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Björn Höcke im TV-Duell Aalglatt, verlogen, schamlos

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Der Sender "Welt" TV zeigte den Schlagabtausch am Donnerstagabend.

Der Sender "Welt" TV zeigte den Schlagabtausch am Donnerstagabend.

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Im TV-Duell gelingt dem thüringischen CDU-Fraktionschef Mario Voigt nicht, was die Politik seit einem Jahrzehnt versucht: Björn Höcke zu "entzaubern" - ohnehin ein zweifelhafter Maßstab. Aber er hat gezeigt: Die AfD ist längst "Altpartei".

Seit einem Jahrzehnt bemühen sich Politiker von links bis bürgerlich, Medien zwischen "taz" und FAZ sowie große Teile der Zivilgesellschaft, was immer heutzutage darunter zu verstehen ist, das Phänomen AfD zu entschlüsseln, sie zu "entzaubern", stets in der naiven Hoffnung, dass die Partei danach in sich zusammenfällt und ihre Anhängerschaft sich wieder der demokratischen Mitte zuwendet. Doch es will einfach nicht gelingen. Die AfD zu ignorieren, wie es die Berliner Parteizentralen lange versucht haben, hat nicht funktioniert. Zu inhaltlichen Auseinandersetzungen kommt es nur in den Parlamenten - fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Denn wer schaut sich schon Landtags- oder Bundestagsdebatten an?

Doch kaum war das TV-Duell zwischen dem Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke und seinem CDU-Amtskollegen Mario Voigt angekündigt, begann die Diskussion, ob man Rechtsextremisten eine Bühne geben darf, von der aus sie die Demokratie zu schleifen versuchen. Das klingt wenig selbstbewusst, ängstlich und verzagt und stets so, als sei das Internet noch nicht erfunden, als sei unbekannt, dass es die AfD war, die die (a)sozialen Medien für sich erobert hat wie keine andere Partei - auch weil sie bisher vom öffentlichen Diskurs möglichst ferngehalten wurde. Höcke braucht nicht Miosga oder Illner, er hat Youtube und Tiktok.

Es wundert kein bisschen, dass das Urteil über Voigt vor allem in der linken Blase aus Selbstherrlichkeit schon vor der Redeschlacht feststand: Der kann es nicht, wird Höcke nicht "entzaubern", wobei "Entzauberung" ohnehin ein zweifelhafter Maßstab ist, weil er Menschen, die mit der AfD sympathisieren, kollektiv für blöd erklärt, als wüssten die nicht, mit wem sie es zu tun haben. In Thüringen wählten und wählen sehr viele Menschen AfD nicht trotz, sondern wegen Höcke, der die Sehnsucht nach einem autoritären Staat verkörpert, der alle gefühlten und tatsächlichen Probleme im Handumdrehen löst, angeblich.

"Das haben Sie auch nicht verstanden"

Lässt man "Entzauberung" als Kriterium zu, ist Voigt weitgehend gescheitert - die Umfragewerte der AfD werden nicht einbrechen, Höckes Popularität in Thüringen nicht sinken. Doch dimmt man die Erwartungshaltung auf Normalmaß, hat der Christdemokrat eine Menge erreicht. Denn mit seinen - die Strategie war leicht durchschaubar - auf bürgerlich getrimmten Aussagen hat Höcke seine Partei einer Koalition mit der CDU kein Stück nähergebracht, das Gegenteil ist der Fall. Vor allem aber zeigte sich der Rechtsextremist vor Millionenpublikum exakt so, wie er und die AfD Politiker der "Altparteien" permanent darstellen: arrogant, aalglatt, verlogen, feige, dreist, schamlos und elitär.

Immer wieder präsentierte sich der AfD-Mann als - in seiner Wahrnehmung - überschlauer Übermensch, während er sein Gegenüber als geistig minderbemittelt abtat, etwa wenn er ihm unterstellte, seine, Höckes, Gedankengänge "anscheinend nicht verstanden" zu haben, um später zu sagen: "Das haben Sie auch nicht verstanden." Bei Bedarf versuchte Höcke, Voigt kleinzumachen: "Müssen Sie sich das sogar aufschreiben?" Und bald danach: "Das ist ja schön, dass Sie einen Halbsatz aus meinem Buch zitieren. Den hätten Sie aber nicht aufschreiben müssen, den hätten Sie aus dem Kopf zitieren müssen." Eine solche Arroganz muss man erst einmal in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen.

Umso erstaunlicher war es, dass Höcke nur wenige Minuten später seinem eigenen hohen Anspruch nicht gerecht wurde und er bestimmte Stellen seines Buchs nicht auf dem Schirm hatte, wie er zumindest behauptete. Man könne nicht erwarten, dass er sich an "jede Passage" seines vor sechs Jahren erschienenen Buchs erinnern könne, sagte Höcke. Es war offenkundig, dass er die Gedächtnislücken nur vorgab, um sich vor einer Antwort zu einer Frage über seine rassistische Aussage über die sozialdemokratische Vizepräsidentin des Bundestages, Aydan Özoğuz, zu drücken.

Wer's glaubt, wählt die AfD

Das kommt auch bei anderen Politikern vor. Nur ist es die AfD, die von sich behauptet, eine Alternative zu den "Altparteien" und viel besser zu sein. Das gilt ebenso für die verbalen Verrenkungen, die Höcke machte, um frühere Aussagen einzufangen und zu relativieren - auch das ein altbekanntes Mittel der "Altparteien". Höcke sagte: "Ich bin kein Feind des Islams." Mit "Remigration" meine er Rückholung der 1,5 Millionen Menschen, die "in den letzten 30 Jahren ausgewandert" seien. Also nicht Ausländer raus, sondern Deutsche aus dem Ausland rein? "Das ist eigentlich eine alte Definition von mir", erklärte Höcke. Wer das glaubt, wird selig und wählt die AfD.

Es ist bekannt, dass sich AfD-Mitglieder und -Anhänger zu den Aufgewachten, den Erweckten, den Wissenden zählen, zu einer Elite jenseits der "Schlafschafe", obwohl sie "die Elite" und "das Establishment" ablehnen. Der Moderator wollte von Höcke wissen, ob er schon mal einen Firmeninhaber getroffen habe, der wolle, dass die EU aufgelöst werde oder Deutschland aus ihr austrete. "Ja", antwortete der Studiogast, "Jeder Unternehmer, der wirklich nachdenkt, der ist mittlerweile der festen Überzeugung", dass "die Bürokratie", "die Gängelung" und die "weitere Zentralisierung" ein unerträgliches Maß erreicht hätten und die EU die Energiepreise treibe.

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Hier zeigte sich Höckes Dreistigkeit und Raffinesse. Das "ja" suggerierte, dass es in Thüringen eine größere Zahl Unternehmer gibt, die der AfD folgen - das sind demnach aber nur die, die "wirklich" nachdenken, nicht der dumme Rest, der für andere Parteien stimmt. Im Umkehrschluss heißt das obendrein, dass alle anderen, die zu gegenteiligen Schlüssen kommen, nicht "wirklich" nachdenken und deshalb an der EU festhalten. Die Wahrheit sieht anders aus: So gut wie jeder Unternehmer in Deutschland beklagt Bürokratie, Gängelung und weitere Zentralisierung durch die EU sowie hohe Strompreise - und will trotzdem die Union erhalten und auch keinen Dexit.

Doch klar ist auch: Rationale Argumente sind im politischen Wettstreit nur noch die Hälfte wert, Emotionen - allen voran die Verbreitung von Angst vor Wohlstandsverlust und Kriminalität - haben mehr Zugkraft, erst recht, wenn sie mit dem Versprechen einhergehen, dass demnächst alles wieder so sein wird, wie es in der geschönten Erinnerung einmal war. Schon deshalb kann nur eine Konsequenz des TV-Duells für alle Parteien sein, sich der AfD zu stellen, wie Voigt es getan hat. Der Anfang ist endlich gemacht - dank eines bisher ziemlich unbekannten Christdemokraten.

Quelle: ntv.de

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