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Interview mit Ruud Koopmans Wie man das Asylproblem lösen könnte

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Fischerboote an einem abgelegenen Strandabschnitt nördlich der tunesischen Stadt Sfax. von hier legen Flüchtlingsboote Richtung Lampedusa ab.

Fischerboote an einem abgelegenen Strandabschnitt nördlich der tunesischen Stadt Sfax. von hier legen Flüchtlingsboote Richtung Lampedusa ab.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Soziologe Ruud Koopmans begrüßt den Vorschlag aus der CDU, das individuelle Asylrecht als Hauptpfeiler der Flüchtlingspolitik durch eine Institutsgarantie zu ersetzen - schließlich greift der Vorschlag zentrale Ideen von Koopmans auf. Die komplette Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl hält der Experte jedoch für unnötig und falsch. Damit wären so große Hürden verbünden, "dass der gesamte Vorschlag ins Leere laufen würde".

ntv.de: Der CDU-Politiker Thorsten Frei hat in der FAZ eine Abschaffung des Individualrechts auf Asyl gefordert. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ruud Koopmans: Ich habe in den dort hervorgebrachten Argumenten viel aus meinem Buch erkannt.

Ruud Koopmans lehrt Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Abteilungsdirektor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Ruud Koopmans lehrt Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Abteilungsdirektor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

"Die Asyl-Lotterie", in der Sie das europäische Asylsystem "todkrank" nennen.

Vor allem teile ich die Grundidee, dass wir von der individuellen Gewährung von Asyl hin zu Kontingentaufnahmen umsteuern müssen - das ist genau das, was ich vorschlage. Auch die Idee, das mit einer Institutsgarantie umzusetzen: Dann wird klar, dass es ein verbindliches Versprechen der EU ist, jährlich ein Kontingent von Flüchtlingen aufzunehmen, über dessen Höhe nicht immer wieder neu verhandelt werden muss. Nicht so gut finde ich den Vorschlag, das individuelle Grundrecht auf Asyl ganz abzuschaffen. Ich denke, das ist auch nicht nötig.

Warum wäre das nicht nötig? Wäre es denn möglich, ein Kontingent aufrechtzuerhalten, wenn es zusätzlich noch das individuelle Recht auf Asyl gäbe?

Ja. Man müsste allerdings versuchen, die Zahl der Menschen, die von dem individuellen Asylrecht Gebrauch machen können, durch Abkommen mit Drittstaaten einzuschränken. Denn sonst würden sich trotzdem Menschen auf den Weg machen, etwa von Tunesien nach Italien. Für sie bräuchten wir Abkommen mit Drittstaaten, zum Beispiel mit Tunesien, um diese Menschen zurückzuführen. Man kann mit diesen Ländern dann auch vereinbaren, dass Asylsuchende die Möglichkeit bekommen, dort einen Antrag zu stellen und so außerhalb der EU ihr Recht auf Schutz verwirklichen können. Damit könnte man die irreguläre Migration reduzieren, ohne das individuelle Grundrecht abzuschaffen.

Wäre es überhaupt möglich, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen?

Für Deutschland würde das bedeuten, dass das Grundgesetz geändert werden muss. Dafür gibt es hohe Hürden, das wird nicht so einfach passieren. Es würde auch bedeuten, dass wir die Genfer Flüchtlingskonvention ändern oder gar kündigen müssten. Auch das wäre nicht einfach. Zudem gibt es noch die europäische Menschenrechtskonvention, auch die müsste man ändern. All das sind dermaßen große Hürden, dass der gesamte Vorschlag damit ins Leere laufen würde.

Im Moment kann das Grundrecht von Asyl in der Praxis ohnehin nur von Menschen in Anspruch genommen werden, die irregulär nach Deutschland einreisen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, da ist kein Widerspruch. Das Grundrecht auf Asyl beziehungsweise das Recht auf Schutz, wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention garantiert ist, gilt unabhängig davon, wie man einreist. Ob jemand ein Visum hat oder nicht oder sogar ganz ohne Ausweisdokumente kommt, spielt dabei keine Rolle.

Was halten Sie von den Abkommen der EU mit Tunesien? Vorbild war offenbar das EU-Türkei-Abkommen von 2016. Aber aus der Türkei gab es keine Berichte, dass Sicherheitskräfte Migranten in die Wüste bringen, um sie da sich selbst zu überlassen.

Man muss erst mal abwarten, was genau in diesem Abkommen steht, da ist vieles noch unklar. Und zweitens kommt es immer darauf an, wie ein solches Abkommen umgesetzt wird. Die Frage wäre, welche Garantien Tunesien bieten würde, dass Menschen dort einen Asylantrag stellen können, oder einen Antrag auf eine andere Art von Schutz vor Verfolgung oder Krieg. Ich denke zwar nicht, dass es da um viele Menschen gehen wird, denn die meisten Menschen, die über Tunesien nach Europa kommen, stammen nicht aus Kriegs- oder Verfolgungsstaaten. Aber es wird eine Gruppe geben, für die das doch zutrifft. Für diese bräuchten wir ein Abkommen, das mit dem internationalen Flüchtlingsrecht vereinbar ist. Darin müssten auch Mechanismen vereinbart werden, die es der EU ermöglichen, die Einhaltung der Bedingungen zu überprüfen.

Thorsten Frei spricht von einem jährlichen Kontingent von 300.000 oder 400.000 Schutzbedürftigen, die Europa aufnehmen könnte. Ist das aus Ihrer Sicht eine realistische Größenordnung?

Ja, das ist eine realistische Größenordnung. Ich glaube, ich nenne in meinem Buch die Zahl von 325.000 aufzunehmenden Personen. Das ist die Zahl der Schutzbedürftigen, die wir in Europa in den zehn Jahren vor dem Ukraine-Krieg jährlich im Durchschnitt aufgenommen haben. Auch mit Blick auf die politische Durchsetzbarkeit eines solchen Vorschlags halte ich das für eine gute Idee, denn damit ist klar, dass es nicht darum geht, weniger Menschen zu helfen, sondern auf eine andere Art und Weise zu helfen. Für Deutschland würde das eine Zahl von rund 160.000 Flüchtlingen pro Jahr bedeuten.

Wäre auch die seit Jahren angestrebte faire Verteilung in Europa möglich?

Die würde ich gar nicht mehr anstreben! Es hat sich doch längst gezeigt, dass das eine völlig utopische Vorstellung ist. Ich denke, solche Kontingente sollte man mit Selbstverpflichtungen von einer Koalition der Willigen innerhalb der EU erarbeiten. Wenn alle Länder daran teilnehmen, die in der Vergangenheit viele Flüchtlinge aufgenommen haben, dann hätte man das Problem unter Dach und Fach. Und das sind ja auch die Länder, die ein Interesse an der Umstellung auf Kontingente haben. Wenn dieses System gut funktioniert, könnten irgendwann auch Länder wie Polen und Ungarn bereit sein, da mitzumachen.

Nach dem Vorschlag von Frei gäbe es eine Art Sonderrecht für Menschen aus unmittelbaren Nachbarstaaten der EU, deren Aufnahme auf das Gesamtkontingent angerechnet werden solle: "Käme es zu einem Massenzustrom wie derzeit im Falle der Ukraine, würde Europa für einen längeren Zeitraum kein Kontingent aus dem entfernteren Ausland mehr aufnehmen."

Auch das schlage ich in meinem Buch vor. Ich halte es für legitim, Menschen aus direkten Nachbarstaaten der EU anders zu behandeln, denn das ist genau die Gruppe von Flüchtlingen, für die das Flüchtlingsrecht geschaffen wurde: Es wurde geschaffen, damit sich die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg nicht wiederholt, als deutsche Juden von den Nachbarstaaten Deutschlands zurückgewiesen wurden. Da ist es nur realistisch, zu sagen, dass die Kontingente in Zeiten der besonderen Belastung pausieren - beispielsweise in Jahren wie 2022, als Deutschland eine Million Ukrainer aufgenommen hat. Als nach wie vor reicher Kontinent hat Europa natürlich trotzdem eine Verantwortlichkeit für Flüchtlinge in anderen Teilen der Welt. Das heißt, auch in solchen Jahren könnte Europa Ländern wie der Türkei, Jordanien, dem Libanon oder Bangladesch bei der Aufnahme von Flüchtlingen helfen - aber eben finanziell oder indem wir unsere Unterstützung für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ausbauen, das sehr stark unterfinanziert ist.

Mit Ruud Koopmans sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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