Wieduwilts Woche

Keine Angst vor Rechtsextremen Deutschlands schlechtester Geschichtslehrer darf kein Tabu sein

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Im TV-Duell des Senders Welt konnte Höcke sich angeblich nicht an seine Hetze gegen die Bundestagsvizepräsidentin erinnern.

Im TV-Duell des Senders Welt konnte Höcke sich angeblich nicht an seine Hetze gegen die Bundestagsvizepräsidentin erinnern.

(Foto: dpa)

Das TV-Duell hat Höcke nicht entlarvt - und trotzdem war es kein Fehler, denn lernen konnte man am Donnerstagabend viel. Wegschauen hilft nicht gegen Rechtsextreme.

Dieses TV-Duell war kein Fehler. Es gilt der alte Grundsatz: Mehr Information ist besser als weniger Information. Das bedeutet nicht, dass das von der demokratiefreundlichen Mehrheit gewünschte Ergebnis eingetreten ist. Viele sehen ein Unentschieden, Höcke-Fans finden Höcke toll und die Union feiert den Professor, Mario Voigt, als tapferen Bestienbezwinger.

Das ist kein Misserfolg: Rededuelle sind kein Vehikel zur Parteischrumpfung. Wer die Aufgabe von Medien darin sieht, AfD-Kampfmittel bereitzustellen, missversteht deren Funktion. Es geht um Information: Und lernen konnte man am Donnerstagabend viel: über Worte, Körpersprache - und Deutschlands manchmal sperrige historische Hypothek.

Höcke formuliert wie immer so, wie ein Heavy-Metal-Airbrush-Gemälde aussieht: "Ein Drache und ein Krieger kämpfen auf dem Berg", rappten dazu bekanntlich Deichkind. "Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann", dieser Höcke-Satz bildete den Anlass für das Duell, klang allerdings nicht "leider geil".

"Dicke Lippe" riskiert

Gespreizte Theatralik umweht Höcke bei jedem Auftritt. Er bedient damit die Sehnsucht unter Rechtsextremen nach Epos, Bestimmung und Wichtigkeit. Seit dem Untergang des Dritten Reichs hat sonst niemand so geredet. Im Duell gibt Höcke sich insgesamt eher zahm, nur einmal rutscht ihm heraus, dass Voigt "eine dicke Lippe riskiere" - eine bedrohliche, nämlich gewaltverheißende Formulierung.

Voigt war immerhin vorbereitet. Anders als viele Redner bemühte er sich um konkrete, greifbare Sprache. Die EU sei das Haus, das uns immer beschützt habe, malt er aus, und da könne auch mal eine Tür quietschen. Solche Formulierungen lassen Bilder entstehen, ebenso wie die sorgsam zurechtgelegten Heimat-Anekdoten. Das fiel auch Höcke auf, der, wie jeder charismatische Redner, ein Ohr für diese Dinge hat.

Interessanter als die Worte waren die Gesten an diesem Abend. Mario Voigt stützte sich die meiste Zeit auf das Pult. Das sieht dann aus wie ein alter Mann, der mit dem Rollator für ein kurzes Schwätzchen über den Gartenzaun pausiert. Er unterstreicht damit eine gewisse Helmutkohligkeit - und das ist ein großes Risiko: Was immer er sagt, kann Höcke damit kontern, dass die CDU die jüngere deutsche Geschichte maßgeblich geprägt hat. Es ist die Erzählung vom "Establishment", den Altparteien und so weiter - und Voigt sieht sehr arriviert aus, mit beiden Händen am Pult.

Gesegnetes Publikum

Höcke dagegen berührt das Pult nur selten und wenn, dann nur ganz leicht, mit den Fingerspitzen. Er wirkt dadurch agiler. Seine Gesten sind sehr weit, theatralisch wie seine Airbrush-Sprache. Mehrfach breitet er die Arme mit nach vorn gerichteten Handflächen aus, als wolle er das Fernsehpublikum segnen. Es wirkt allerdings eher hilflos, ähnlich wie seine gelegentlichen Rufe, einen "alternativen Faktencheck" würde er auf der Plattform X anbieten.

Nur gelegentlich geraten beide Redner in sichtbare Verlegenheitsgesten: Als Voigt ein paar Punkte macht, indem er sich in eine Kassiererin versetzt, stützt Höcke das Kinn auf die Faust. Seine Mimik zuckt, es tobt in ihm. Als Höcke wiederum Voigt angreift, trinkt dieser einen Schluck Wasser. Es wirkt verlegen - man sollte im Grunde weder Glas noch Pult anfassen, wenn man in eine solche Manege steigt.

Höcke geht ziemlich die Luft aus, als die Moderatoren ihn auf sein Buch ansprechen und fragen, ob die Bundestagsvizepräsidentin und in Hamburg geborene Aydan Özoğuz, "in Deutschland nichts verloren" habe, "weil sie jenseits der Sprache keine spezifisch deutsche Kultur" habe. Höcke führt nun ein bizarres Bauerntheater auf, fragt nach, wie die Dame noch einmal heiße, er erinnere sich nicht, das mit dem Buch sei alles Jahre her.

Grauenhaftester Lehrer der Republik

Voigt bleibt hier zahm. Vielleicht stecken taktische Erwägungen dahinter: Voigt buhlt mit Höcke teils um dieselben Wähler. Wenn er wie ein Linker oder Grüner auf Höckes braunen Stellen herumdrückt, macht ihn das vielleicht nicht sonderlich attraktiv. So sagt Voigt, als die Sprache auf Höckes Nazi-Vokabular kommt, das hätten ja schon Gerichte festgestellt.

Weniger zerbrechlich wirkt Höcke bei der Frage nach "Alles für Deutschland", eine SA-Losung, die der Geschichtslehrer Höcke gern verwendet und behauptet, deren Herkunft nicht zu kennen. Höcke ist damit entweder ein kühler Lügner oder der grauenhafteste Lehrer der Republik - oder beides. Wer das TV-Duell gesehen hat, muss über die Antwort auf diese Frage nicht lange nachdenken.

Höcke stellt "Alles für Deutschland" - er sagt effektvoll "Alles für De-" - den Sprüchen der Linken gegenüber: "Deutschland verrecke!" sei immerhin straffrei. Er findet damit einen wunden Punkt: Wie viele Deutsche kannten die SA-Losung schon? Wie viele benutzen ihn unbewusst? Die Telekom hat zwar wohl nicht, wie Höcke meinte, die SA-Parole verwendet. Aber in einer Broschüre aus dem Jahr 2001 stand "Jedem das Seine!" - der Slogan vom Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar. Der Slogan kann als Billigung des Holocausts strafbar sein.

"Impfen macht frei"? Auch verboten

Deutschland ist freiheitlich, so bestimmt es das Grundgesetz - aber es misstraut den eigenen Bürgern: Deshalb überlässt die Verfassung unser Schicksal nicht dem freien Spiel der Kräfte. Deshalb dürfen Deutsche Widerstand leisten, deshalb dürfen sie nicht den Holocaust leugnen und deshalb kann das Bundesverfassungsgericht Parteien verbieten.

Die Deutschen dürfen die deutschen Völkermorde leugnen, nicht aber den Holocaust. Sie dürfen die Swastika nur in bestimmten Zusammenhängen nutzen, etwa im Lexikon oder, inzwischen, in Satiren oder Filmen. Sie dürfen nicht "Impfen macht frei" sagen und eben auch nicht "Alles für Deutschland".

Der Nahost-Konflikt reißt hier die nächste Wunde auf: Dass Migranten sich zu Israel bekennen sollen, nimmt man in der AfD noch hin. Aber dass man nicht mehr "from the river to the sea" skandieren darf? Dann sind da noch die Strafverfahren gegen alle, die mit dem russischen "Z" erwischt werden. "Man darf ja nichts mehr sagen in Deutschland" ist ganz überwiegend Quatsch - aber ein paar Tabus gibt es durchaus, die meisten aus guten Gründen. Am Freitag schlägt die Union sogar noch eine Schärfung vor: Künftig soll auch die Leugnung des Existenzrechts Israels als Volksverhetzung strafbar sein. Es ist eine richtige Maßnahme, aber keine leichte.

Richtige Tabus und falsche Ängste

Die tatsächlich existierenden Tabus in Deutschland lassen sich jedenfalls solchen Menschen schwer vermitteln, die unsere historische Verantwortung ablehnen. Hier werden rechtsextreme Revisionisten wie Höcke immer punkten können. Die Hoffnung bleibt, dass hinter den über 25 Prozent AfD-Wählern in Ostdeutschland nicht ausschließlich Menschen stehen, die sich selbst die nächsten sind.

Denn diesen harten Kern der AfD, wie groß auch immer er sein mag, wird Voigt nicht erreichen und auch sonst niemand mehr. Deshalb sollten wir die richtigen, historisch bedingten Tabus nicht durch falsche Angst vor einem TV-Duell ergänzen.

Quelle: ntv.de

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