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Ampel-Desaster Heizungsgesetz Die Brechstange fällt den Grünen auf die Füße

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Habeck kann mit dem Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens nicht zufrieden sein.

Habeck kann mit dem Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens nicht zufrieden sein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Es hätte Habecks Gesellenstück auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur werden sollen, jetzt ist es ein einziges Ärgernis: Weil die Grünen das Heizungsgesetz unbedingt im Juli durchdrücken wollen, ist vom ursprünglichen Geist kaum etwas übrig. Auch sonst kennt diese Gesetzgebungs-Farce nur Verlierer.

Hätte Patrick Graichen nicht seinen Trauzeugen auf einen Spitzenjob beim Bund gehievt, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hätte seinen Staatssekretär spätestens in dieser Woche feuern müssen. Nach der Einigung der Ampelfraktionen über das Heizungsgesetz in den allermeisten Punkten ist eines deutlich geworden: Die Grünen bekommen wegen ihrer politstrategischen Fehlleistung nicht ansatzweise das Gesetz, das sie wollten. Die SPD übrigens auch nicht. Und der kleinste Koalitionspartner mag sich eine Verhinderung der aus FDP-Sicht falschen Vorgaben auf die Fahne schreiben können. Doch die mit maximalem Druck erreichten Änderungen haben das Gesetzesvorhaben derart beschädigt, dass seine öffentliche Akzeptanz unrettbar dahin ist.

Graichen trägt daran eine wesentliche Mitschuld, weil er mit der Zustimmung Habecks und der Grünen-Spitze ein Gesetz durch Kabinett und Parlament drücken wollte, das inhaltlich Schwachstellen und Widersprüche aufwies, mit den Koalitionspartnern nicht rechtzeitig penibel genug abgestimmt wurde und das auch nicht von einer ausgereiften Förderkulisse flankiert war. Das war tatsächlich "Klimaschutz mit der Brechstange", wie FDP und Union tobten. Wer aber zur Brechstange greift, sollte auch damit umgehen können, sonst fällt sie ihrem Benutzer schnell auf die Füße. Genau das ist den Grünen passiert: Stück für Stück gerieten sie ob des öffentlichen Furors derart in die Defensive, dass ihnen gar nichts anderes übrig blieb, als sämtlichen Forderungen von SPD und FDP zu schlucken, um überhaupt noch das Gesetz durchzubekommen.

Klimaziele wackeln

In diesem Prozess, der das Binnenklima der Koalition spürbar vergiftet hat, ist das eigentliche Ziel des Heizungsgesetzes aus dem Blick geraten: eine schnelle Senkung des CO2-Ausstoßes im emissionsreichen Wärmesektor. Die gleichwertige Förderung von Holzheizungen ist umweltpolitisch höchst bedenklich. Dass Käufer von wasserstofffähigen Gasheizungen nun einfach Biogas nutzen können sollen, wenn ihr Versorger doch nicht auf Wasserstoff umstellt, ist absurd. Denn tatsächlich bleibt grüner Wasserstoff absehbar eine Nischenlösung. Desto mehr droht ein massiver Anstieg beim Verheizen von Pflanzenprodukten. Das verbraucht Ackerflächen und Grundwasser, ob für Raps aus Deutschland oder Ethanol aus brasilianischem Zuckerrohr. Das Gesetz sieht weder beim Biomethan noch bei Holzheizungen eine Begrenzung auf aus Abfallprodukten gewonnene Energieträger vor.

Gleichzeitig sind die Fristen für den Neueinbau von Gas- und Ölheizungen derart verlängert worden, dass Deutschland zwar vielleicht (!) noch das Ziel der Klimaneutralität 2045 erreicht. Die Etappenziele auf dem Weg dorthin rücken aber in weite Ferne. Heißt: In den späten 30er-Jahren wird sich Deutschland umso mehr strecken müssen. Die politischen Konflikte um die finanziellen und gesellschaftlichen Transformationskosten werden so in die nicht allzu ferne Zukunft verschoben. Das nimmt für den Moment Druck von der Regierungskoalition, wird aber mit Wucht zurückschlagen. Für die Grünen kommt hinzu: Das ohnehin angeschlagene Verhältnis zu den einstigen Verbündeten aus der Umwelt- und Klimaschutzbewegung verschlechtert sich weiter.

Die umfangreichen Zugeständnisse an Gasnetz- und Fernwärmebetreiber sowie an die Waldbesitzer sind auch das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit bei SPD und FDP. Die Sozialdemokraten haben wegen ihrer starken kommunalen Verankerung ein weit offenes Ohr für die kommunalen Unternehmen, sind dort oft selbst in den Aufsichtsräten vertreten. Dennoch hat sich auch die SPD den Schneid abkaufen lassen, weil für sie zwei Ziele Priorität hatten: Der Kanzler wollte vor allem irgendeine Einigung, damit seine Regierungskoalition nicht vollends im Chaos versinkt. Seine Partei wollte ausreichende Förderungen für kleine und mittlere Einkommen sowie Mieterschutz vor zu hohen Modernisierungsumlagen. Beides hat - Stand heute - geklappt. Im Gegenzug wirft nun die Sozialdemokratie den Wohlhabenden im Land das knapp gewordene Steuergeld hinterher.

SPD verteilt um - nach oben

Ihre ursprüngliche Forderung, Spitzenverdiener von der Förderung auszunehmen, hat die SPD aufgegeben. Villen-Besitzer bekommen nicht nur die 30 Prozent Sockelförderung. Sie profitieren auch von einer Art Frühstarterbonus: 20 Prozent gibt es zusätzlich oben drauf für alle, die vor 2028 ihre Heizung tauschen. Funktionierende Heizungen vorzeitig auszutauschen, um noch Staatsgelder mitzunehmen, muss man sich leisten können. 50 Prozent Staatsknete für die neue Heizung eines Millionärs sind schlicht absurd. Als ob die notwendigen Förderungen und die Kosten der Transformation der Energieversorgung nicht schon teuer genug wären. Im Zweifel scheint die Ampel - siehe Energiepreisdeckel - immer die teuerste Lösung zu wählen.

All das haben SPD und Grüne mit sich machen lassen, weil sie die Heizungsdebatte unbedingt noch vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern vom Tisch haben wollten. Deshalb peitschen die drei Regierungsparteien gemeinsam ein Gesetz auf letzter Rille durch den Bundestag, das Deutschland auf Jahrzehnte prägen und beschäftigen wird. Weder Sachverständige noch Opposition werden ordentlich eingebunden. Diese Missachtung von parlamentarischen Prozeduren und Gepflogenheiten ist unanständig, wenn es kein objektives Gebot zur Eile gibt.

Der aus Grünen-Sicht bittere Witz: Die Union könnte das Gesetzgebungsverfahren wegen der Nicht-Einbindung der Opposition vom Bundesverfassungsgericht stoppen lassen. Dann würde die Verabschiedung erst nach der parlamentarischen Sommerpause erfolgen, sofern die Koalitionsfraktionen nicht zwischendrin eine Sondersitzung einberufen. Am Ende könnte also alle Eile, deretwegen SPD und Grüne Ziele und Prinzipien aufgegeben haben, umsonst gewesen sein. Was Habecks Gesellenstück auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur hätte werden sollen, ist ein halbes Jahr nach dem Leak des ersten Gesetzentwurfes nichts als ein Ärgernis für alle Beteiligten und Betroffenen. Der AfD gefällt das.

Quelle: ntv.de

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