Drake Maye weckt große Träume Der völlig zerstörte Superklub spürt wieder Hoffnung
10.11.2024, 13:59 Uhr
Drake Maye ist furchtlos in seinem Spiel.
(Foto: USA TODAY Sports via Reuters Con)
Sie sind tief gefallen, die New England Patriots. 2019 waren sie noch Champion, jetzt sind sie eines der schlechtesten NFL-Teams. Außer den sechs Meister-Bannern ist aus der Ära Brady/Belichick nichts übrig. Freude macht derzeit nur einer.
Er war gar nicht vor Ort, sondern daheim, im Großraum Boston. Rund 6000 Kilometer entfernt. Und dennoch war Drake Maye in den vergangenen Tagen ein Thema in München, rund um das NFL-Gastspiel zwischen den New York Giants und den Carolina Panthers. Sebastian Vollmer, der seine gesamte NFL-Karriere bei den New England Patriots verbracht, mit dem Verein zweimal den Super Bowl gewonnen hatte und mittlerweile als RTL-Experte eines der bekanntesten Gesichter in Deutschland ist, wenn es um American Football geht, veröffentlichte auf seinem Instagram-Kanal ein Foto aus der Allianz Arena von sich und Harry Kane.
Der Stürmer des FC Bayern München hielt nach dem 1:0-Heimsieg in der Champions League gegen Benfica Lissabon ein Patriots-Trikot von Maye in den Händen, das der Quarterback persönlich signiert hatte. "Neues Trikot für Patriots-Fan Harry Kane …" stand unter dem Foto, das schnell die Runde machte. Es wurde unter anderem von Kane (17,3 Millionen Instagram-Follower), der NFL (30,6 Millionen) und den Patriots (fünf Millionen) auf ihren jeweiligen Social-Media-Accounts weitergeleitet.
Sonnenstrahl in grauer Gegenwart
Es gab mal Zeiten, da hätte es wohl niemanden gewundert, wenn sich Sportstars oder Größen aus dem Showbiz, der Musikbranche, ja gar aus der Politik stolz mit dem Trikot eines Patriots-Quarterbacks gezeigt hätten. Halt, zurück. Natürlich nicht mit dem Trikot irgendeines Patriots-Quarterbacks, sondern mit dem Trikot DES Patriots-Quarterbacks: Tom Brady. Dass hingegen Harry Kane - der selbstverständlich auch ein Brady-Jersey besitzt - nun Mayes Trikot mit der Nummer 10 in die Kamera hält, zeugt zum einen davon, dass er selbst in miserablen Zeiten treu zu seinem Lieblings-NFL-Klub hält - und sagt zum anderen einiges über den neuen Patriots-Playmaker aus.
Dieser 22-jährige Drake Lee Maye ist so etwas wie ein Sonnenstrahl in New Englands grauer Gegenwart. Die Grundplatte eines Hauses, auf der etwas entstehen, etwas gebaut werden kann - mitunter gar eine traumhafte Villa. Der kleine Funke, der den Fans den Ansatz von so etwas wie Hoffnung erlaubt. Denn der sechsmalige Meister ist tief gefallen. Und es könnte gut sein, dass diese Patriots auf ihrem steilen Weg nach unten noch nicht mal in der Talsohle angekommen sind.
Nach dem letzten Titel begann der Niedergang
2019 waren sie noch Meister gewesen, hatten durch einen 13:3-Sieg im Super Bowl von Atlanta gegen die Los Angeles Rams ihren sechsten Titel innerhalb von 17 Jahren geholt. Sie hatten es allen noch einmal gezeigt, die in die Jahre gekommenen Tom Brady, Rob Gronkowski und Julian Edelman. Doch dann begann der Niedergang. Erst ging Gronkowski, ein Jahr später verließ Brady den Verein. Beide hatten keine Lust mehr auf die Zusammenarbeit mit dem zwar erfolgreichen, aber auch sehr schwierigen Trainer Bill Belichick. Beide trafen sich in Tampa Bay wieder - und wurden 2021 mit den bis dahin chronisch erfolglosen Buccaneers erneut Super Bowl-Champion.
Mit Belichick verschwand zu Jahresbeginn 2024 dann der Letzte der Dynastie-Ära. Nach einer indiskutablen 4:13-Saison einigte sich der erfolgreichste Trainer der Super-Bowl-Geschichte mit Patriots-Eigner Robert Kraft auf eine vorzeitige Vertragsauflösung. Belichick hinterließ zwar sechs Meister-Banner im Gillette Stadium von Foxborough. Aber er hinterließ vor allem einen Scherbenhaufen, eine verunsicherte Mannschaft ohne Identität, Stolz und Selbstvertrauen. Die Patriots waren wieder so schlecht, wie sie es Anfang der Neunziger gewesen sind, bevor Kraft die Franchise im Januar 1994 erwarb.
Der Nachfolger von Belichick ist Jarod Mayo, ein 38-Jähriger mit Stallgeruch. Mayo spielte acht Jahre als Linebacker für die "Pats" und war seit 2019 Spezialcoach für die Defensive. Er ist bekannt und beliebt, allerdings auf seinem neuen Posten noch überfordert. Die Positionen des Offensive Coordinators (Alex van Pelt) und Defensive Coordinators (DeMarcus Covington) sind ebenfalls neu besetzt worden. Allen in New England ist klar, dass sich der Verein im Umbruch befindet. Nicht nur in dieser Saison, sondern garantiert auch noch in den kommenden Jahren.
Kein Plan erkennbar
Und für solch einen Umbruch bedarf es eines Plans, der den Fans die Zeit des Leidens mit der Aussicht auf langfristige Besserung ein wenig erleichtert. Nach neun Spielen ist von alldem noch nichts bei diesen Patriots zu sehen. New England hat nur zwei Spiele gewonnen. Mittlerweile sind Vereine wie Jacksonville, Seattle oder Tennessee eine Nummer zu groß für den Rekordmeister. Dennoch schauen Fans und Medien seit vier Wochen anders auf die Patriots. Erwartungsfroher, freudiger - trotz der Niederlagen. Denn seit dem sechsten Spieltag ist Drake Maye der Starting-Quarterback. Er hatte den erfahrenen, aber überforderten Jacoby Brissett abgelöst.
New England verlor zwar gegen die Houston Texans daheim 21:41. Doch die Fans gingen an jenem 13. Oktober trotzdem nicht ganz so niedergeschlagen nach Hause, wie es die deutliche Niederlage vielleicht vermuten lassen könnte. Sie hatten ihren vermeintlichen Quarterback der Zukunft gesehen. Endlich mal von Anfang an. Und Maye hatte sie nicht enttäuscht. Natürlich liegt die Messlatte bei den Patriots in dieser Saison gerade so über der Grasnarbe, dennoch: Der junge, unerfahrene Playmaker, das wurde deutlich, der schien tatsächlich einer zu sein, der die Offensive gekonnt, geordnet und entscheidend über das Football-Feld führen kann. Der Verantwortung übernimmt, kein unnötiges Risiko eingeht, aber eben auch nicht nur konservativ agiert. Drei Touchdowns, zwei Interceptions und Pässe für 243 Yards Raumgewinn standen nach Spielende für ihn auf dem Statistikzettel.
Viertes Spiel, erstes Karriere-Highlight
Vergangenen Sonntag dann das bisherige Highlight seiner noch so kurzen Karriere. Ja, die Patriots hatten zwar wieder verloren, 17:20 nach Verlängerung hieß es diesmal bei den Tennessee Titans. Aber Maye hatte erstmals so richtig geglänzt, für eine Aktion gesorgt, die an jenem Abend und in den Tagen danach auf allen Sportkanälen gezeigt wurde. Immer und immer wieder.
Die Patriots waren kurz vor der Titans-Endzone, lagen aber 10:17 zurück - und es waren nur noch vier Sekunden zu spielen. Maye, der aktuell jüngste Starting-Quarterback der Liga, bekam den Football, schaute in die Endzone, scannte die Abwehrreihe. Er zögerte, tänzelte und schien schon geschlagen, denn gleich drei Titans-Spieler stürzten sich ihm entgegen. "Keiner ist frei", sagte der TV-Kommentator. Doch Maye, bereits im Fallen, warf trotzdem. Nicht wild und auch nicht aus Verzweiflung. Nein, er hatte tatsächlich gesehen, dass Mitspieler Rhamondre Stevenson rechts in der Endzone vor seinem Gegenspieler stand. Stevenson bekam den Ball, packte energisch zu. Touchdown Patriots, Verlängerung.
Vergleiche mit Josh Allen
"Die Patriots scheinen mit Drake Maye ihren Franchise-Quarterback gefunden zu haben", titelte die Tageszeitung "Boston Globe". Verbunden allerdings mit der Frage: "Aber wie werden sie ihn unterstützen?" Denn die Offensive Line, die Maye beschützen soll, ist ein Desaster. Die Wide Receiver schaffen es kaum, sich entscheidend von ihren Gegenspielern zu lösen, um so eine Anspieloption für den Spielmacher zu sein. Es gibt so viele Problemzonen bei diesen Patriots. Aber es gibt eben auch den Hoffnungsfunken Drake Maye.
"Er gibt uns das Potenzial, zu wachsen. Und das ist das Beste an Drake. Mit ihm haben wir jemanden, der jeden besser machen kann", sagt Wide Receiver Kendrick Bourne. "Ich liebe es, ihm von der Seitenlinie zuzusehen", ergänzt Davon Godchaux. Der Defensive Tackle sieht in Maye gar einen "Josh Allen 2.0." Der Patriots-Mann (1,93 Meter, 102 Kilogramm) ähnelt dem Spielmacher der Buffalo Bills (1,96 Meter, 108 Kilogramm) nicht nur von der Statur her, sondern hat auch einen starken Wurfarm und keine Angst, den Football selbst nach vorne zu tragen.
Godchaux geht mit seinem Vergleich sogar noch weiter. Er hat gegen Allen gespielt, als der 2018 in die Liga gekommen war. "Josh ist ein phänomenaler Spieler, ein MVP-Kandidat. Aber Drake sieht als Rookie besser aus als Josh in seinem Rookie-Jahr", so Godchaux. Damit Mayes Entwicklungskurve weiterhin nach oben gehen kann, braucht er bessere Mitspieler. Da passt es, dass New England für die kommende Saison so viel finanziellen Spielraum haben wird wie kein anderes NFL-Team. Jetzt sei die Zeit, "in Maye zu investieren und um ihn herum etwas aufzubauen", heißt es im "Boston Globe". Harry Kane im fernen München dürfte das freuen.
Quelle: ntv.de