Europa und der Krieg "Wir dürfen uns nicht einquetschen lassen"
20.04.2023, 02:19 Uhr Artikel anhören
Waren sich nicht immer einig: Politikwissenschaftler Christian Hacke und Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu Gast bei Sandra Maischberger.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
In der Ukraine dauert der Krieg an, die Angst vor einem Angriff Chinas auf Taiwan wächst. Wie sollte sich Europa in dieser Situation verhalten? Darüber diskutieren am Mittwochabend in der ARD-Sendung "Maischberger" die FDP-Militärexpertin Strack-Zimmermann und der Politologe Christian Hacke.
Wenn die Vorsitzende des Bundestagsverteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, in einer Talkshow auftaucht, kann man eine spannende Diskussion erwarten. In der ARD-Sendung "Maischberger" trifft sie am Mittwochabend auf den Politikwissenschaftler Christian Hacke. Der 80-jährige Politologe war Professor an der Bundeswehruniversität in Hamburg und an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er gehört zu den renommiertesten Politikwissenschaftlern Deutschlands.
Bei "Maischberger" warnt Hacke im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin: "Er ist in finsterer Entschlossenheit, seine Truppen aufzustocken." Putin könne in den nächsten Monaten und Jahren viel mehr Manpower durch brutale Methoden generieren. Putin werde in allem, was den Krieg in der Ukraine angehe, nicht klein beigeben. Deswegen fordert der Wissenschaftler schnelle Verhandlungen, die am Ende zu einem Waffenstillstand in der Ukraine führen sollten.
"Ich sehe keinen Sieg der Russen, ich hoffe auf einen Sieg der Ukrainer, den sehe ich aber nicht", so Hacke. Sollte nach der erwarteten Frühjahrsoffensive der ukrainischen Armee eine Pattsituation entstehen, sollte der Westen die Waffenlieferungen einstellen, die bis jetzt richtig gewesen seien. "Jetzt muss sich der Westen stärker diplomatisch engagieren. Er muss Druck ausüben auf Putin und den ukrainischen Präsidenten Selenskyj."
"Sie brauchen Partner, die das wollen"
Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann sieht das anders. Die Waffenlieferungen seien richtig gewesen, das sagt auch sie. Ferner sei aber wichtig, dass auch weiterhin Waffen an die Ukraine geliefert würden, jedoch keine westlichen Systeme wie Eurofighter oder Tornados. Der Einsatz von Bodentruppen der NATO sei auch weiterhin ausgeschlossen.
Friedensverhandlungen hält Strack-Zimmermann für unwahrscheinlich. "Für einen solchen Plan brauchen sie Partner, die das wollen. Aber wir wissen im Grunde schon seit 2008, dass Putins Ziel ist, die Ukraine nicht nur zu besetzen, sondern sie von der Landkarte zu streichen." Hackes Vorschlag nennt sie positiv. Ihrer Ansicht nach funktioniert er aber nur bei kultivierten Menschen, die Frieden wollten. Über die nächsten Schritte müsse die Ukraine entscheiden, so die Politikerin.
"Die Ukraine kann nicht alleine entscheiden. Da sind wir mit dabei, und wir müssen Druck machen", entgegnet Hacke. Europa habe das diplomatische Instrument aus der Hand gegeben. Jetzt sei sogar China als Verhandlungspartner ins Gespräch gebracht worden. Hacke sieht jedoch eine Möglichkeit für Europa, diplomatisch wieder aktiv zu werden. Er sagt: "Der französische Präsident Macron wäre der einzige Verhandlungspartner, der für alle Seiten infrage kommt."
Strack-Zimmermann strebt nach Brüssel
Der hatte zuletzt viele europäische Politiker mit Äußerungen zu einem möglichen chinesisch-taiwanischen Krieg irritiert. Auf dem Rückflug von einem Besuch in China hatte Macron eine eigene europäische strategische Position gefordert. "Das war nicht hilfreich", sagt Strack-Zimmermann. "Dass Macron den Europäern den Stuhl unter dem Hintern wegzieht, halte ich für schwierig." Die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA infrage zu stellen, sei falsch gewesen.
Hacke beurteilt das völlig anders. "Macron ist für mich ein Vorbild", sagt er bei "Maischberger". "Wenn wir nicht aufpassen, werden wir zwischen Amerikanern und Chinesen gesandwicht." Die USA seien im Niedergang, ihr Erzfeind sei China als aufstrebende Wirtschaftsmacht. Europa müsse aufpassen: "Wir dürfen uns nicht dazwischen einquetschen lassen."
Dass China in absehbarer Zeit Taiwan angreift, können sich Strack-Zimmermann und Hacke nicht vorstellen. Doch Hacke fordert: "Wir müssen alles tun, damit Taiwan stark bleibt." Und Strack-Zimmermann erinnert an den europäischen Wertekanon: Kein Land habe das Recht, ein anderes Land anzugreifen.
Am Ende befragt Moderatorin Sandra Maischberger die Politikerin noch kurz zu ihren Ambitionen für die Europawahl im kommenden Jahr: Da will die FDP sie als ihre Spitzenkandidatin aufstellen. Strack-Zimmermann: "Wir müssen viel europäischer denken, und wenn die FDP der Meinung ist, dass ich die Richtige an dieser Stelle wäre, würde ich mich fügen." Und sie fügt hinzu: "Man kann ja Macron auch mal aus Europa ärgern."
Quelle: ntv.de