Erst die Jeans und dann das ... Carlsens "schockierender" Auftritt sorgt in der Schachwelt für mächtig Ärger
02.01.2025, 11:18 Uhr
Magnus Carlsen lieferte eine denkwürdige Weltmeisterschaft.
Der Norweger, einer der Superstars seines Sports, führt zum Jahresende seinen Weltverband bei dessen eigener Weltmeisterschaft am Nasenring durch die Manege. Viel Zuspruch erhält er dafür nicht.
Es ist Mitte Dezember, als Schachgeschichte geschrieben wird: In Singapur krönt sich Dommaraju Gukesh in der 14. Partie des Kampfes um den Weltmeistertitel gegen den Titelverteidiger Ding Liren zum König des Spiels der Könige. Der 18-Jährige ist der jüngste Schachweltmeister aller Zeiten. In Indien ist die Euphorie gewaltig, doch im Rest der Welt steht das Duell, in dem beide Spieler immer wieder große Schwächen zeigten, in der Kritik. Vor allem, weil der größte Star der Szene fehlte: Magnus Carlsen hatte schon 2023 schlicht keine Lust, seinen Weltmeistertitel zu verteidigen und trat auch 2024 nicht an. Stattdessen sorgte der Norweger dann wenig später für den donnerndsten Paukenschlag des Jahres - und der hallt noch nach.
"Es gibt so gut wie niemanden, der sich dazu positiv geäußert hat - ganz im Gegenteil", sagt der bekannte Schach-Youtuber und internationale Meister Georgios Souleidis gegenüber ntv.de. "Alle möglichen Spieler weltweit haben das kritisiert, sogar Hikaru Nakamura, der normalerweise immer auf der Seite von Carlsen steht." Was war passiert? Bei der Blitzschach-WM in New York duellierten sich im Finale eben Magnus Carlsen und sein Freund Jan Nepomniachtchi um den Titel. Weil es nach vier Partien 2:2 stand und auch drei Sudden-Death-Spiele mit Remis endeten, bot Carlsen seinem russischen Gegenüber eigenmächtig an, den WM-Titel zu teilen. Der Weltverband FIDE prüfte den Vorschlag - und gab wenig später grünes Licht.
"Manchen wird das gefallen, anderen nicht"
- Georgios Souleidis ist ein Schachspieler im Rang des internationalen Meisters.
- Bei Youtube und Twitch analysiert und kommentiert er unter anderem täglich ausführlich die Partien der WM. Hier geht es zu seinem Kanal "The Big Greek".
- Zudem ist er Teilhaber einer Schachakademie und bietet dort Schachkurse an.
"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll", zeigte sich der Weltranglisten-Dritte und populäre Schach-Youtuber Nakamura vom Ausgang des WM-Kampfes entsetzt, immer wieder den Kopf schüttelnd. "Einfach zu sagen, dass es jetzt genug ist ... Das ist nicht okay. Es ist schockierend, dass Magnus überhaupt dieses Angebot gemacht hat." Carlsen kommentierte den historischen Vorgang unaufgeregt: "Ich glaube, das Publikum konnte verstehen, dass wir beide sehr müde und nervös waren. Manchen Leuten wird das gefallen, anderen nicht. Es ist, wie es ist."
Dabei sind die Regeln der Blitzschach-WM klar: Es wird gespielt, bis ein Sieger feststeht. Einen geteilten Weltmeister gab es in der Geschichte des Schach noch nie. "Es ist schon sehr seltsam, dass sie nicht weitergespielt haben", sagt Souleidis. "Zumal es in New York 20 Uhr war, es war also noch reichlich Zeit." Die FIDE hatte erst jüngst den Modus des Turniers geändert und ein K.-o.-System eingeführt - das wurde nun von Superstar Carlsen missbraucht. So sieht es mindestens dessen Erzfeind Hans Niemann: "Es kann nur einen Weltmeister geben. Das ist kein Titel, den man einfach teilen kann", schrieb der US-Amerikaner, der sich nach Betrugsvorwürfen einen langen Rechtsstreit mit Carlsen geliefert hatte - und gegen den späteren geteilten Weltmeister im Viertelfinale ausgeschieden war. "Die Schach-Welt ist offiziell ein Witz", schäumte Niemann. "Geld und Macht korrumpieren absolut. Die bedauerliche Realität hat sich wieder einmal bewahrheitet."
Pikant macht die Angelegenheit zusätzlich, dass Carlsen und Nepomniachtchi auf einem Video zu sehen und zu hören sind, in dem der Norweger seinem Kontrahenten sagt: "Wenn sie sich weigern, dann können wir einfach kurze Remis spielen, bis sie aufgeben." Für Niemann ist der kurze Clip "Anlass für eine Untersuchung durch das Ethikkomitee der FIDE. Ich kann nicht glauben, dass zwei Spieler, die mich böswillig beschuldigt und versucht haben, meine Karriere zu ruinieren, offen gegen die Regeln verstoßen. Die Ironie kann einfach nicht schlimmer werden." Carlsen wiederum versicherte: "Ich habe in meiner Karriere noch nie ein Unentschieden im Voraus vereinbart. Im Video mache ich mit Jan Witze. Das war offensichtlich kein Versuch, die FIDE zu beeinflussen." Der Inhalt des Gesprächs sei ein "schlechter Scherz" gewesen.
"Fuck you"
Das große Drama, mit dem die Blitzschach-WM endete und das die Schachwelt noch weiter beschäftigen wird, hatte ja schon in New York eine Vorgeschichte. Mit Carlsen in der Hauptrolle. Während der Vorrunde der Schnellschach-WM war der Norweger in Jeans angetreten - was den Teilnehmern untersagt ist. Nach seiner zweiten Partie des Tages erhielt Carlsen vom Veranstalter eine Geldstrafe von 200 US-Dollar und ein Ultimatum, sich umgehend umzuziehen. Der spätere Weltmeister verweigerte dies jedoch und wurde daraufhin für die Runde neun disqualifiziert.
"Die Regeln gelten für alle", schrieb die FIDE daraufhin in einer Stellungnahme. "Der Dresscode war weit im Vorfeld bekannt und mit der Athletenkommission ausgearbeitet." Carlsen hatte daraufhin erklärt, nicht mehr weiterspielen und dorthin reisen zu wollen, "wo das Wetter ein bisschen besser ist als hier". Ein Gespräch mit der Schach-App "Take Take Take" beendete er mit einem herzlichen "Fuck you".
Doch wenig später folgte - "nach vielen Gesprächen", wie Carlsen schrieb - der Rückzug vom Rückzug. Und Carlsen spielte die Blitzschach-WM in Jeans. Die deutsche Großmeisterin Elisabeth Pähtz kommentierte die Vorgänge nach dem Finale trocken: "Also Carlsen entscheidet jetzt über das Format, den Dresscode und die Regeln zur Titelvergabe?" Kurios: Der ebenfalls spätere Weltmeister im Blitzschach Nepomniachtchi war auch wegen eines Verstoßes gegen die Kleiderordnung verwarnt worden, tauschte daraufhin aber seine Sneaker gegen aus Sicht der FIDE einer Weltmeisterschaft angemessenes Schuhwerk.
"Schachrevolution hat begonnen"
Vorausgegangen war dem großen Schachzirkus die Ankündigung, dass Carlsens "Freestyle Chess Players Club" (FCPC) künftig mit der FIDE "eine freundschaftliche Co-Existenz" führen wolle. Der FCPC ist "ein exklusiver Club für die besten Spieler der Welt", die handverlesen ausgewählt werden. Die Freestyle Chess Operations GmbH organisierte 2024 erstmals eine eigene Turnierserie - und will in Zukunft offenbar eigene Weltmeister ausspielen lassen. Im FCPC sind zahlreiche Weltklassespieler organisiert, darunter Carlsen, der neue Weltmeister Gukesh, der US-Amerikaner Fabiano Caruana oder auch Nakamura. Die FIDE kämpft gegen eine Abspaltung seiner großen Namen und versicherte, dass Spieler von Spannungen zwischen beiden Organisationen "in keinster Weise betroffen sein werden. Sie können frei entscheiden, FIDE wird keine Maßnahmen gegen sie ergreifen."
Entgegen des Geistes der Vereinbarung vom 21. Dezember schmiss nun Magnus Carlsen eine prächtige Blendgranate in die FIDE-Welt. Für Nakamura und andere Beobachter hat Schach durch Carlsens Staatsstreich Schaden genommen: "Ich kenne ein paar Leute in der Geschäftswelt, die daran interessiert waren, sich im Schach als Sponsor zu engagieren. Die fragen sich jetzt natürlich, warum sie das tun sollten. Da war der Jeans-Vorfall, wo sich die FIDE sehr unprofessionell präsentiert hat. Und jetzt diese Sache." Zahlreiche Kommentatoren "lobten" Carlsen am Ende des Dramas: "Er kam als Spieler zum Turnier und verließ es als Turnierdirektor." Oder wie Niemann zynisch schrieb: "Die Schachrevolution hat begonnen. Ein frohes neues Jahr für die Kollateralschäden."
Quelle: ntv.de