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Kicker als besondere NFL-Spezies Wie die Sonderlinge über Sieg und Niederlage entscheiden

Younghoe Koo im Spiel der Atlanta Falcons gegen die Green Bay Packers.

Younghoe Koo im Spiel der Atlanta Falcons gegen die Green Bay Packers.

(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)

Sie sind eine besondere Spezies in der National Football League. Selten kommt die Schutzmontur zum Einsatz, ihre körperliche Unversehrtheit steht fast nie auf dem Spiel und trotzdem hängen Sieg und Niederlage vielfach von ihnen ab. Die Kicker stehen in der NFL in diesem Jahr mehr denn je im Fokus.

Eine Szene für die Ewigkeit: Younghoe Koo, der Kicker der Atlanta Falcons, verwandelt aus 51 Yards (46,6 Metern) mit Ablauf der Spielzeit ein Field Goal für sein Team gegen die Tampa Bay Buccaneers. Koo hat soeben seinem Team die Führung in der Division NFC South beschert und wirft mit Blick in Richtung eigener Bank seinen Helm in die Luft. Der Südkoreaner ist der gefeierte Held von Atlanta und zelebriert das Ganze mit jeder Menge Swag.

In den Old-School-Zeiten der NFL waren Kicker zumeist die Außenseiter in einer Mannschaft. Weil sie "nur" den Ball zwischen die Stangen treten mussten und eigentlich nie körperlich eingriffen, hatten viele Mitspieler keinen großen Respekt vor ihnen. Dabei sind es seit jeher die Kicker, die in entscheidenden Momenten abliefern müssen - sei es für den Extrapunkt nach einem Touchdown oder bei einem Field-Goal-Kick für drei Punkte. Ihre Wichtigkeit hat sich bis heute nicht verändert und ist zuweilen sogar noch gestiegen.

Die Defensivreihen in der NFL sind stärker denn je und begrenzen häufig den Raumgewinn eines Teams. Besonders in der Redzone, also auf den letzten 20 Yards (18,3 Metern) vor der Goalline, werden viele Quarterbacks und ihre Mitspieler aufgehalten. Das Field Goal ist zumindest ein Weg, um noch Punkte auf die Anzeigetafel zu bekommen oder wie im Fall von Younghoe Koo auch ein Spiel zum Ende hin zu entscheiden. Das verwandelte Field Goal gegen Tampa Bay war übrigens schon das dritte in dieser Saison, das einen Sieg für Atlanta sicherstellte. Die Falcons haben nach sieben Spieltagen nur vier Siege insgesamt.

Unsicherheitsfaktor beim Super-Bowl-Contender

So wird es nicht überraschen, dass der Südkoreaner, der in seiner Heimat einst einen Kicker-Wettbewerb gewann und als junger Teenager zu seiner Mutter nach New Jersey zog, in der Metropole im Herzen von Georgia gefeiert wird. Obwohl er mit 1,75 Meter Körpergröße und seiner vergleichsweise schmächtigen Figur gar nicht wie ein klassischer Football-Spieler aussieht.

In anderen NFL-Städten ist der jeweilige Kicker aktuell derweil nicht so gerne gesehen. Brett Maher etwa, der schon wieder entlassene Kicker der Los Angeles Rams, war zuvor beinahe legendär dafür geworden, dass er vergangene Saison die "Yips" bekam. Das, was unter Golfspielern als plötzliches Zucken des Handgelenks beim Putten bekannt ist, kann quasi auch den Fuß eines Kickers befallen. Da ist es dann beispielsweise so, dass dieser aufgrund von Nervosität den Ball "hooked", also zu stark mit der Fußspitze trifft und dadurch zum Beispiel als Rechtsfuß nach links verzieht. (Optimalerweise soll der Ball mit der Fußinnenseite wie bei einem klassischen Pass im Fußball getroffen werden.)

In der vergangenen Saison war Maher in Diensten der Dallas Cowboys lange Zeit eine absolute Maschine, aber in der ersten Runde der Playoffs vergab er vier von fünf Extra-Punkt-Versuchen und stellte damit einen neuen Negativrekord in der NFL auf. Dass nun die Rams mit ihrem hochintelligenten Trainer Sean McVay überhaupt auf Maher setzten, überraschte - jetzt wird er den gänzlich unerfahrenen Lucas Havrisik ersetzt. Noch verblüffender ist derweil wohl die Entscheidung von Kyle Shanahan, dem Head Coach der San Francisco 49ers, dem Rookie Jake Moody derart viel Vertrauen zu schenken.

Moody wurde im Draft im Frühjahr an 99. Position gewählt und hat bislang nicht überzeugen können. Montagnacht gegen die Minnesota Vikings vergab er etwa einen Versuch. In der Woche davor gingen sogar zwei Versuche daneben und San Francisco verlor hauchdünn mit 17:19 gegen Cleveland. In den Schlusssekunden konnte Moody aus 41 Yards (37,5 Metern) nicht treffen und den Sieg holen. Diese Distanz stellt für Top-Kicker eigentlich keine Herausforderung mehr dar. Anders als die Rams sind die 49ers ein ernsthafter Anwärter auf den Super Bowl. Doch ein mittelmäßiger Kicker könnte ihnen in den Playoffs einen Sieg kosten und damit das Saisonaus maßgeblich mit verursachen.

Legendenstatus oder Einsamkeit

Insgesamt ist der Umgang mit der Kicker-Position in der NFL immer noch diffus. Manche Teams wollen trotz der beschriebenen Bedeutung eine kostengünstige Besetzung, um das Geld in andere Spieler zu investieren. Zudem ist es weiterhin eine Gepflogenheit, dass die Manager und Trainer keinen Backup-Kicker verpflichten. Sollte sich ihre Nummer eins einmal verletzen oder beispielsweise mit muskulären Problemen zu kämpfen haben, gibt es keinen automatischen Ersatz. Die Teams müssen sich auf die Suche nach vertragslosen oder im Ruhestand befindlichen Kickern machen. Das Resultat ist meist ein Desaster und kann den Verlauf einer Saison negativ beeinflussen.

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Wer wie Younghoe Koo seine Nerven im Griff hat und noch dazu über einen guten Oberschenkel und eine gute Technik verfügt, kann viele Jahre in der NFL verbringen. Im Vergleich zu Positionen, die viele Tacklings austeilen oder einstecken müssen, verschleißt der Job des Kickers den Körper nicht wirklich. Adam Vinatieri zum Beispiel spielte insgesamt 24 Jahre in der Liga und kickte selbst sichtlich ergraut noch verlässlich den Ball zwischen die Stangen.

Justin Tucker, der langjährige Kicker der Baltimore Ravens, hat bereits jetzt Legendenstatus, weil er über viele Spielzeiten hinweg in aller Regelmäßigkeit fast wie ein Roboter die Field Goals verwandelt. Seine aktuelle Erfolgsquote liegt bei knapp über 90 Prozent. Überdies kann er sehr intelligent über die mentale Herausforderung des Kicker-Daseins sprechen. Wenn alles passt, dann können Kicker zu Helden werden. Wenn sie jedoch dem eigenen Team, das zuvor Blut und Schweiß vergossen hat, den Sieg kosten, dann kann es in der Umkleidekabine immer noch sehr einsam um sie herum werden.

Quelle: ntv.de

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