Flüchtlingstalk bei Illner Spahn: "Wir schaffen das nicht mehr"


"Das Bewusstsein setzt sich mehr und mehr durch, dass wir überall Grenzen des Machbaren haben", meint Jens Spahn.
(Foto: ZDF und Espen Eichhöfer)
Die wenigsten Flüchtlinge schaffen es nach Europa, dennoch sind die Lager an den Außengrenzen überfüllt. In Deutschland sehen sich viele Kommunen an der Belastungsgrenze. Abkommen mit Drittstaaten seien dringend nötig, sagt der Migrationsforscher Koopmans bei Maybrit Illner.
Die Unionsparteien haben der Ampelkoalition einen Deutschlandpakt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise angeboten. Auf Antrag der Union soll nun der Bundestag darüber diskutieren. Bei Maybrit Illner im ZDF sorgt das Thema für eine leidenschaftliche Diskussion.
Fakt ist: Deutschland braucht Zuwanderung. Doch aktuell kämen zu viele Flüchtlinge, warnen die Kommunen in Deutschland seit einem Dreivierteljahr. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, Deutschland sei an der Belastungsgrenze.
Die Einreise von Flüchtlingen, die Asyl beantragen wollen, soll eigentlich das Dublin-Übereinkommen regeln. Danach wird jedem Ausländer, der auf dem Gebiet der Vertragsstaaten einen Asylantrag stellt, ein entsprechendes Verfahren garantiert. Dieses Abkommen trat 1997 in Kraft. Es ist völkerrechtlich immer noch gültig, wird aber inzwischen vom europäischen Recht überlagert.
Abkommen mit Drittstaaten
Ruud Koopmans ist Migrationsforscher und Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Er erklärt: "Das Abkommen wurde zu einer Zeit geschaffen, als es in Europa noch Binnengrenzen gab. Die haben wir jetzt nicht mehr. Darum funktioniert es nicht mehr. Dublin ist tot, und zwar sehr lange schon." Also müssten nun dringend neue gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Koopmans kritisiert: "Für das Flüchtlingsproblem gibt es nicht nur keine deutsche Lösung, es gibt auch keine europäische Lösung." Zwar haben sich die Innenminister der EU-Staaten auf ein neues Flüchtlingsgesetz geeinigt, doch das muss zunächst vom EU-Parlament geprüft und beschlossen werden. Das werde noch sehr lange dauern, meint Koopmans. Er schlägt vor: "Wir müssen Abkommen mit Drittstaaten schließen. Das ist der einzige Weg, um eine Kontrolle über die irreguläre Migration zu bekommen."
Konkret bedeutet das: Migranten, die in Europa Asyl suchen, müssten den entsprechenden Antrag in einem Land außerhalb der EU stellen und dort auf die Entscheidung warten. Das haben auch die EU-Innenminister beschlossen. EU-Rats-Präsidentin Ursula von der Leyen und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni haben inzwischen erste Gespräche mit Tunesien geführt. Keine gute Idee, findet Migrationsforscher Christopher Hein: "Das Vorpreschen von von der Leyen und den anderen Politikern hat nichts gebracht. Und mit einer Regierung, die immer mehr eine diktaturielle Regierung ist und kein Interesse hat, eine Zusammenarbeit mit der EU oder einzelnen Staaten einzugehen, hat es keinen Zweck, solche Abkommen zu machen."
Koopmans sieht das etwas anders. Er fordert, die Attraktivität von Abkommen mit Ländern wie Tunesien zu erhöhen, indem man Migranten von dort die Einreise in die EU erleichtert. Koopmans schlägt jedoch auch Verhandlungen mit anderen möglichen Drittstaaten wie Albanien, Moldau oder Ghana vor.
Spahn: "Wir haben eine Teilzeit-Innenministerin"
Den Menschen auf der italienischen Insel Lampedusa werden diese Vorschläge nicht helfen. Von den dort aktuell unter schwierigsten Bedingungen lebenden Geflüchteten werde Deutschland niemanden aufnehmen, sagt Innenministerin Nancy Faeser bei Maybrit Illner.
Was die Lösung der aktuellen Flüchtlingskrise angeht, erkennt CDU-Politiker Jens Spahn an: "Es tut sich was. Das Bewusstsein setzt sich mehr und mehr durch, dass wir überall Grenzen des Machbaren haben. Wir schaffen das nicht mehr." Ein erster richtiger Schritt wäre, wenn sich darüber alle demokratischen Politiker einig seien. "Das scheint mir zu passieren." Jetzt gehe es zunächst um nationale Einigungen, illegale Migration einzudämmen. Dazu müsse die Frage der sicheren Herkunftsstaaten geklärt werden, um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern.
Gleichzeitig gehe es aber auch um Grenzkontrollen oder um Sachleistungen statt Geldleistungen für in Deutschland illegal lebende Geflüchtete. Zudem müsse eine europäische Lösung her, zu der sichere EU-Außengrenzen gehörten. An der Arbeit der Innenministerin, die auch Spitzenkandidatin der Hessen-SPD bei den am 8. Oktober stattfindenden Landtagswahlen ist, hegt Spahn Zweifel. "Wir haben eine Teilzeit-Innenministerin", kritisiert er.
Deutschlandpakt zu Migration
"Wir haben die Asylverfahren beschleunigt", antwortet Faeser. Sie sei im Ausland gewesen, habe mit Drittstaaten verhandelt und an einem neuen europäischen Asylverfahren mitgearbeitet. Spahns Behauptungen seien nicht wahr. Der legt noch eins drauf: "Wir haben weniger Abschiebungen. Sie haben sogar Aufenthaltsregelungen für Menschen geschaffen, die bei ihrer Identität getäuscht haben. Sie wollen das Bürgergeld erhöhen." Auf der europäischen Ebene sei die Ampel gespalten.
Bei der Bundestagsdebatte am Freitag wolle die Union Bundeskanzler Olaf Scholz einen Deutschlandpakt in der Migrationsdebatte anbieten. "Wir sind bereit zu einer Entscheidung in der demokratischen Mitte", sagt Spahn - und schlägt vor, entsprechende Gesetze könnten schon nächste Woche beschlossen werden.
Für einen solchen Pakt zeigt sich Faeser offen. Sie werde im Bundestag einen passenden Gesetzentwurf vorlegen, verspricht sie. "Der Bundeskanzler hat mit seiner Idee für einen Deutschlandpakt einen ersten Schritt auf Sie zugemacht. Ich freue mich, wenn Sie in dieser Sache die ausgestreckte Hand annehmen", so die Ministerin.
Quelle: ntv.de