Politik

"Korrupte Bürokraten" Wagner-Söldner klagen über fehlende Munition

Wagner-Söldner in der Ostukraine.

Wagner-Söldner in der Ostukraine.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

In Videos von der Front beklagen Wagner-Kämpfer das Fehlen von Artillerie-Munition. Das würde zu hohen Opferzahlen führen und die bisherigen Erfolge gefährden. Sie erbitten Nachschub aus dem russischen Verteidigungsministerium. Werden Prigoschins Söldner bewusst ausgebremst?

Seit Monaten tobt ein Machtkampf zwischen russischem Verteidigungsministerium und Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. Durch aktuelle Klagen mehrerer Kämpfer der Söldnertruppe über mangelnde Munitionslieferungen erhält dieser neue Nahrung. In einem Video, das über die Wagner-Telegramkanäle geteilt wurde, sind vier Kämpfer zu sehen, die sich als Artillerie-Einheit der Wagner-Gruppe bezeichnen und den akuten Mangel an Granaten und anderen Geschossen beklagen. Ein anderes Video zeigt eine Lagerhalle, in der zahlreiche tote russische Kämpfer, vermutlich ebenfalls Wagner-Söldner, aufgebahrt liegen - teils in Plastiksäcken, teils in Särgen.

Zwei in Schutzanzüge gekleidete Männer sprechen von hohen Gefallenenzahlen, als Grund dafür nennen sie die fehlende Munition. In beiden Videos wird behauptet, man sei von der Versorgung mit weiterer Munition derzeit komplett abgeschnitten. Es fehle unter anderem an Geschossen für Haubitzen sowie an Munition für T-72-Panzer, das am häufigsten eingesetzte Panzer-Modell der russischen Streitkräfte. Die Kämpfer bitten das russische Verteidigungsministerium eindringlich, weitere Munition zu liefern. Andernfalls würden weiterhin viele Kämpfer sterben und der Erfolg der Einheiten gefährdet.

Orchestriert hat die Kritik am russischen Verteidigungsministerium Wagner-Gründer Prigoschin selbst. Er wettert auf seinem Telegram-Kanal gegen "korrupte Bürokraten" und behauptet, diese würden versuchen, "der Gruppe Wagner den Garaus zu machen". Auch russische Kriegsblogger fordern, dass vor allem die Wagner-Gruppe zwingend mit Granaten versorgt werden müsse, da ihr Erfolg über den Fortgang des Krieges entscheide.

Tatsächlich wurden die russischen Erfolge der letzten zwei Monate nahezu ausschließlich in der Region um Bachmut erzielt. Dort ist die Wagner-Gruppe besonders aktiv. An anderen Frontabschnitten bewegt sich dagegen kaum etwas. Bachmut und Soledar befinden bereits seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2014 im Fokus. Weder den prorussischen Separatisten ist es seither gelungen, dort einen echten Durchbruch zu erzielen, noch der regulären Armee nach der Invasion der Ukraine im Februar 2022.

Erst in den vergangenen Monaten konnte die Wagner-Gruppe die Stadt Soledar erobern und auf Bachmut vorrücken. Zum Teil befinden sich bereits Wagner-Kämpfer in Außenbezirken der einstigen 70.000-Einwohner-Stadt. Seit gut einer Woche stockt aber auch dort die Offensive, was von Prigoschin unter anderem mit dem Fehlen von Munition begründet wird. Er habe sich schon bei einem tschetschenischen Kommandeur Munition besorgen müssen. Das sei jedoch keine dauerhafte Lösung für das Problem.

Artillerie wesentlich für Wagner-Taktik

Jüngste Erfolge der Russen wurden nur durch einen erheblichen Blutzoll möglich. Nicht ohne Grund rekrutierte Wagner-Gründer Prigoschin etwa 40.000 Männer in russischen Gefängnissen. Oft schlecht ausgebildet und vor Ort nicht sonderlich gut ausgestattet, wurde ihnen nach sechs Monaten Dienst in der Ukraine die Freiheit versprochen. Vor Ort war es ihre Aufgabe, durch permanentes wellenartiges Anrennen ukrainische Verteidigungsstellungen offenzulegen und der russischen Artillerie deren Standorte zu verraten.

So konnte die Armee die Positionen der Verteidiger anschließend großflächig mit Geschossen eindecken. Diese Strategie war allerdings mit immensen Verlusten unter Wagner-Kämpfern verbunden. Aktuelle Zahlen legen nahe, dass rund die Hälfte der Wagner-Kämpfer ihren Einsatz in der Ukraine nicht überlebt hat. Die Opferzahlen anderer russischer Verbände sollen im Vergleich dazu niedrig sein. Neben dem hohen personellen Aufwand spielt die Artillerie eine entscheidende Rolle für den Erfolg dieser Kriegstaktik. So lässt auch sich die massive Kritik derzeit erklären.

Ob die Gruppe allerdings bewusst vom Nachschub abgeschnitten wurde, ist fraglich. Die Ukraine nimmt inzwischen wieder vermehrt die Nachschublinie der Invasoren ins Visier - versucht, Lagerhäuser, Züge, Bahnstrecken, Straßen oder Konvois zu treffen. Und einen Mangel an Munition beklagen auch reguläre russische Truppen. Westliche Experten haben festgestellt, dass die russische Armee zuletzt deutlich weniger Gebrauch von Artillerie machte - offenbar auch, weil der Kreml größere Offensiven, etwa in der Region um Kreminna vorbereitete. Möglicherweise trifft das auch die bisher eher gut ausgestattete Wagner-Gruppe.

Kreml sendet Prigoschin deutliches Signal

Nach Ansicht des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) könnte es sich aber auch um ein Warnsignal des Verteidigungsministeriums und des Kreml an Wagner-Gründer Prigoschin handeln, der durch die Erfolge seiner Kämpfer zuletzt immer öfter Lob von politischen Hardlinern und nationalistischen Kriegsbloggern erhielt. Prigoschin suchte häufiger die Öffentlichkeit, prangerte Fehler des Verteidigungsministeriums und indirekt auch des russischen Präsidenten Wladimir Putin an, und forderte nach Rückschlägen die Entlassung von Generälen.

Beobachter attestieren Prigoschin politische Ambitionen. Mit jedem Erfolg trat der 61-Jährige fordernder und selbstbewusster auf. Das stieß vor allem im russischen Militärapparat auf wenig Begeisterung. Eine Reduzierung von Nachschub könnte also tatsächlich ein Versuch sein, Prigoschin und seine Wagner-Gruppe in die Schranken zu weisen. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass die Rekrutierung russischer Häftlinge zuletzt gestoppt worden sein soll. Auch darüber hatte sich Prigoschin öffentlich beklagt.

Quelle: ntv.de, als

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