
Seit 2022 steigt die AfD in den Umfragen in neue Höhen - und auch jüngste Enthüllungen dürften daran nichts ändern.
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Nach dem Auffliegen des Potsdamer "Remigrations"-Treffens ultrarechter Kräfte wird so getan, als sei die AfD nun aber wirklich rechtsextremer Umtriebe überführt. Bekannt ist das schon lange, abschrecken wird es die Wähler nicht. Denn die Partei hat es leicht wie nie - und das liegt auch an der Konkurrenz.
Warum ist der ARD-"Tatort" ungebrochen erfolgreich? Einerseits, weil er deutsches Kulturgut ist, ein nostalgisches Relikt jener Jahre, die manche die "gute alte Zeit" nennen. Andererseits, weil jede Folge ein Happy End bringt, das Gute über das Böse siegt. Die Kommissare erwischen selbst den cleversten Übeltäter und bannen mörderische Gefahr. Nach 90 Minuten ist der Wunsch nach Ordnung, Gerechtigkeit und heiler Welt erfüllt, selbst wenn der Film einen tragischen Schluss hat, trauernde und zerrüttete Familien zurückbleiben.
Im wahren Leben geht es leider anders zu, erst recht in Zeiten gefährlicher Eruptionen überall auf der Erde. Die Sehnsucht nach Ordnung, Gerechtigkeit und heiler Welt wird Tag für Tag enttäuscht, Frustration und Resignation steigen, je mehr die Menschen spüren, dass Risiken, welcher Art auch immer, lauern. Moderne Gesellschaften sind fragmentiert, polarisiert, das Parteiensystem fasert aus. Politik, die die große Mehrheit mitnimmt, scheint zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein. Recht machen kann man es sowieso nicht allen, immer wird eine Klientel klagen und protestieren. Der Versuch eines internationalen Miteinanders zur Lösung globaler Probleme scheitert an Nationalismus, Protektionismus, Autokratien und Diktaturen.
Es ist also alles andere als ein Wunder, dass der Ruf nach der ordnenden Hand, die alles - und zur Not radikal - richtet, weltweit laut wird. Der Verlockung des Autoritären erliegen auch in Deutschland mehr und mehr Menschen. Bei uns steht insbesondere die AfD für diese Strömung, die verspricht, Probleme des Landes im Handumdrehen zu lösen. Ausländer raus - und gut ist! Einwanderung stoppen - und gut ist! Dass die Welt komplizierter ist, wird beharrlich ignoriert, auch und gerade in der Anhängerschaft der rechten Partei, was ja verständlich ist, da Hoffnung auf Besserung Ängste eindämmt.
Gegen Subventionen mit der Gießkanne
Die AfD wirft dem linken Lager Wunschdenken vor, wenn es um die Folgen unkontrollierter Einwanderung geht. Wunschdenken kennzeichnet aber auch ihre eigene Politik. Weder der Klimawandel noch die Migrationsströme lassen sich in Luft auflösen. Die AfD bedient besonders geschickt den wachsenden Teil der Bevölkerung, der sich der Irrationalität und Widersprüchlichkeit verschrieben hat, weil sie selbst so tickt. Sie fordert in ihrem Grundsatzprogramm, EU-Subventionen nach dem Gießkannenprinzip "Schritt für Schritt zurückzufahren", aber unterstützt Proteste gegen Kürzungen staatlicher Zuschüsse für Agrardiesel. Sie verteidigt den Tyrannen Putin, verdächtigt aber alle anderen Bundestagsparteien, die Republik in eine Diktatur verwandeln zu wollen. Die AfD beklagt Masseneinwanderung von Menschen, die Russland mit seiner aggressiven Außenpolitik in Europa, Afrika und Nahost befeuert.
Die AfD punktet damit, dass sie Probleme vermeintlich klar und deutlich benennt - auch wenn es bei den Lösungen schnell dünne wird. Das hat mit ihrer Rücksichtslosigkeit aufgrund ihrer radikalen Ausrichtung zu tun. Das gesamtgesellschaftliche Miteinander interessiert sie bevorzugt, wenn damit "assimilierte" deutsche Staatsbürger gemeint sind. Dass die völkische rechtsextreme Strömung innerhalb der AfD an Stärke gewinnt, ist spätestens durch alarmierende Verfassungsschutzberichte belegt. Der Begriff der "millionenfachen Remigration", der Abschiebung von Ausländern und auch deutschen Staatsbürger, die aus Sicht der AfD nicht zur Bundesrepublik gehören, ist in der Partei populär. Dahinter steckt der Wunsch nach einer Diktatur, wie sie Björn Höcke in einem Buch angekündigt hat. Dort schrieb er, der "Volkstod durch Bevölkerungsaustausch" werde nur mittels Politik der "wohltemperierten Grausamkeit" zu stoppen sein.
Es ist verwunderlich, dass - bei aller verständlichen Empörung - über das Potsdamer Treffen faschistoider Hardliner unter Beteiligung von AfD-Repräsentanten nun so getan wird, als sei die Partei rechtsextremer Strömungen überführt worden. Die sind aber lange bekannt. "Keine Toleranz für die Intoleranten" hallt prompt der Ruf durchs Land, als müsse endlich jeder verstehen, welchen Charakter die AfD hat. Erreicht werden damit aber nur diejenigen, die die Partei sowieso nicht wählen. Die Anhänger der AfD interessiert das nicht, die Führung auf Bundesebene nur mäßig. Sonst wäre Höcke längst kein Machtfaktor in der Partei mehr.
Gegen "die da oben" in Berlin
Die AfD folgt nicht nur dem Zeitgeist, sie bestimmt ihn auch mit. Und der driftet nach rechts. Bisher hat ihr nichts geschadet, kein Skandal, keine Parteispendenaffäre, keine Pöbelei, keine "Vogelschiss"-Äußerung, keine noch so üble Rede oder Verleumdung eines politischen Gegners. Warum sollte sich daran etwas ändern? Warum sollten die Menschen plötzlich Abstand von der AfD nehmen? Warum sollte Rationalität plötzlich dominieren? Man schaue nur in die USA, was dort gerade abgeht. Sich als Problemlöser und Kümmerer zu inszenieren, das kommt an - das hat auch die AfD erkannt. Sie hat es geschafft, als Vertreter der Unzufriedenen wahrgenommen zu werden: Wir sind bei euch im Kampf gegen "die da oben" und die "Volksverräter" in Berlin.
Die Linie des Konfliktes verläuft zwischen Stadt und Land, der "Elite" in Berlin und dem "einfachen Volk". Es geht um Entfremdung, Kränkung und fehlende Anerkennung: "Niemals vergessen! Wir Bauern erzeugen euer Essen." Dort, wo Frustration herrscht, ist die AfD vor Ort präsent. Und obenauf. Und sie hat das große Glück, nicht regieren zu müssen. Die Partei kann genüsslich zuschauen, wie sich die Konkurrenz bemüht, Deutschland in schwierigen Zeiten am Laufen zu halten, und wie sich die von einem schwachen Kanzler geführte Ampelkoalition zerlegt, die einfach nicht dazulernt.
Die anderen Parteien verbünden sich bislang in Ostdeutschland in allen möglichen und unmöglichen Koalitionen, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Was es der rechten Partei wiederum noch einfacher macht. Einerseits kann sie das Feindbild der "Altparteien" untermauern, ihnen SED-haften Dünkel zur Verhinderung der einzig wahren Alternative unterstellen. Andererseits ist sicher: Je weiter ein Regierungsbündnis politisch auseinander liegt, desto größer ist das Konfliktpotenzial. Die Ampel beweist es jeden Tag.
Die nationalen Probleme werden bleiben, ohne dass der Kreis und die Städte zusammenbrechen, in denen die AfD den Landrat oder Bürgermeister stellt. Gerade hier zeigt sich, dass das ewige Schwingen der Nazi-Keule nach hinten losgeht. Wenn jeder, der nicht gut findet, was die irrlichternde Bundesregierung beschließt, zum rechten Schweinehund abgestempelt wird, treibt das die Erniedrigten und Beleidigten nur weg aus der Mitte der Gesellschaft - und schnurstracks in die Arme der AfD.
Quelle: ntv.de