Di Matteos meisterhafte Defensive Schalke erfindet die Taktik der Null neu
18.02.2015, 09:53 Uhr
Wenn Schalke 04 in der Champions League auf Real Madrid trifft, hat Trainer Roberto Di Matteo nur eines im Blick: Die Null muss stehen. Diese Disziplin versteht der Italiener meisterhaft - trotzdem könnte die Mauer gegen Real bröckeln.

So könnte Schalke das Zentrum verteidigen, wenn Toni Kroos den Ball im Spielaufbau hat. Für den deutschen Nationalspieler gibt es nur auf den Flügeln Anspielstationen.
Roberto Di Matteo kann noch Jahrzehnte Fußballtrainer bleiben, seine Laufbahn wird trotzdem immer mit einem bestimmten Spiel in Verbindung gebracht werden: dem "Finale dahoam". Mit dem FC Chelsea gewann der Italiener 2012 gegen den FC Bayern in München die Champions League. Mit neun Spielern um den eigenen Strafraum ermauerten Di Matteos Londoner den Sieg gegen Jupp Heynckes' Münchner. Auf Fragen, ob denn sein ultradefensiver Stil "schön" sei, verweigerte Di Matteo die Antwort.
Für den 44-Jährigen zählt wie für jeden Trainer in erster Linie das Ergebnis und dafür hat der ehemalige Mittelfeldspieler einen eigenen Stil gefunden: eine Mauertatik 2.0. Dies wurde auch sofort deutlich, als er Anfang Oktober den Cheftrainerposten bei Schalke 04 übernahm. Bereits in der ersten Partie gegen Hertha BSC Berlin siegten und verteidigten die Königsblauen im 4-4-2 mit zwei Viererketten, die wie am Reißbrett geordnet auf dem Rasen standen. Denn noch viel wichtiger als der defensive Grundgedanke ist Di Matteo die saubere Ausführung seiner taktischen Vorgaben.

Wenn Ronaldo das Spielgerät auf der linken Seite erhält, wird Uchida herausrücken. Aus dem 3-5-2 wird kurzzeitig ein 4-4-2.
An den ersten sieben Spieltagen unter Jens Keller hatte Schalke zwölf Gegentore kassiert. In den darauffolgenden 14 Ligaspielen unter der Ägide Di Matteos mussten die königsblauen Torhüter nur noch elfmal hinter sich greifen. Risikolos ist Di Matteos Mauertaktik nicht, wie das 0:5 im November 2014 gegen den FC Chelsea zeigte.
Eng verteidigen
In den letzten Monaten änderte der neue Cheftrainer allerdings die Grundformation der Schalker und ließ fortan ein 5-3-2 spielen. Das zeigte, dass er sich vor allem auf die Kontrolle der Spielfeldmitte konzentrieren wollte. Denn mit den beiden Stürmern, den drei zentralen Mittelfeldakteuren sowie drei zentralen Verteidigern befinden sich in der Grundausrichtung acht Schalker im Zentrum, während lediglich zwei Außenverteidiger die Flügel bewachen.
Wenn die Königsblauen gegen den Ball verteidigen, schieben sich beide Stürmer zwischen die gegnerischen Innenverteidiger und Sechser. Letztere stehen im Deckungsschatten von Choupo-Moting und Co. und sind somit im Idealfall nicht anspielbar. Der Gegner wird nach außen geleitet. Erfolgt ein Pass auf den Außenverteidiger, rückt der jeweils ballnahe Mittelfeldspieler nach. Erfolgt ein Pass auf den gegnerischen Flügelstürmer, rückt der jeweils ballnahe Außenverteidiger heraus.

Ist Linksverteidiger Marcelo jedoch am Ball, so werden die Schalker versuchen, den Raum um Ronaldo in der Mitte zu verengen. Zusätzlich müssen Uchida und Höger ihre Deckungsschatten nutzen, damit keine offenen Passwege zu finden sind.
All diese simplen Bewegungen werden durch konzentrierte Verschiebungen der kompletten Mannschaft ausbalanciert. Die Schalker rücken aggressiv auf eine Seite, um gezielt das Spielfeld zu verkleinern.
Weiträumig angreifen
Aus diesem Grund steht auch die letzte Abwehrlinie in der Regel weit weg vom Tor, wenn der Gegner noch im Spielaufbau steckt. Im Unterschied zu konventionellen Mauertaktiken wird sich nicht sofort vorm eigenen Tor verschanzt. Vielmehr möchten die Königsblauen so schnell wie möglich den Ball erobern, um anschließend über Choupo-Moting oder Klaas-Jan Huntelaar zu kontern.
Wenn sie selbst in Ballbesitz sind, machen die Schalker das Spiel allerdings sehr breit statt eng. Die Außenverteidiger Uchida und Fuchs rücken als Flügelstürmer ganz nach vorn. Die zentralen Mittelfeldspieler bewegen sich ständig vor und zurück, von innen nach außen. Deshalb weisen die drei Akteure Kirchhoff, Barnetta und Höger auch durchschnittlich Laufwerte von über zwölf Kilometern pro Spiel auf.
Meisterprüfung für den Maurer
Zu vielen Torabschlüssen kommt Di Matteos Mannschaft jedoch selten. Insofern ist es wichtig, dass man am besten keinen Gegentreffer kassiert. Allerdings zeigte die Niederlage gegen Eintracht Frankfurt am letzten Samstag ein Schlüsselproblem des Schalker Systems auf. Man kann noch so gut auf die Außenbahnen verschieben und den Gegner an der Seitenlinie stellen: Wenn technisch versierte Offensivakteure wie Frankfurts Lucas Piazon schlichtweg aus der Isolation herausdribbeln oder die Schalker zu aggressiv in den Zweikampf gehen, wie es vorm 0:1 geschah, gerät der Plan von Di Matteo in Gefahr.
Champions-League-Gegner Real Madrid hat dabei noch ganz andere Kaliber im Kader, ähnlich wie der FC Chelsea in der Gruppenphase. Der zertrümmerte die Schalker Mauer dank seiner schnellen und technisch starken Offensivkünstler um den Belgier Eden Hazard. Inwieweit die Schalker sich den Durchbruchsversuchen von Cristiano Ronaldo und Gareth Bale erwehren können, bleibt eine Schlüsselfrage für das Achtelfinalduell.
Ein schwacher Zweikämpfer wie Christian Fuchs wird auf der linken Seite auf alle Fälle Unterstützung benötigen. Doch verlassen zu viele Mitspieler ihre vorgesehene Position, könnte Di Matteos Mauer auf der großen Bühne Champions League ganz schnell in sich zusammenstürzen.
Quelle: ntv.de