Für die Ukraine geht es um allesTrumps "Friedensplan" ist nicht mal die größte Unverschämtheit
Denis Trubetskoy
Dass Russland einer Friedenslösung zustimmt, die der Ukraine echte Sicherheitsgarantien gibt, war immer eine Fantasie. Ein Waffenstillstand wäre jedoch eventuell erreichbar gewesen. Stattdessen steht die Ukraine nun vor einem Dilemma.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte völlig Recht, als er jüngst vor einem der schwersten Momente in der Geschichte der Ukraine sprach. Es war eine besondere Ansprache, gehalten am 21. November, dem zwölften Jahrestag des Beginns der Maidan-Revolution. In der Ukraine wird seitdem an diesem Datum der Tag der Freiheit und der Würde gefeiert. Genau dafür kämpfen die Ukrainerinnen und Ukrainer seit fast vier Jahren im Abwehrkrieg gegen Russland. Wobei die Wirklichkeit weniger erhaben aussieht: In der Praxis kämpft die Ukraine um das Überleben gegen einen Feind, der langfristig die Vernichtung des ukrainischen Staates anstrebt - und daraus keinen Hehl macht.
Was seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump international rund um den Überlebenskampf der Ukraine passierte, ist aus ukrainischer Sicht ein einziges Trauerspiel. Zwar ist es Kiew bislang unter enormen Anstrengungen gelungen, ein Minimum in den Beziehungen mit Washington zu erhalten: Die USA verkaufen Waffen und Munition an die Ukraine und teilen Aufklärungsdaten mit ihr. Mehr war mit dieser US-Regierung nicht zu erreichen. Dass Trump neue Sanktionen gegen die russische Ölbranche verhängte, war schon beinahe ein Wunder.
Hauptsache, es geht schnell
Die Diskussionen rund um Trumps neuen "Friedensplan" zeigen: Das neue Washington, einst wichtigster Verbündete der Ukraine, will sich nicht von der falschen Idee verabschieden, durch Druck auf die Ukraine - statt auf Russland - Frieden zu erreichen, irgendeinen Frieden. Der US-Regierung ist es offenbar völlig egal, was genau unterschrieben wird. Hauptsache, es geht schnell, und mit ein bisschen Glück greift Russland die Ukraine nicht während Trumps Amtszeit ein weiteres Mal an.
Unverschämt am aktuellen Vorgehen ist nicht mal das bisherige 28-Punkte-Papier selbst. Dieses wurde mit Sicherheit von außenpolitischen Amateuren geschrieben und bleibt für die ukrainische Seite inakzeptabel. Es erschließt sich beispielsweise nicht, aus welchem Grund die Ukraine Großstädte wie Kramatorsk im Donbass kampflos räumen sollte. Der Rückzug aus der Region Donezk, hinter die vierte Verteidigungslinie, wäre eine klare Einladung zu einer neuen Invasion noch tiefer ins Land und mit noch besseren Karten für Russland. Dagegen wäre die Begrenzung der ukrainischen Armee auf 600.000 Soldaten nicht so schmerzhaft wie ursprünglich gedacht - und auch die befürchtete Begrenzung des Kiewer Arsenals an weitreichenden Waffen wird im Entwurf nicht vorgeschrieben.
Die Ukraine steht vor einem fast unlösbaren Dilemma
Es ist der riesige Druck, der auf die Ukraine ausgeübt wird, der unverschämt wirkt. Viel war gerade in den US-Medien davon zu hören, Kiew habe nur Donnerstag Zeit, um dem extrem unprofessionell geschriebenen Plan grundsätzlich zuzustimmen. Raum für Veränderungen gebe es so gut wie nicht, anderenfalls drohe die erneute Einstellung der Militärlieferungen, und auch Aufklärungsdaten gäbe es dann keine mehr. Ob dies so stimmt oder nicht: Es ist wohl der erneute Versuch, die Ukraine zu erpressen. Dabei wird knallhart ignoriert, dass die rund 30 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die im freien Teil der Ukraine leben, ein Recht auf freies Leben haben, auch wenn Selenskyj innenpolitisch geschwächt ist.
Das Traurige an der aktuellen Ausgangslage ist noch etwas anderes. Die Ukraine steht vor einem fast unlösbaren Dilemma. Denn einerseits ist fraglich, ob unter den aktuellen Bedingungen und mit diesem US-Präsidenten in ein oder zwei Jahren ein besseres Angebot vorliegt. Andererseits ist eine Art Halbkapitulationsplan mit dem Risiko einer enormen innengesellschaftlichen Destabilisierung keine Option.
Denn der Plan hätte langfristig eine gewaltige Zerstörungskraft für die ukrainische Gesellschaft. Russland pocht auf Fragen wie den Status der russischen Sprache oder der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die früher dem Moskauer Patriarchat unterstand. Natürlich nicht, weil es sich Sorgen um russischsprachige Ukrainer macht: Die fast vier Jahre des Krieges und die Art der russischen Kriegsführung haben eindrücklich gezeigt: Die Bevölkerung in den umkämpften Gebieten ist dem Kreml völlig egal. Was Russland will, ist eine innenpolitisch instabile Ukraine.
Die Ukraine muss Trumps Spiel mitmachen
Dieses Dilemma wäre vermeidbar gewesen. Man darf sich nichts vormachen: Wirklich gute Varianten lagen in diesem Krieg nie auf dem Tisch. Dass Russland einer Friedenslösung zustimmt, die der Ukraine echte Sicherheitsgarantien gibt, war immer eine Fantasie, an die nur jene glauben konnten, die keine Ahnung von russischer Politik haben. Ein halbwegs adäquater Waffenstillstand ohne krasse Vorbedingungen wäre jedoch eventuell erreichbar gewesen. Der Weg dorthin lag aber immer vor allem über die längerfristige Stabilisierung der Frontlinie.
Die Ukraine hat militärisch sicher auch eigene Probleme, etwa mit der Mobilisierung. Statt Kiew beim Erreichen dieses Ziels zu helfen, wurde fast ein Jahr mit Pseudodiplomatie vergeudet, in der die europäischen Staaten bei aller richtigen Rhetorik vor allem ihre grundsätzliche Schwäche zeigten. Kein Wunder also, dass sich Putin trotz Sanktionen entspannt zurücklehnen und die weiteren Entwicklungen abwarten kann. Die Fortsetzung des langen Zermürbungskrieges passt ihm jedenfalls, daraus macht der Kremlherrscher auch kein Geheimnis. Die ukrainische Staatsführung ist dagegen nicht zu beneiden. Denn sie muss Trumps Spiel mitmachen, will sie sich in den Augen des US-Präsidenten nicht wieder undankbar und unkonstruktiv aussehen. Viel schwerere Momente in der modernen ukrainischen Geschichte gab es tatsächlich kaum.