Wie die 49ers die NFL aufmischen Grandiose Goldhosen greifen nach dem Allergrößten
09.12.2023, 11:02 Uhr
Kaum aufzuhalten: die San Francisco 49ers, hier in Person von Deebo Samuel.
(Foto: dpa)
"Tis the season" heißt es derzeit in den USA. Gemeint ist die Vorweihnachtszeit. Bei den San Francisco 49ers könnte daraus die berechtigte Frage "Tis the season?" werden. Der Verein ist derzeit der größte Meisterschaftsfavorit - und könnte 29 Jahre Titeltristesse beenden.
Noch zwei Monate sind es bis zum Super Bowl. Noch 9 Wochen, noch 64 Tage, noch 90 Spiele. Dann gibt es am 11. Februar in Las Vegas das prestigeträchtige Endspiel. Bei der Suche nach den aktuellen Favoriten gibt es einige Namen. Champion Kansas City Chiefs natürlich. Oder auch Vizemeister Philadelphia Eagles, der mit 10:2 Siegen die beste Bilanz aller Teams aufweist. Auch die Miami Dolphins, Baltimore Ravens, Detroit Lions und Dallas Cowboys spielen bislang stark und konstant - und haben alle neun ihrer zwölf Partien gewonnen.
Doch es gibt eine Mannschaft, die seit wenigen Tagen als - zumindest derzeitiger - Topfavorit gehandelt werden sollte, ja vielleicht sogar gehandelt werden muss. Ein Team, das bei den keinesfalls schlecht spielenden Eagles vergangenen Sonntag 42:19 gewonnen und somit ebenfalls eine 9:3-Bilanz hat: die San Francisco 49ers. Nach dem überragenden Auftritt der kalifornischen Goldhosen fragte die "Sports Illustrated" bereits: "Ehrlich, wer soll dieses Team entthronen?" - und gab eine Art Antwort gleich mit: "So lange sie nicht ihr eigener größter Gegner werden, werden diese 49ers sicher den Super Bowl erreichen und ihn sogar gewinnen."
Gegner "spielend abgefertigt"
Große Worte für ein derzeit allerdings zweifelsohne großartiges Team. Seit ihrem spielfreien Wochenende Anfang November haben die 49ers ihre Gegner schlichtweg überrannt und überrumpelt. Sie sind quasi durch die Liga gewalzt. Ganz egal, wer ihnen da gegenüberstand - niemand konnte ihnen auch nur annähernd etwas anhaben. Nicht die Jacksonville Jaguars (34:3-Sieg), nicht die Tampa Bay Buccaneers (27:14) und auch nicht die Seattle Seahawks (31:13) oder die Eagles (42:19). Alle vier Teams seien "spielend abgefertigt" worden, schreibt die "Sports Illustrated".
Es ist nicht die erste Siegesserie dieser Saison. Die 49ers waren bereits mit fünf gewonnenen Spielen nacheinander gestartet, hatten unten anderem die Dallas Cowboys mit 42:10 bloßgestellt. Doch dann folgten drei Niederlagen. Und es waren durchaus überraschende Niederlagen. 17:19 hieß es in Cleveland, 17:22 eine Woche später in Minnesota und dann gab es ein 17:31 daheim gegen Cincinnati.
Bye week als Wendepunkt
Grund war nicht nur eine Überlegenheit der Gegner, sondern auch eine etwas lasche Einstellung der 49ers. Die Defensive spielte nicht das, was sie konnte, Quarterback Brock Purdy unterliefen in diesen drei Partien vier seiner insgesamt nur sechs Interceptions der bisherigen Saison, das Laufspiel war ineffektiv und die Verletzungen häuften sich. "Es ist schwer vorstellbar, wenn du fünf Spiele gewinnst und dann die nächsten drei verlierst", betont Offensive Tackle Trent Williams.
Dann kam Anfang November die bye week. Und sie hätte für diese Mannschaft zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. "Wir waren ziemlich abgenutzt, platt", sagt Kyle Shanahan rückblickend. Natürlich, so der Trainer, gebe es im Laufe einer Saison immer mal Phasen, in denen trotz großes Aufwandes Spiele verloren würden. Und wenn man dann keine Pause habe, müsse man eben andere Wege finden, den Negativtrend zu stoppen.
Reset-Knopf gedrückt
Doch Shanahan musste seinen Trainerstab nicht zu speziellen Meetings zusammenrufen, keine extra Stunden im Videoraum verbringen, um seinen Profis detailliert die Fehler aufzuzeigen oder gar in den Krisenmodus schalten. Er gab einfach ein paar footballfreie Tage. Manchmal hilft sowas ja schon. Die Gedanken sind woanders, die Verletzungen können auskuriert und der Fokus geschärft werden. "Wir haben den Reset-Knopf gedrückt", meinte Shanahan, als er das Training wieder aufnahm und seinem Team einige richtig gute Einheiten bescheinigte.
"Unser Sport lässt dich schnell demütig werden - und wir haben einige Demut erfahren", sagte Trent Williams nach dem 34:3-Sieg in Jacksonville mit Blick auf die Niederlagen-Serie. Diese Erfahrung wirkt immer noch nach. Das Ergebnis war der herausragende Auftritt in Philadelphia. Purdy gelangen nach einem schwachen Anfangsviertel - die Eagles führten 6:0 - noch vier Touchdowns sowie Pässe über einen Raumgewinn von 314 Yards.
Platz eins in NFC scheint realistisch
Wide Receiver Deebo Samuel verzeichnete 116 Receiving Yards und zwei Touchdowns, hinzu kamen im Laufspiel 22 Yards und ein Touchdown. Runningback Christian McCaffrey trug den Football einmal in die Eagles-Endzone und erlief 93 Yards. Doch die 49ers sind trotz dieser Machtdemonstration nicht zufrieden - noch lange nicht. Denn sie wissen, dass für sie die Playoffs mit einem Freilos in Runde eins beginnen könnten.
Allerdings müssen sie dafür die NFC gewinnen. Derzeit führt Philadelphia die Conference an. Aber die Eagles treten am Montag bei den Dallas Cowboys an, während die 49ers die Seattle Seahawks empfangen. Gut möglich also, dass anschließend San Francisco, Dallas und Philly alle eine Bilanz von 10:3 haben.
Alle Zutaten für den Super Bowl
Die restlichen vier Vorrundengegner für Purdy und Co. heißen Arizona Cardinals (auswärts), Baltimore Ravens (daheim), Washington Commanders (auswärts), Los Angeles Rams (daheim). In jeder Partie wird San Francisco der Favorit sein. Nun garantiert all das natürlich nichts für die Playoffs. Dennoch haben die 49ers alle Zutaten für den Weg zum Super Bowl nach Las Vegas.
Im Februar 2020 standen sie zuletzt im Finale, unterlagen damals Kansas City 20:31. Seit dem letzten Titelgewinn sind sogar bereits fast 29 Jahre vergangen. Am 29. Januar 1995 gewannen die von Spielmacher Steve Young angeführten 49ers den Super Bowl XXIX gegen die San Diego Chargers 49:26. Es war zugleich das Ende des ganz großen Glanzes, den der Verein Anfang der Achtziger in die Bay Area gebracht hatte.
Montana und Rice begeisterten in Berlin
In der Basketball-Liga NBA prägten die Duelle der von Magic Johnson angeführten Los Angeles Lakers gegen Larry Bird's Boston Celtics jene Dekade. In der Eishockey-Liga NHL gewann Wayne Gretzky mit den Edmonton Oilers in jener Zeit vier Stanley Cups in fünf Jahren. Und in der NFL hießen die Superstars Joe Montana und Jerry Rice von den San Francisco 49ers.
Quarterback-King Montana und Wide Receiver Rice holten zwischen Januar 1982 und Januar 1990 vier Meistertitel nach San Francisco. Mehr noch. Sie machten die Goldhosen global berühmt. Am 3. August 1991 kamen sie sogar für ein Vorbereitungsspiel gegen die Chicago Bears nach Berlin.
Deutschland war damals Fußball-Weltmeister, die Fußball-Bundesliga startete an jenem Wochenende in ihre neue Saison. Doch die meisten Fans gab es nicht etwa bei Schalke 04 gegen den Hamburger SV (54.200) oder dem Nord-Süd-Schlager Werder Bremen gegen Bayern München (33.000), sondern im Berliner Olympiastadion, wo 66.876 Fans einen 21:7-Sieg der 49ers sahen.
Was damals niemand ahnte: Es war das letzte Spiel von Joe Montana als 49ers-Starting Quarterback. Wenige Tage später zog sich der Superstar im Training eine schwere Ellenbogenverletzung zu, wegen der er fast zwei komplette Spielzeiten ausfiel. Erst am 28. Dezember 1992 kam er wieder zum Einsatz - in der zweiten Halbzeit als Ersatzmann von Steve Young beim 24:6-Heimsieg gegen Detroit. Doch Young war längst die Nummer eins geworden - und die Montana-Ära bei den 49ers vorbei.
Zweimal nacheinander Aus im Halbfinale
Dass heute noch so viel über ihn, Rice oder auch Young gesprochen wird, liegt an ihren großartigen Leistungen damals - ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass es seit 1995 eben nichts mehr zu jubeln gab. Zwei verlorene Super Bowls und fünf Niederlagen im NFC Championship Game lautet die Bilanz seitdem. Unter anderem verloren diese 49ers in den vergangenen beiden Spielzeiten jeweils im Halbfinale. Derzeit wirken sie besser als in den Jahren zuvor - und sind das Nonplusultra der Liga.
Quelle: ntv.de