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Karlsruhe stoppt Heizungsgesetz Schneller, schneller ... Bruchlandung!

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Kein glückliches Händchen beim Heizungsgesetz: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Kein glückliches Händchen beim Heizungsgesetz: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen das Verfahren zum Heizungsgesetz ist eine Zäsur. In der Koalition hat sich eine gefährliche Betriebsblindheit eingeschlichen. Sie sollte dringend Konsequenzen ziehen - und von einer Sondersitzung in der Sommerpause absehen.

Das Bundesverfassungsgericht ist sich nicht sicher, ob die Regierungsparteien beim Verfahren zum Heizungsgesetz die Rechte der anderen Abgeordneten verletzt haben. Weil aber mit der geplanten Verabschiedung des Gesetzes am Freitag ein womöglich nicht wiedergutzumachender Schaden entstanden wäre, entscheiden sich Deutschlands höchste Richter für ein Novum: Sie stoppen das Verfahren. Die Ampelfraktionen müssen nun selbst entscheiden, wie sie zu einer ordentlichen Gesetzgebung zurückfinden. Die Verfassungsrichter ihrerseits werden sich Zeit nehmen, um grundsätzlich festzulegen, in welchem Umfang und mit welchen Mindestfristen die Opposition in Gesetzgebungsverfahren einzubinden ist. Das ist eine gute Nachricht für die parlamentarische Demokratie - und eine historische Blamage der Regierungskoalition.

Noch bis zum Moment der Entscheidung herrschte bei den Regierungsparteien Unverständnis dafür vor, was sie da eigentlich angerichtet hatten in den vergangenen Wochen. Wiederholt erinnerten Vertreter der Grünen an Ausschusssitzungen in Zeiten der Großen Koalition, in denen sie als Oppositionsvertreter kurz vor Sitzungsbeginn noch umfangreich veränderte Gesetzentwürfe überreicht bekamen. Ein Gesetz von derartiger Tragweite wie die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), das Deutschlands Wärmeversorgung grundlegend umgestalten soll, zwischen erster und zweiter Lesung in Teilen neu zu schreiben und diese Änderungen erst zwei Tage vor der ebenfalls kurzfristig angesetzten Sachverständigenanhörung fertig zu haben, ist aber ein beispielloser Vorgang.

Es gibt keinen Zwang zur Eile

Es kann auch nicht als mildernder Umstand gelten, dass die Verzögerungen im GEG-Gesetzgebungsverfahren maßgeblich auf die FDP zurückgehen. Es waren letztlich SPD und Grüne, die sich auf die Brachialmethodik ihres Koalitionspartners eingelassen haben, anstatt die Reißleine zu ziehen. Die FDP konnte ihre Regierungspartner überhaupt nur deshalb auf den letzten Metern weitgehende Änderungen abpressen, weil sie wusste, wie eilig es Robert Habeck und Co. mit einer Verabschiedung des GEG hatten. Über diesen Streit haben die Ampelparteien den Respekt vor dem Parlament aus den Augen verloren und es so unbeabsichtigt beschädigt.

Es gab nie einen objektiven Zwang zur Eile, erst recht nicht seit dem von Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner auf Biegen und Brechen herbeiverhandelten Leitplanken-Beschluss, der die Fristen für die meisten Betroffenen um Jahre nach hinten verschob. Zeitdruck hatten SPD und Grüne nur aus zwei Gründen: wegen der näher rückenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen und wegen des Wunsches, die von der Ampel verursachte Verunsicherung im Land möglichst schnell wieder abzuräumen. Das aber genügt den Verfassungsrichtern nicht, einen besonderen Bedarf nach einer schnellen Verabschiedung zu erkennen. Das GEG steht nicht auf einer Stufe mit einer kurzfristig nötig gewordenen Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Letzteres sollten die Regierungsfraktionen abwägen, bevor sie nun für viel Geld eine Sondersitzung in der parlamentarischen Sommerpause anberaumen und Abgeordnete aus ihren Urlaubsorten einfliegen lassen.

Hektik produziert Fehler

Die Ampel sollte stattdessen das Urteil zum Anlass nehmen, grundsätzlich umzudenken. Die Koalition ist stolz darauf, seit dem Sommer vergangenen Jahres mehr als 100 Gesetze verabschiedet zu haben. Darunter waren echte Husarenstücke, um Deutschland sicher und sozial durch den kriegsbedingt Gas-armen Winter zu bringen, sowie wegweisende gesellschaftspolitische Entscheidungen wie das Ende des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Doch dieser Arbeitsmodus kann und darf kein parlamentarischer Dauerzustand sein. Wer immer nur schnell, schnell macht, produziert Fehler. Das GEG nicht von Beginn an mit der kommunalen Wärmeplanung zu verzahnen, ist so ein Fehler. Und wer es immer nur eilig hat, fertig zu werden, wird gefährlich betriebsblind: Selbst von den Regierungsfraktionen geladene Sachverständige waren düpiert, mit nur zwei Tagen Vorbereitungszeit ein Gesetz bewerten zu müssen. Doch derartige Kritik verhallte bei SPD und Grünen, die das GEG nur noch irgendwie ins Ziel tragen wollten.

Selten musste über so viele Gesetze von Gewicht in der letzten Sitzung vor der Sommerpause entschieden werden wie in diesem Jahr: Bis Freitag sollte unter anderem über das Energieeffizienzgesetz, über das Heizungsgesetz, über das LNG-Beschleunigungsgesetz, über die größte Reform des Wettbewerbsrechts seit mehr als 50 Jahren und über die Regelung des assistierten Suizids entschieden werden. Letztere Abstimmung an diesem Vormittag war eigentlich eine Sternstunde des Parlaments, weil ganz ohne Fraktionszwang existenzielle Fragen verhandelt und entschieden wurden. Solche Termine verdienen die größtmögliche Bühne, um die Verbindung zwischen Bürgerinnen und Bürgern mit ihrem Parlament zu festigen. Stattdessen wurde die Abstimmung nur eine von vielen in diesen Tagen und ging im Schatten des Karlsruher Urteils nun vollends unter. Auch das ist schade - mindestens.

+++ Update 13:25 Uhr: Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf verständigt, keine Sondersitzung einzuberufen. Das Heizungsgesetz soll nun in der ersten Sitzungswoche des Bundestags im September verabschiedet werden. Mehr dazu lesen Sie hier. +++

Quelle: ntv.de

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