Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Lieber Robert, lieber Christian - Ihr habt Post!

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Das Beleidigen ist zwar guter Briefe Tradition, aber dann doch bitte mit mehr Wumms!

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Vizekanzler und der Bundesfinanzminister schreiben sich verklemmte Briefe - unser Kolumnist schreibt beiden eine muntere Ermahnung.

Lieber Robert, lieber Christian,

ich gehe mal ungefragt ins Du, um ein bisschen die Steifheit aus der Debatte zu nehmen. Mir ist nämlich zu besorgten Ohren gekommen, dass Ihr Euch nun in Gelddingen reichlich verkniffene Briefe schreibt - als gäbe es auf einmal keine Telefone mehr. Robert, Du als Vizekanzler verwahrst Dich im Namen aller grünen Ministerien gegen finanzielle Vorfestlegungen und Christian, Du ermahnst zur Sparsamkeit. Eure Briefe hinterlegtet Ihr bei Reuters.

Was ist bei Euch los? Eines muss ich loben: Das Briefschreiben an sich ist eine zu Unrecht untergegangene Kulturtechnik. Gegen wutverzerrte Unterschriften, autoritäre Briefköpfe, von Tränen verwischte Tinte oder sogar Brandflecken reicht in Sachen emotionaler Wucht keine noch so Emoji-verseuchte E-Mail heran.

Briefe schreiben heute ja tragischerweise nur noch Ämter und Redaktionen, dort heißen sie dann "Briefings" - der Gabor Steingart hat eins, die Leute bei "Politico" schreiben welche und der "Tagesspiegel" verschickt den berühmten "Checkpoint". Es gibt Kolumnen in Briefform, etwa, unvergleichlich, "Post von Wagner" oder die publizistische Antwort der "Titanic" - die verlässlich beleidigenden "Briefe an die Leser".

"Ich schick Ihnen die halbe Nihre"

Der Polit-Betrieb kennt den Brief auch, allerdings meist von außerhalb: Wer wütend ist, schreibt einen - oft: "geharnischten", also Rüstung tragenden - Brief an den zuständigen Minister und reicht diesen dann an die Presse weiter. Wen die Gegenwart überfordert, der schreibt einen "offenen Brief" an den Kanzler und druckt ihn dann in der "Emma" zum Unterzeichnen ab. Was sagt das nun über Kabinettsmitglieder, die sich quasi über den Tisch hinweg anschreiben?

Briefe, das habt Ihr richtig erkannt, gehen immerhin nicht im elektronischen Rauschen unter. Manche vergisst man nie: Jack the Ripper schrieb einmal George Lusk, dem Vorsitzenden der Bürgerwehr von Whitechapel, "ich schick Ihnen die halbe Nihre, die ich einer Frauh genommen hab". In einer beigefügten Schachtel lag, Ihr ahnt es, eine Nierenhälfte.*

Ganz so dramatisch ist es bei Euch nicht, aber fast. Beide habt Ihr Eure verschnupften Briefe der Nachrichtenagentur Reuters durchgestochen, wo man vermutlich immer noch über Euch lacht. Ihr praktiziert die beleidigte Kommunikation über Dritte, die politische Variante von "fragst Du bitte Deine Mutter, ob sie mir wohl das Salz reichen könne".

Erst Selfie, dann "sehr geehrter Herr Kollege"

Gestartet seid Ihr cool, mit einem Selfie, erinnert Ihr Euch? Wie frisch und unkonventionell das aussah, was haben wir gestaunt! Ein neuer Wind wehte durch das alte, müde Land. Jetzt schreibt Ihr Euch mit "sehr geehrter Herr Kollege" an wie rivalisierende Unterabteilungsleiter, obwohl Ihr Euch doch längst duzt! Ihr klingt so gespreizt wie Herr Müller-Lüdenscheid und Herr Dr. Klöbner in Loriots Badewanne. Wer von Euch der Herr über den Wasserhahn ist, steht zur Stunde noch aus.

Anders als den beiden Herren in der zunächst leeren Wanne steht Euch das Wasser schon jetzt bis zum Hals: Das Geld wird knapp, der FDP gehen nach Berlin allmählich die Landesparlamente aus, was ja auch die Optionen für einen Koalitionsbruch ziemlich ausdünnt: Wenn die Liberalen den Laden hinschmeißen, dann knallen sie schlimmstenfalls gegen die Fünfprozenthürde. Andererseits können die Grünen nicht die Liberalen verhungern lassen, denn dann - siehe oben.

Angesichts der Haushaltslage und der anhaltenden Multikrisen muss sich die Öffentlichkeit wohl auf weiteren Streit einstellen. "Wenn es keinen Straßenbau mehr geben soll, dann gibt es auch keine Stromleitungen mehr", hatte FDP-Mann Wolfgang Kubicki kürzlich gesagt - das klang auch nach Dr. Klöbner: "Wenn Sie die Ente hereinlassen, lasse ich das Wasser heraus!" Die Aktienrente der FDP ist endlich ein gestalterisches Mittel jenseits Freiheit und Brummbrumm, aber auch sie kostet Geld.

Bemüht süffisant

In einem, Robert, hat Christian durchaus recht, nämlich mit der Normenpyramide: Da steht der Koalitionsvertrag auf dem luftigen Nichts und die Schuldenbremse ziemlich weit oben. "Rechtsnatur und Verbindlichkeit von Koalitionsverträgen sind umstritten", heißt es noch dezent in einer alten Ausarbeitung (pdf), immerhin: "Einigkeit besteht, dass Koalitionsverträge gerichtlich nicht einklagbar und vollstreckbar sind".

Christian, Deine Antwort war allerdings etwas bemüht süffisant: "Mit Erleichterung habe ich aufgenommen, dass die von den Grünen geführten Ministerien das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht infrage stellen." Das Beleidigen ist zwar guter Briefe Tradition, aber dann doch bitte mit mehr Wumms! Mark Twain etwa schrieb einmal als Antwort auf einen Werbebrief, "in dem, was Sie schreiben, sind sogar Spuren von Intelligenz auszumachen". So geht das!

Verklemmte Kommunikation der Ampel

Das kommunikative Ziel Eurer Briefe-Schreiberei, nämlich gleich einer Fanfare Eure Positionen für die eigenen Leute hörbar zu machen, habt Ihr ohnehin verfehlt: Die Republik redet nicht über Eure Anliegen, sondern die klemmige Kommunikation in der Ampel. Von "grün-gelben Beef-Briefen" schreibt sogar die sonst brave "Tagesschau". Das kann doch niemand wollen!

Wenn Ihr also das nächste Mal mit geschwollenem Hals und hart gebügelter Krawatte den Gänsekiel ins Tintenfass rammt, nehmt Euch ein Beispiel an Lieutenant Colonel Alfred D. Wintle. Der schrieb im Jahr 1946 diese Zeilen:

Sir,
ich habe Ihnen gerade einen langen Brief geschrieben.
Nach erneuter Lektüre habe ich ihn in den Papierkorb geworfen.
In der Hoffnung, dass das Ihre Zustimmung findet, verbleibe ich
Ihr sehr ergebener
A. D. Wintle

In Ordnung?

Euer so mittel ergebener

H. Wieduwilt

*Die Briefzitate finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, im Band "Briefe, die die Welt bedeuten", herausgegeben von Shaun Usher.

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Quelle: ntv.de

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