Politik

Präsident unter DruckTrumps Friedensplan erwischt Selenskyj auf dem falschen Fuß

21.11.2025, 15:38 Uhr 5UbL9d25-400x400Denis Trubetskoy
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Der ukrainische Präsident Selenskyj ist in einer schwierigen Lage - weite Teile des Friedensplans Trumps sind unannehmbar. (Foto: Kirsty Wigglesworth/Pool AP/dpa)

Im Inneren setzt der Korruptionsskandal den ukrainischen Präsidenten Selenskyj unter Druck. Die Russen machen Druck an der Front. In dieser Lage legen die USA einen Friedensplan vor. Wollen sie die Situation ausnutzen?

Für Wolodymyr Selenskyj war es am Donnerstag keine einfache Rückkehr von seiner jüngsten Auslandsreise. Seit Wochen erschüttert ein Korruptionsskandal rund um den Energiesektor des Landes die Ukraine. Ihr Präsident steckt seitdem in der größten innenpolitischen Krise seiner Amtszeit. In der eigenen Parlamentsfraktion rumort es gewaltig.

Und auch außenpolitisch gibt es neue Probleme. So wurde Selenskyj von einer US-Delegation mit dem Entwurf des sogenannten Friedensplans Donald Trumps konfrontiert. Dieser sieht zwar etwas weniger krass als befürchtet aus. Von der Ukraine werden dennoch riesige Zugeständnisse erwartet.

Im politischen Kiew zweifelt kaum jemand daran, dass die US-Regierung den Zeitpunkt ausnutzen möchte. Die militärische Lage ist kompliziert und der Korruptionsskandal setzt Selenskyj ebenfalls unter Druck. Militärisch hat Russland 2025 bisher zwar bei weitem nicht das umgesetzt, was es sich vorgenommen hatte. Doch die logistisch wichtige Stadt Pokrowsk in der Region Donezk haben sie weitgehend eingenommen - und auch in der südlichen Region Saporischschja verschlechterte sich die Lage innerhalb der letzten Woche aus Sicht der Ukraine.

Was wird noch alles öffentlich?

Innenpolitisch ist Präsident Selenskyj zwar nicht unmittelbar persönlich gefährdet, steht jedoch nach dem Bekanntwerden der sogenannten Operation "Midas" des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) mehr als je zuvor in der Kritik.

Die große Frage in Kiew lautet: Was wird in den nächsten Wochen und Monaten noch öffentlich? Mit den Rücktritten der betroffenen Minister sowie der Verhängung der Sanktionen gegen den Geschäftsmann Tymur Minditsch, ein nach Israel geflohener enger Vertrauter Selenskyjs, der die Korruptionsmachenschaften gemanagt haben soll, konnte die Krise zwar etwas eingedämmt werden.

Doch was bisher veröffentlicht wurde, klingt auch so gewaltig genug. Es geht dabei nicht nur um gewaltige Schmiergeldzahlungen, die Lieferanten des Staatskonzerns Enerhoatom an Minditsch und andere gezahlt haben sollen, um ihre Aufträge nicht zu verlieren. Auch soll Minditsch von seinen Wohnungen im Kiewer Regierungsviertel einige Regierungsposten verteilt haben - obwohl er gar keinen Posten in der Regierung innehat.

Es gibt jedoch jeden Grund zur Annahme, dass in der nächsten Zeit noch mehr ans Licht kommt. So geht NABU davon aus, dass Minditsch ebenfalls Einfluss auf die ukrainische Rüstungsindustrie ausgeübt haben soll. Laut der Antikorruptionsbehörde konnten rund 40 Spitznamen, die auf den sogenannten "Minditsch-Bändern" vorkommen sollen, noch nicht eindeutig identifiziert werden.

Wer ist "Ali Baba"?

Besonders spannend ist der Spitzname "Ali Baba". Laut dem Oppositionsabgeordneten Jaroslaw Schelesnjak soll dahinter Andrij Jermak stecken, der mächtige Chef des Präsidialamtes. Er gilt als zweitmächstigster Mann des Landes und übt großen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik und, wie manche meinen, auch auf das Strafrechtssystem des Landes aus. Zudem fiel er mit fragwürdiger Personalpolitik auf, weshalb die Opposition ihn seit Jahren frontal angreift. Doch noch nie forderten sie seinen Rücktritt so deutlich wie diese Woche.

Damit könnte Selenskyj noch leben. Doch auch in seiner eigenen Fraktion wächst der Unmut. Schon zu Beginn der Woche war zu hören, dass größere Gruppen innerhalb seiner Partei, Diener des Volkes, die Entlassung Jermaks erwarten. Mitte der Woche haben sich mit Fedir Wenislawskyj und Mykyta Poturajew zwei der bekannteren Parteiabgeordneten öffentlich dafür ausgesprochen. Auch Fraktionschef Dawid Arachamija, die wohl mächtigste Figur im ukrainischen Parlament, soll keine besonders guten Beziehungen zu Jermak pflegen

Umso mehr wurde das seltene Treffen Selenskyjs mit der eigenen Fraktion mit Spannung erwartet. Vor dem Treffen kursierten unter ukrainische Medien zahlreiche widersprüchliche Gerüchte: Einen Aufstand von Teilen der Partei Diener des Volkes hielt man für nicht unwahrscheinlich - spekuliert wurde jedoch auch, ob Selenskyj nicht Jermak entlässt, sondern die Entlassung Arachamijas als Fraktionschef fordert. Doch es kam anders.

Ein Aufstand der Fraktion blieb aus. Der Präsident, der von Minditschs Machenschaften hinter seinem Rücken nichts gewusst haben will, hielt an seinem engsten Mitarbeiter und Stabschef Jermak fest. Er habe mit Ministerrücktritten und Sanktionen hart genug reagiert, so Selenskyj. Man unterstütze die Ermittlungen der Antikorruptionsbehörden, wolle aber zunächst weitere Ergebnisse und Beweise abwarten. Sollte etwas Belastbares gegen jemanden anderen vorliegen, werde man reagieren.

Trumps Friedensplan - gute Miene zum bösen Spiel

Es ist wieder ein schwieriger Spagat für den ukrainischen Präsidenten. Jermaks Entlassung hätte gewaltige Folgen für sein Machtsystem. Etliche Prozesse sind an ihn persönlich gebunden, nicht zuletzt geht es dabei um internationale Verhandlungen. Denn Jermak, der als guter Unterhändler gilt, ist de facto der ukrainische Top-Diplomat. Doch wie lange kann Selenskyj an ihm noch festhalten? Die Frage ist offen. Dass er von dem massiven Korruptionssystem rund um Minditsch nicht zumindest gewusst hat, glaubt jedenfalls kaum jemand.

Am Ende weiß auch Selenskyj: Seine Parlamentsfraktion darf keinesfalls auseinanderfallen. Zugleich muss Selenskyj mit Blick auf Trumps Friedensplan gute Miene zum bösen Spiel machen und sich zumindest rhetorisch offen für die Bemühungen des US-Präsidenten zeigen. Auch wenn er mit Sicherheit die Europäer stärker in den Friedensprozess einbinden möchte. Jedenfalls soll Selenskyj den Abgeordneten gesagt haben, es gebe keine Anzeichen, die US-Amerikaner würden Kiew zur Aufgabe seiner strategischen Interessen zwingen.

Doch ist das wirklich so? Öffentlich lehnt die ukrainische Seite jegliche Verkleinerung der ukrainischen Armee sowie die Aufgabe der eigenen Souveränität über Staatsgebiet als inakzeptabel ab. Den Verzicht auf freie Bündniswahl will man sich nicht von außen vorschreiben lassen.

Andererseits wäre eine Reduzierung der ukrainischen Armee auf 600.000 Mann zumindest akzeptabler als das, worüber im Voraus spekuliert wurde. Die Reduzierung des ukrainischen Arsenals an weitreichenden Waffen wird im Dokument ebenfalls nicht vorgeschrieben. Und ein NATO-Beitritt der Ukraine ist zumindest mit dieser US-Administration ohnehin illusorisch.

Es bleiben jedoch mehrere Kernpunkte, die ganz klar rote Linien Kiews überschreiten. Sprengkraft für die ukrainische Gesellschaft haben die Fragen des Status der russischen Sprache und der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die früher dem Moskauer Patriarchat unterstand.

Bekommt die Ukraine noch ein besseres Angebot?

Prinzipiell kommt es jedoch darüber hinaus auf drei Punkte an. Die Räumung der gesamten Region Donezk, wo die Ukraine über Jahre ausgebaute Stellungen rund um Kramatorsk und Slowjansk hält, bleibt aus ukrainischer Perspektive eine Einladung zu einer neuen Invasion tiefer ins Hinterland. Die genauen Sicherheitsgarantien für die Ukraine bleiben vage. Und: Ist Russland überhaupt an einem Frieden interessiert, zumal Moskau im Detail sicher nicht mit allen Punkten des Plans einverstanden sein dürfte?

Klar ist jedenfalls: Das US-Kalkül, im Moment der innenpolitischen Schwäche Selenskyjs einen schnellen Scheinfrieden umzusetzen, wird wohl nicht aufgehen. Gerade weil Selenskyj innerhalb des Landes unter Druck steht und der Großteil der Bevölkerung eine Halbkapitulation nicht akzeptieren will, wird sein Spielraum noch einmal deutlich enger.

Eine andere Frage bleibt allerdings, ob der Ukraine in ein oder zwei Jahren wirklich ein besseres Angebot vorliegt. Denn für einen Waffenstillstand müsste die Ukraine eigentlich die Front langfristig stabilisieren. Die bisherige europäische Unterstützung Kiews reicht dafür nicht aus - und die US-Regierung um Donald Trump hat ganz klar andere Prioritäten.

Quelle: ntv.de

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