15 Millionen Fahrzeuge geplant Studie: Bundesregierung reißt E-Auto-Ziel um 40 Prozent
31.07.2024, 19:08 Uhr Artikel anhören
Bis 2030 soll es mindestens 15 Millionen Elektroautos in Deutschland geben.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Die Bundesregierung ist ambitioniert: Mindestens 15 Millionen E-Autos sollen bis 2030 über deutsche Straßen rollen. Laut einer Studie verpasst die Ampel-Koalition dieses Ziel jedoch krachend - und muss gegensteuern. Eine mögliche Lösungsstrategie würde ausgerechnet China freuen.
Das Ziel der Bundesregierung, bis 2030 mindestens 15 Millionen E-Autos auf deutsche Straßen zu bringen, wird deutlich verfehlt - um sechs Millionen Fahrzeuge. Das geht aus einer Studie hervor, die der Thinktank Agora Verkehrswende zusammen mit der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) erstellt hat und die dem "Handelsblatt" vorliegt.
Zweifel am selbstgesteckten Ziel der Ampelkoalition gibt es schon länger - das zeigte sich etwa beim E-Auto-Gipfel im Kanzleramt im November 2023. Seinerzeit präsentierte Autoexperte Stefan Bratzel seine Prognose, nach der bis 2030 mit höchstens acht Millionen E-Autos in Deutschland zu rechnen sei. "Wir gehen weiterhin von sieben bis acht Millionen E-Fahrzeugen bis 2030 aus", betont Bratzel, Professor am Center of Automotive Management der Fachhochschule Bergisch Gladbach, auch heute noch.
Die Skepsis hinderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing jedoch nicht, im April dieses Jahres das Ziel der Bundesregierung zu bekräftigen. Laut der nun veröffentlichten Studie passen der aktuelle Regierungskurs und dieses Ziel so gar nicht zusammen. "Irgendwann ist es schon rechnerisch nicht mehr zu erreichen", sagte Christian Hochfeld von Agora Verkehrswende demnach dem "Handelsblatt". Rund 40 Prozent geringer fällt daher der Wert aus, der in der Untersuchung prognostiziert wird: statt 15 werden nur 9 Millionen E-Autos bis 2030 auf deutschen Straßen fahren.
Ampel streicht überraschend Kaufprämie
Ergebnis des E-Auto-Gipfels im November vergangenen Jahres war, die Ladeinfrastruktur schneller auszubauen und die Anschaffungskosten zu senken. Umso unverständlicher war die Entscheidung der Ampel kurz darauf, den staatlichen Zuschuss beim Kauf eines E-Autos zu streichen. "Das passt nicht zusammen: auf der einen Seite das Ziel hochhalten, auf der anderen Seite Maßnahmen abschaffen, die zu der Erreichung beitragen", sagte Agora-Experte Hochfeld. Die daraufhin von Anbietern gewährten Rabatte konnten das Ruder jedoch nicht herumreißen. Der Absatz von Elektrofahrzeugen brach seither massiv ein.
Es gibt laut Studie jedoch noch immer Hoffnung, das Ziel zumindest ansatzweise zu erreichen. Eine der möglichen Maßnahmen dürfte der Bundespolitik jedoch Bauchschmerzen bereiten.
So könne etwa die Kfz-Steuer, die bei der Erstzulassung fällig wird, sich stärker am CO2-Ausstoß der Fahrzeuge orientiert. Die Kosten für E-Autos wären so geringer als für Verbrenner. Zudem empfehlen die Autoren, Quoten für Hersteller und gewerbliche Flotten einzuführen, um den Marktanteil von Elektroautos zu steigern. Das würde bis 2030 zu insgesamt 4,2 Millionen zusätzlichen Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen führen. Eine schneller ausgebaute Ladeinfrastruktur brächte der Studie zufolge nochmals rund 300.000 E-Autos mehr.
China - Konkurrent oder Erfüllungsgehilfe?
Auf 15 Millionen elektrisch angetriebene Fahrzeuge käme die Bundesregierung dadurch aber dennoch nicht. Hier kommt der wohl unpopulärste Vorschlag zum Tragen: die stärkere Einbeziehung chinesischer Hersteller. Doch die EU-Kommission hatte Anfang Juli Strafzölle gegen E-Autos aus China verhängt. Sie wirft Peking vor, eigenen Herstellern mit hohen Subventionen unfaire Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Zölle bestehen jedoch vorerst nicht dauerhaft. Im Zeitraum von vier Monaten soll entschieden werden, ob sie verlängert werden - auf bis zu fünf Jahre. Würde die Entscheidung im Herbst so fallen, fiele dieser Vorschlag der Studienautoren nahezu vollständig aus.
Die Zollentscheidung der EU wurde von der Bundesregierung bereits kritisiert. Es besteht große Furcht, dass China mit Gegenmaßnahmen reagiert, die wiederum deutsche Autobauer treffen. Die Autoren sehen dies ähnlich. "Höhere Importzölle führen dazu, dass Fahrzeuge chinesischer Hersteller für Kundinnen und Kunden in Deutschland grundsätzlich teurer werden", sagte Hochfeld von Agora Verkehrswende. Dadurch würden attraktive Angebote als Alternative zum Verbrenner entfallen, "die gerade in den preisgünstigen Fahrzeugsegmenten von chinesischen Herstellern angeboten werden, wo deutsche, aber auch europäische Hersteller noch ein geringes Angebot haben".
"Nichts tun ist teurer"
Das E-Auto-Ziel 2030 zu erreichen, wird allerdings teuer: Den gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsbedarf beziffert die Studie auf 45 bis 65 Milliarden Euro. Das umfasst Kosten für zusätzliche Kaufanreize, den Ausgleich von Mehrkosten und die Ladeinfrastruktur. Sie träfen Staat, Autobauer und Verbraucher, wie stark jeweils hänge von den Maßnahmen der Ampel ab.
Das wäre jedoch noch immer das kleinere Übel, wie Albert Waas von BCG, Co-Autor der Studie, erklärt. Denn, nichts zu tun, käme Deutschland am Ende noch teurer, sagte er dem "Handelsblatt": "Es wird sozusagen anders teuer. Nichts zu tun ist die schlechteste Variante, weil wir damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Automobilindustrie erheblich gefährden." Das würde sich nachhaltig auf die Gewinne der Automobilhersteller auswirken, und damit auf einen der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands.
Dazu kommen weitere Kosten, sollte Deutschland seine nationalen Klimaziele auf EU-Ebene reißen. Denn der Verkehrssektor unterliegt der europäischen Klimaschutzverordnung "Effort Sharing Regulation" (ESR) -das heißt verbindlichen Einsparzielen. Experten befürchten, dass Zahlungen im zweistelligen Milliardenbereich fällig werden könnten, sollte Deutschland sein Ziel nicht erreichen.
Quelle: ntv.de, als