"Bürgergeld ist Geschichte" Diese Einigung könnte die Stimmung drehen


Das Bürgergeld ist Geschichte, zumindest in wichtigen Teilen - und die SPD ist fein damit. Merz löst damit ein wichtiges Wahlversprechen ein.
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Zehn Stunden lang verhandeln Merz, Söder, Bas und Klingbeil im Kanzleramt. Am Ende räumen sie drei Streitthemen ab: Bürgergeld, Rente und Verkehr. Vor allem die Einigung beim Bürgergeld sticht hervor. Sie ist ein wichtiges Signal, auch wenn sie den Haushalt nicht sanieren wird.
Am Ende sagt nicht Kanzler Friedrich Merz, sondern CSU-Chef Markus Söder den Satz des Tages: "Das Bürgergeld ist Geschichte". Es ist ein Satz, auf den die Union spätestens seit Einführung des Bürgergelds vor knapp drei Jahren hingearbeitet hat. Der bayerische Ministerpräsident sitzt am Morgen gemeinsam mit Merz und den SPD-Vorsitzenden Bärbel Bas und Lars Klingbeil im Kanzleramt. Sie haben eine Nachtsitzung hinter sich, bei der sie das Ende des Bürgergelds, aber auch andere Fragen zu Rente und Infrastruktur geklärt haben.
Das Bürgergeld soll künftig "Neue Grundsicherung" heißen und der Staat will strenger werden. Das Ziel: mehr Sanktionen, mehr Härte. Die Vermittlung in Arbeit soll wieder Vorrang vor Weiterbildung haben, zumindest für alle über 30. "Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben", droht Arbeitsministerin Bas.
Sie ist bereit, zum Äußersten zu gehen: Im Extremfall soll es künftig kein Geld mehr geben. Wer nicht zu Terminen erscheine, könne keine Mittel bekommen, sagt die Duisburgerin, die als Kind selbst auf Sozialleistungen angewiesen war. "Das kann ich auch gegenüber der Partei vertreten", sagt sie. Ihr Gesetzentwurf werde nun angepasst und könne schon bald ins Kabinett eingebracht werden. Die Sache läuft jetzt - und Merz löst damit ein wichtiges Wahlversprechen ein.
Nicht alles neu in der "Neuen Grundsicherung"
Damit bekommt die "Neue Grundsicherung" ein anderes, unfreundlicheres Gesicht als das Bürgergeld. Mehr Härte, weniger Augenhöhe. Zentrale Punkte des Bürgergelds sind tatsächlich Geschichte.
Aber nicht alle: So bleibt die Höhe der Regelsätze unangetastet - und die stand stets im Zentrum der Kritik. Diese Kritiker übersahen aber gern, dass 563 Euro für alleinstehende Erwachsene nun einmal das Existenzminimum sind. Das ist vom Grundgesetz vorgegeben - viel kann eine Regierung da nicht machen.
Bas betont außerdem, es gebe weiterhin den sogenannten "Kooperationsplan" zwischen Jobcenter und Kunden. Das war eine Neuerung des Bürgergeldes. Sie sollte Augenhöhe zwischen Bürgergeld-Empfängern und Jobcenter herstellen. Bei Hartz IV hatte es die wesentlich strengere Eingliederungsvereinbarung gegeben, die schnellere Sanktionen ermöglichte. Mit Augenhöhe hatte die nicht viel zu tun.
Trotzdem, diese Reform gleicht einer Schubumkehr. Vor allem für die SPD. Sie verabschiedet sich von einem einstigen Lieblingsprojekt, mit dem sie vor vier Jahren voller Hoffnung in die Ampel-Koalition gestartet war: Hartz IV abschaffen und durch etwas Netteres ersetzen.
Doch das Bürgergeld geriet zum Eigentor - weil es etwas auslöste, was Sozialleistungen auf keinen Fall auslösen dürfen: Zweifel daran, ob es sich noch lohnt, jeden Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu fahren. Durch die schwachen Strafen bekam das Bürgergeld den Ruf eines bedingungslosen Grundeinkommens. Solche Zweifel sind Gift für die Akzeptanz des großen Ganzen, des Sozialstaates, ja vielleicht sogar des Staates insgesamt.
Wer dann noch beobachtet, dass Bürgergeld-Empfänger noch ein paar Tage schwarz arbeiten und am Ende mehr haben, bei dem wächst der Frust. Das gab es bei Hartz IV zwar auch schon - in Zeiten der Rezession sorgt es aber für besonders großen Unmut. Plötzlich klafft da eine Gerechtigkeitslücke. Es ist richtig, dass die Koalition diesen Missbrauch, insbesondere die Schwarzarbeit, verstärkt bekämpfen will.
Eher keine Haushaltssanierung
Eines wird die Abschaffung des Bürgergelds aber nicht bringen: Eine große Entlastung im Haushalt. Merz hatte im Wahlkampf mal von 30 Milliarden Euro Einsparungen gesprochen, mittlerweile ist er bei etwa 5 Milliarden angekommen. Bas dämpft die Erwartungen. "Der Betrag wird sehr klein sein", sagt sie zu möglichen Einsparungen. Denn wer kein Geld mehr bekommt, dürfte beim nächsten Mal wieder zum Termin erscheinen. Und dann fließt das Geld wieder. Diesen erzieherischen Effekt dürften die Sanktionen haben. "Über Sanktionen und Mitwirkungspflichten werden wir keine Milliarden einsparen", sagt die Ministerin.
Zumal die knapp vier Millionen arbeitsfähigen Bürgergeldempfänger nicht alles faule Säcke sind. Das kommt in der Debatte immer zu kurz: Es gibt so viele Bürgergeld-Empfänger, weil die Wirtschaft kriselt und viele ihren Job verloren haben, Verweigerer hin oder her. Viele sind auch alleinerziehende ukrainische Mütter, deren Ausbildungen nicht anerkannt werden. So zeigen sich Merz und Bas auch darin einig, was wirklich die Kosten für das Bürgergeld senkt: mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Dafür brauche es Wirtschaftswachstum. Das ist bislang aber nur in homöopathischen Dosen zu erwarten.
Trotzdem ist diese Einigung viel wert. Sie ist ein Signal: Die Koalition packt die Gerechtigkeitsfrage beim Bürgergeld an und kommt damit bei einem Ziel weiter, das noch über Wachstum und Frieden in Europa steht: Vertrauen zurückgewinnen. Die Koalition zeigt, dass sie sich einigen kann, die SPD stellt ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis. Geht man davon aus, dass das Bürgergeld zur schlechten Stimmung in Deutschland beigetragen hat, könnte diese Einigung ein Lichtblick sein. Sofern die Menschen dieser Regierung überhaupt noch zuhören.
Quelle: ntv.de