DSV-Athleten rasen in Weltspitze Aus "lächerlichen" Latten werden Biathlon-Raketen
04.12.2023, 11:58 Uhr
Festigte mit Platz zwei in der Verfolgung die Führung in der Gesamtwertung: Philipp Nawrath.
(Foto: Pontus Lundahl/TT News Agency/AP)
Das Verbot der umweltschädlichen Fluorwachse mischt die Karten im Biathlon mächtig durch. Die Deutschen sind bislang der große Gewinner der neuen Regularien. Das war noch vor ein paar Wochen nicht absehbar. Dominator Johannes Thingnes Bö dagegen ist schwer genervt.
Während die deutschen Biathleten dank ihrer "Raketen" aus dem Jubeln gar nicht mehr rauskommen, ist der schier unschlagbare Dominator Johannes Thingnes Bö plötzlich schwer genervt. "Früher konnte man auf den Skiern fliegen, ohne Kraft im Oberkörper zu brauchen. Das funktioniert nicht mehr", haderte der Norweger nach drei Einzelrennen ohne Sieg. Das Verbot der umweltschädlichen Fluorwachse stößt dem viermaligen Gesamtweltcupsieger extrem sauer auf.
"Jetzt bin ich schlicht und ergreifend zu schwach, ich brauche mehr Muskeln", so Bö. Er fühle sich "wahnsinnig doof". Denn plötzlich zaubert der 30-Jährige nicht mehr Laufbestzeiten in den Schnee, die Karten sind neu gemischt. Bislang nutzt das überraschend stark gestartete deutsche Team die neuen Wachsregularien zu seinem Vorteil. Und das, nachdem es in den Testrennen bereits eine Mischung aus Mitleid und Häme geerntet hatte.
"Es war schrecklich anzusehen"
"Die Norweger haben sich in Sjusjoen fast entschuldigt, weil unsere Athleten wegen des Materials keine Chance hatten", erzählte Sportdirektor Felix Bitterling: "Das war wie ein Autorennen mit 50 PS gegen 200 PS." Er habe gesehen, "wie die Deutschen schnell hochliefen, aber bergab konnten sie überhaupt nicht mithalten", spottete der achtmalige Olympiasieger Ole Einar Björndalen: "Es sah lächerlich aus und war schrecklich anzusehen."
Doch das Blatt hat sich beim Weltcupauftakt in Östersund gewendet. "Weit entfernt von lächerlich" sei das deutsche Material, betonte Justus Strelow. "Wir hatten mal wieder Raketen unter den Füßen", schwärmte Philipp Nawrath nach seinem Premierensieg am Samstag. Das Wachsteam mache es nach dem Fluorverbot "alles in allem überragend", sagte Bitterling. Man sei bislang "vorne dabei", bekannte Cheftechniker Sebastian Hopf - und trat sogleich auf die Euphoriebremse.
"Sehr viel Try and Error dabei"
"Wir wissen nicht, wie wir bei nasseren Verhältnissen dastehen", sagte der 38-Jährige in der "Süddeutschen Zeitung". Und die Skandinavier seien "finanziell und generell voraus. Biathlon ist dort Nationalsport, die haben viel mehr Leute mit dem Interesse, sich in Skiwachsfragen zu verwirklichen." Es sei derzeit "naturgemäß sehr viel Try and Error dabei", erklärte Bitterling.
"In den vergangenen Jahren hatte man eine riesige Datenbank zum Thema Skipräparierung. Dieses komplette Wissen ist jetzt nahezu nutzlos, weil es die Produkte nicht mehr gibt", führte der Sportdirektor aus. Es gelte nun, "sich fast alles neu zu erarbeiten." Deshalb werde sich "die Frequenz der Extreme erhöhen". Es sei "jeden Tag aufs Neue eine Fleißarbeit", so Hopf: "Es ist eine neue Wissenschaft geworden."
Der Weltverband habe mit dem Fluorverbot "in erster Linie eine EU-Legislation umgesetzt", erklärte IBU-Sportdirektor Daniel Böhm in der ARD: "Wir mussten dieser Gesetzgebung folgen." Auf Fluorfreiheit kontrolliert werden die Skier vor und nach den Rennen mit einem Handgerät, das einen Infrarot-Sensor enthält. Trotz der neuen Wachsarten gebe es "keine so großen Unterschiede, wenn man die Zeiten beim ersten Weltcup vergleicht", betonte Böhm. Das persönliche Gefühl von Johannes Thingnes Bö sagt aber etwas anderes.
Quelle: ntv.de, tno/sid