Rechtsruck in Frankreich Warum ist der Front National so stark?
23.03.2015, 11:56 Uhr
Will 2017 Präsidentin werden: Parteichefin Marine Le Pen.
(Foto: AP)
Jeder vierte französische Wähler machte sein Kreuz für die rechte Partei von Marine Le Pen. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb erklärt das Phänomen Front National und vergleicht es mit der deutschen AfD.
n-tv.de: Warum ist der Front National so erfolgreich in Frankreich?
Florian Hartleb: Die Partei ist schon seit längerer Zeit etabliert und ein fester Bestandteil des Systems. In Frankreich gibt es eine große Unzufriedenheit mit der sozialistischen Regierung. Viele Medien und Experten haben ja vor der Wahl gemutmaßt, dass der Front National stärkste Partei werden könnte. Das hat sich nicht bestätigt.
Was sagt es über Frankreich aus, dass eine rechte Partei wie der Front National so stark ist?
Eine ganze Menge, aber auch über Europa. In vielen Ländern sind populistische, rechts- oder linksradikale und Anti-Establishment-Parteien erfolgreich. Frankreich hat große wirtschaftliche Probleme. Die beiden großen Parteien haben in den vergangenen Jahren schwere Krisen durchlebt und leiden unter Glaubwürdigkeitsverlusten. Das ist Nährboden für den Front National, der sich modernisiert hat. Marine Le Pen führt die Partei als Familienunternehmen. Mit Marion Le Pen, der Enkelin von Parteigründer Jean-Marie, ist inzwischen die dritte Generation in führender Position.
Marine Le Pen hat es geschafft, ihre Partei für die breite Masse wählbar zu machen. Hat sich die Partei wirklich gemäßigt oder gibt sie dies nur vor?
Bei der ersten Runde der Départementswahlen am Sonntag waren die Rechtsextremen landesweit auf 25,19 Prozent gekommen. Im Vergleich zu 2011 legte die Partei damit um satte neun Prozent zu. Sie landete hinter dem bürgerlich-konservativen Lager von Nicolas Sarkozy, das mit 29,4 Prozent an die Spitze kam. Die von Sozialisten aufgestellten Listen kamen auf 21,85 Prozent. Bei der ersten Wahlrunde waren die Rechtsextremen in 43 der 98 Départements, in denen die Wahl abgehalten wurde, zur stärksten Kraft geworden. In der zweiten Runde an kommenden Sonntag wird die Partei in 1070 der rund 1900 noch zu vergebenden Wahlkreise mit Kandidaten in der Stichwahl sein. Bereits in der ersten Runde wurden acht FN-Räte gewählt. Jedes Département in Frankreich besteht aus mehreren Wahlkreisen.
Solche Parteien agieren oft taktisch. Marine Le Pen verhält sich anders als ihr Vater Jean-Marie, der einmal gesagt hat, dass der Holocaust nur ein Detail in der Geschichte sei. Damit sorgte er für die Ausgrenzung des Front National in Frankreich, den sogenannten "Cordon sanitaire". Marine Le Pen agiert geschickter. Die Partei hat professionelle Marketingstrategen an führender Front. Sie hat auch Moslems auf den Listen. Mit solchen Alibikandidaten gewinnt der Front National an Glaubwürdigkeit.
Wie radikal ist die Partei noch - ist sie rechtspopulistisch oder immer noch rechtsextrem?
Der Front National ist im Graubereich anzusiedeln. In ihrer Programmatik ist die Partei sehr radikal, viel radikaler als die deutsche AfD. Marine Le Pen sagt ja beispielsweise, dass Wladimir Putin ihr näher steht als Angela Merkel. Es gibt rege Kontakte nach Russland. Gleichzeitig hat Le Pen vor der Griechenland-Wahl dazu aufgerufen, Syriza zu wählen. Hier zeigt sich die Nähe von radikalen Parteien. Egal, ob links oder rechts, im Kampf gegen Globalisierung, Modernisierung, gegen EU und Troika sowie die USA sind sie oft eins.
Le Pen gilt als aussichtsreiche Anwärterin bei der Präsidentschaftswahl 2017. Wie gut sind ihre Chancen?
Die Chancen sind hoch, dass Le Pen in die Stichwahl kommt. Und die wird sie wahrscheinlich weniger deutlich verlieren als ihr Vater 2002. Entscheidend für den Wahlausgang wird die Entwicklung der UMP sein. Denn die Wahlen am Wochenende haben auch gezeigt, dass UMP-Parteichef Nicolas Sarkozy auf den Front National reagieren kann. Er hat den Kurs gegen Migranten verschärft. Ohne Sarkozy wäre der Front National sicherlich stärker gewesen.
Kann eine Partei wie der Front National auch in Deutschland so stark werden?
Ja und nein. Wir sind ja schon keine Insel der Seligen mehr. Mit der AfD gibt es eine rechte Partei. Aber sie kann in Deutschland nicht so radikal auftreten, wie es der Front National in Frankreich tut. Die AfD, zumindest Bernd Lucke, bemüht sich ja um eine Mäßigung, aber es gibt extreme Tendenzen in der Partei. In Frankreich ist die Situation jedoch eine andere. Der Front National ist seit Anfang der 80er-Jahre erfolgreich.
Wie groß ist das maximale Potenzial der AfD in Deutschland?
Ich sehe es bei etwa zehn Prozent. Die Partei hat bessere Überlebenschancen, als ihr prognostiziert wurde. Viel hängt davon ab, ob sich die FDP wieder regeneriert. Aber in der Großen Koalition wächst die Sehnsucht nach einer Alternative - und damit wachsen auch die Chancen für die AfD. Wenn es in Demokratien zu Langeweile kommt, sind solche Parteien auf dem Vormarsch.
Mit Florian Hartleb sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de