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Wikileaks-Aktivist ist frei Assange zu brechen, ist nicht gelungen - gut so

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Julian Assange landet nach seiner Freilassung aus dem Londoner Gefängnis in Bangkok.

Julian Assange landet nach seiner Freilassung aus dem Londoner Gefängnis in Bangkok.

(Foto: picture alliance/dpa/@wikileaks/PA Wire)

Julian Assange bietet gute Gründe, ihn nicht zu mögen. Er ist radikal, stellt Transparenz über alles. Das macht ihn streitbar, auch gefährlich. Doch die Jagd westlicher Mächte auf den Aktivisten war willkürlich und nicht rechtens. Das musste ein Ende haben.

Sehr selten begrüßt der Sperrbildschirm des Handys die Nutzerin mit einer Breaking News, die Freude macht: Julian Assange ist frei. Bereits am Montag hat er ein Flugzeug bestiegen und London in Richtung seiner australischen Heimat verlassen. Assange, Wikileaks-Gründer und politischer Aktivist, der fünf Jahre in einem britischen Hochsicherheits-Gefängnis einsaß, sich zuvor sieben Jahre lang verschanzt hatte in der Botschaft Ecuadors in London: Plötzlich ist er frei. In einem Video, das weltweit geteilt wird, steigt er mit schlenkernden Armen die Stufen ins Flugzeug hoch. So sieht es aus, wenn ein unwürdiges Justizdrama nach viel zu vielen Jahren zum Ende kommt.

Kurz, woran sich das Drama entzündete: Im Jahr 2010 übergibt Chelsea Manning, IT-Spezialistin der US-Army, fast 500.000 Geheimdokumente zu den Kriegen in Afghanistan und Irak an Wikileaks. Julian Assange macht sie öffentlich.

Darunter etwa ein Video, das zeigt, wie Soldaten eines US-Kampfhubschraubers zwei irakische Zivilisten erschießen. Die beiden Männer bergen gerade einen verletzten Reporter, hieven ihn in ihr Auto und brechen dann unter MG-Salven tot zusammen. Zwei Kinder, die gut erkennbar vorn im Auto sitzen, werden schwer verletzt. "Collateral Murder" heißt das Video auf Youtube, Mord als Begleitumstand.

Unter den 500.000 geheimen Dokumenten enthüllen einige mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen, Korruption auch Folter. Assange wird 18-fach wegen Verdachts auf Spionage angeklagt und begibt sich für die folgenden 14 Jahre auf die Flucht vor der US-Justiz. Ihm drohen 175 Jahre Haft.

"I love Wikileaks", erklärte Donald Trump

Gut, dass der drohende US-Prozess nun abgewendet wurde. Nicht etwa, weil Assange mit Wikileaks doch nur Journalismus geschützt durch die Pressefreiheit betrieben hätte. Er ist Aktivist, agierte oftmals radikal, auch rücksichtslos. Die 2010 veröffentlichten Dokumente enthielten haufenweise Klarnamen von Informanten und Beteiligten. Wikileaks veröffentlichte alles ohne Schwärzung. Die Sicherheit dieser Leute - Assange ficht sie nicht an. 2016 machte die Plattform internen Mailverkehr der US-Demokraten öffentlich und schadete damit massiv Hillary Clintons Wahlkampf. "I love Wikileaks", erklärte Donald Trump damals und zog kurz danach ins Weiße Haus ein.

All das jedoch rechtfertigt nicht, einen, der mutmaßliche Kriegsverbrechen aufdeckt, der Spionage zu bezichtigen. Staatsgeheimnisse solcher Art verdienen keinen Schutz. Auch investigativer Journalismus lebt davon, verborgene Fakten auf Relevanz abzuklopfen und - falls geboten - zu veröffentlichen.

Schon gar nicht rechtfertigt Assanges Aktivismus, was ihm - einmal ins Visier der Macht geraten - anschließend widerfuhr: Im Umgang mit dem Wikileaks-Chef wimmelte es von Willkür. Die schwedische Justiz erließ einen Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen aufgrund von Zeugenaussagen, die manipuliert worden waren. Das machte ein UN-Bericht im Jahr 2020 öffentlich. Anklage wurde nie erhoben, der Haftbefehl blieb über neun Jahre bestehen. Als die ecuadorianische Botschaft 2019 Assanges Asyl aufhob, kam er ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, saß dort in Isolationshaft. Fünf Jahre lang, ebenfalls ohne Anklage.

"Psychologische Folter" nannte das der damalige UN-Sonderermittler für Folter, Nils Melzer, nach Abschluss seines Berichts. Was Wikileaks getan habe, bedrohe die politischen Eliten in den USA, England, Frankreich und Russland gleichermaßen, sagte Melzer 2020 in einem Interview mit dem Schweizer Magazin "Republik". Was den Schluss nahelegte, das jahrelange Verfahren habe genau ein Ziel gehabt: Assange zu demontieren. Der UN-Mann nannte es "ein abgekartetes Spiel". Gestern wurde es abgeräumt.

Wenn ein UN-Bericht so schwere Vorwürfe gegen Machteliten westlicher Demokratien erhebt, dann ist das auch ein gefundenes Fressen für solche, die Demokratie am liebsten abschaffen wollen. Der Fall Assange taugte auch als vermeintlicher Beleg für dysfunktionale, korrupte Demokratie. Gern wurde er herangezogen, wenn es darum ging, die skrupellose Willkürherrschaft etwa eines Wladimir Putin zu relativieren.

Womöglich sind es rein taktische Gründe, die die USA nun dazu bewegen, dem Aktivisten entgegenzukommen. Sein Fall diktierte weltweit so viele Schlagzeilen, rief so viele prominente Unterstützer auf den Plan: Bevor der Wahlkampf in den USA im Herbst richtig aufdreht, ist es für Präsident Joe Biden sicherer, das verfängliche Thema endlich abzuräumen. Der Justizdeal macht die schikanöse Jagd auf Assange nicht ungeschehen, aber ermöglicht ihm nach 14 Jahren Unfreiheit ein neues Leben. Das ist eine gute Nachricht.

Quelle: ntv.de

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