte ans Netz gehen. Lässt man zum Beispiel mehr Strom aus Biomasse zu oder die Kernkraftwerke länger laufen, erhöht das das Angebot und stabilisiert die Preise. Wir haben vorletztes Jahr drei Kernkraftwerke vom Netz genommen. Davon sind meiner Kenntnis nach mindestens zwei rückholbar, das müsste man zumindest vorurteilsfrei prüfen. Denn an einem Standort, der die höchsten Steuern und die höchsten Energiepreise hat, gibt es bald keine Industrie mehr.
Was ist mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien?
Der wird nicht schnell genug klappen, um die Inflation in den kommenden zwei Jahren zu reduzieren. Der Ausbau der Erneuerbaren geht noch zu langsam. In unserer Regierungszeit haben wir die Erneuerbaren so massiv ausgebaut wie kaum ein anderes Industrieland. Aber wir haben zu oft den Eindruck zugelassen, es mit schlechter Laune zu tun. Fakt ist, der Ausbau der Erneuerbaren ist richtig, aber das allein löst unsere akuten Probleme nicht.
Warum nicht?
Wir brauchen auch Speicherkapazitäten und Elektrolyse von Wasserstoff. Erst dann können wir erneuerbaren Strom auch nutzen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Ich wundere mich bei den Grünen zudem immer, dass sie nur auf den Stromsektor schauen. Das ist aber nur ein kleinerer Teil unseres Endenergiebedarfs. Große Teile des Energieverbrauchs finden in den Bereichen Wärme, Industrie und Verkehr statt. In all diesen Bereichen alles auf einen Energieträger zu verengen, halte ich für einen Fehler.
Gerade gab es Berichte, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck plant, den Neueinbau von Gasheizungen zu verbieten.
Warum sollen jetzt alle eine Wärmepumpe einbauen? Das Ziel ist doch, im Wärmebereich mindestens 65 Prozent durch klimaneutrale Energie zu versorgen, mit der Perspektive Richtung 100 Prozent. Es reicht doch, diese Zielmarken verbindlich vorzugeben. Und dann können die Bürger schauen, ob bei ihnen zu Hause eine Wärmepumpe besser passt oder eher Kraft-Wärme-Kopplung oder Geothermie. Technologieoffenheit ist mehr als nur ein Buzzword, die muss man auch wollen. Das zweite Problem ist der Zeitplan. Habeck will den Neueinbau von Öl- und Gasheizungen schon ab 2024 verbieten. Das ist in neun Monaten. Es gibt aber zu wenige Handwerker. So wird Habecks Wärmeplan automatisch zum Wohnbaustopp. Und es wird jetzt erstmal zu einem Run auf Gas- und Ölheizungen führen.
Im Koalitionsvertrag steht, dass ab dem 1. Januar 2025 Gasheizungen nicht mehr eingebaut werden dürfen sollen.
Ein Jahr macht für die Planungssicherheit von Hunderttausenden Häuslebauern, Handwerken, Investoren schon einen großen Unterschied. Wenn man alles auf Strom umstellen will, Mobilität, Wärme, Verkehr, dann muss Strom auch bezahlbar sein. Ist er aber nicht! 40 Cent pro Kilowattstunde bedeuten bei einer Wärmepumpe für eine Familie 300 bis 400 Euro im Monat. Das können sich viele nicht leisten.
Es gäbe ja Fördermittel, sprich Geld vom Staat dazu. Dieses Instrument haben Sie in der Corona-Krise doch auch genutzt.
Das stimmt, aber es ist etwas anderes, Belastungen für eine begrenzte Zeit abzufedern. Die Wärmepumpen sind dagegen eine Investition in die Zukunft und sollen über Jahrzehnte laufen. Dasselbe gilt für die Elektromobilität. Es geht nur mit günstigem Strom. Und diese Bundesregierung hat keinen Plan, wie wir bis 2030 zu bezahlbaren Strompreisen kommen. Und die Förderung für Wärmepumpen hat die Ampel erstmal gekürzt.
Die Grünen sagen bei der Atomkraft, dass es nur wenig bringt, die Atomkraftwerke am Netz zu lassen. Für die Grünen ist es mit Sicherheit ein Symbolthema, aber ist es das für Sie nicht auch?
Die Atomkraft ist wirklich ein Symbol - für die Frage, wie ernst die Grünen Klimapolitik nehmen. Sie lassen jetzt ein altes DDR-Kohlekraftwerk in Jänschwalde am Netz, eine der größten Dreckschleudern Europas, um CO2-freie Kernkraftwerke abzuschalten. Das ist tatsächlich eine Grundsatzfrage, ob wir das hier ernst meinen mit dem Klimaschutz. Die deutschen Grünen sind mehr Anti-Atompartei als Klimaschutzpartei. Da geht es mehr um Jürgen Trittins Lebenswerk als um das von Greta Thunberg.
Es ist natürlich Ihre Aufgabe als Opposition, die Regierung zu kritisieren. Aber wenn man sich anschaut, wie schnell die LNG-Terminals gebaut wurden und wie voll die Gasspeicher sind - da kann man eigentlich nicht meckern, oder?
Bei den beiden Themen meckern wir nicht - im Gegenteil. Da, wo die Ampel radikal pragmatisch war, hat es gut funktioniert. Überall da, wo sie nicht pragmatisch ist, wo sie sich in Grundsatzfragen aller Art verheddert, vor allem Grüne und FDP, da funktioniert es nicht. Ich würde mir wünschen, dass diese "Deutschland-Geschwindigkeit", die bei LNG-Terminals geklappt hat, auf andere Bereiche übertragen wird. Zum Beispiel bei Schienen- und Stromtrassen.
Wollten Sie als Gesundheitsminister nicht auch ein Deutschland-Tempo? Und dann stießen Sie auf die Faxgeräte in den Gesundheitsämtern. Wie viel hat man da als Regierung überhaupt in der Hand?
Die Frage ist doch: Wie ist die Deutschland-Geschwindigkeit entstanden? Es wurde Planungsrecht geändert. Das geht einfach per Gesetz. Insofern hinkt der Vergleich mit den Faxgeräten, die konnte man nicht einfach per Gesetz ersetzen. Auch wenn ich es mir manchmal gewünscht hätte.
Die große Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl und Gas entstand auch in der Regierungszeit der CDU. Müssten Sie sich nicht ständig für Fehler der Vergangenheit entschuldigen?
Ja, da haben wir in der Rückschau falsch gelegen. Wir hätten beim Gas nie in diese massive Abhängigkeit von Russland kommen dürfen. Dazu haben Entscheidungen beigetragen, an denen wir beteiligt waren. Aber ebenso Sozialdemokraten und die deutsche Wirtschaft. Ich würde schon sagen, es war ein kollektives Nicht-sehen-Wollen.
Die Grünen waren zumindest gegen Nord Stream 2.
Das muss man anerkennen. Wie gesagt, wir müssen uns kritisch damit auseinandersetzen. Die SPD übrigens noch einmal ganz anders, denn sie war in Teilen korrumpiert. Angela Merkel hat sich nie eine Illusion über Putin gemacht. Das war bei Gabriel, Schröder und Schwesig offenkundig anders.
Warum sind Sie eigentlich nicht bei der Gesundheitspolitik geblieben? Das war doch schon lange vor dem Ministeramt immer Ihr Spezialgebiet.
Darüber habe ich erst kürzlich mit dem Bischof von Münster gesprochen. Wir waren uns einig: Es gehört sich nicht, seinen Nachfolger zu kommentieren. Egal ob als Minister, Bischof oder Papst. Mit Wirtschaftsthemen hatte ich mich schon als Staatsekretär im Finanzministerium befasst. Zusammen mit Friedrich Merz habe ich überlegt, was eine gute Aufstellung für die CDU wäre, und dann sind wir zu dieser Lösung gekommen. Die Themen liegen mir jedenfalls.
Wie ist das, wenn man an vorderster Front in der größten Gesundheitskrise war und dann als einfacher Abgeordneter aufwacht? Wie motiviert man sich da, doch wieder weiterzumachen?
In den ersten Tagen ist es hart. Aber es ist schon vielen anderen so ergangen, das gehört zur Demokratie. Das sagt sich leichter als es sich anfühlt, das ist wohl so. Aber ich war schon immer überzeugter Parlamentarier. Wir nutzen die Oppositionszeit für intensive inhaltliche Arbeit. Vier Jahre sind dann aber genug.
Ist es nur ein Rückschlag auf dem Weg ins Kanzleramt?
Es ist eine Zwischenetappe für die Union. Ich bin überzeugt, dass es besser für Deutschland wäre, wenn die CDU regiert. Ich will mithelfen, dass wir das wieder erreichen.
Mit Jens Spahn sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de