Ist Not, ist Chiellini gnadenlos Die cleverste Hässlichkeit dieser EM
12.07.2021, 09:52 UhrGiorgio Chiellini ist das Gesicht dieser Europameisterschaft. Gnadenlos im Duell, charmant und gut gelaunt als Kapitän der italienischen Nationalmannschaft. Gegen England krönt er seine großartige Karriere, mit einer großartigen Leistung und einem irren Foulspiel.
Der Sonntagabend beginnt für Giorgio Chiellini fürchterlich. Voller Inbrunst singt er gemeinsam mit seinen Kollegen der italienischen Nationalmannschaft die Hymne. Er lächelt dabei sogar. Allein der Anblick der feurigen Azzurri rechtfertigt jedes Einschalten. Doch kaum ist das Finale im legendären Wembley-Stadion angepfiffen, ist es vorbei mit der guten Laune des 36-Jährigen. Seine Passivität bei der Flanke des Engländers Kieran Trippier ist maßgeblich für den Rückstand in Minute zwei. Luke Shaw verwandelt die Hereingabe seines Außenverteidiger-Kollegen spektakulär.
Für Chiellini sollte dieses Spiel das größte seiner internationalen Karriere sein. 111 Mal war er seit 2004 für Italien aufgelaufen. Nie hatte es für einen Titel gereicht. Beim WM-Titel 2006 in Deutschland war er nicht im Kader. Nun war es nicht unwahrscheinlich, dass er in seinem 112. Spiel für die Squadra Azzurra die letzte Chance zur Krönung bekommt. Chiellini ist halt schon etwas älter. Klar, im kommenden Jahr steht schon das nächste große Turnier an, aber ob Italien in Katar ins Finale kommt, das kann ja niemand vorhersagen. Und obwohl der Auftakt so fatal war, wurde es noch der große Abend, die große Show des Abwehr-Künstlers.
Zwar dauerte es rund 20 Minuten, ehe Chiellini und sein genialer Ewigkeits-Partner Leonardo Bonucci das Chaos einigermaßen unter Kontrolle bekamen, ehe sie ihrer Mannschaft die arg dringend benötigte Stabilität verleihen konnten, aber fortan war der italienische Strafraum schwer verbarrikadiertes Sperrgebiet. Die Engländer hatten zwar gefährliche Aktionen, aber keine gefährlichen Chancen mehr. Chiellini nahm unter anderem den bislang so starken Raheem Sterling komplett aus dem Spiel. Eine mögliche Topchance deutete sich dann ganz spät in der Nachspielzeit der zweiten Hälfte an. Und wieder war Chiellini involviert. Er hatte sich nach einem langen Zuspiel auf den schnellen Bukayo Saka ziemlich üppig verschätzt. Ein Laufduell kam für den Altmeister nicht infrage. Das wäre wirklich unangenehm geendet. So wie seine Karriere womöglich.
Und zack, einfach umgerissen
Chiellini hatte also eine Idee. Eine clevere, wenn auch rustikale. Er musste diesen Saka ja schließlich stoppen. Ein kleiner Zupfer am Trikot, das hätte womöglich nicht gereicht. Also packte Chiellini zu, er packte sich das Trikot am Nacken seines Gegenspielers und riss ihn einfach um. Gnadenlos! Die gelbe Karte hätte er für seine taktische Attacke so oder so gesehen, also unbedingt auf Nummer sicher gehen. Man muss diese Art nicht mögen. Aber es ist eben eine Art, die Spiele entscheidet. Es ist die bizarre Form der Abwehrkunst.
Das Spiel entschieden hat übrigens auch sein ewiger Senatoren-Partner Bonucci. Er drückte den Ball nach einem Kuddelmuddel im Strafraum zum Ausgleich über die Linie (67.). Wie die UEFA erklärte, löste er mit seinen 34 Jahren und 71 Tagen Bernd Hölzenbein (30 Jahre, 103 Tage) als "Finaltor-Oldie" ab, der 1976 in der Nacht von Belgrad bei der deutschen Niederlage gegen die Tschechoslowakei zum zwischenzeitlichen 2:2 getroffen hatte. Bonucci verwandelte dann auch noch als dritter Schütze im Elfmeterschießen souverän. Er erhöhte damit den Druck auf die englischen Top-Talente Marcus Rashford, Jadon Sancho und eben Saka, die allesamt scheiterten. Es war ein guter Abend für Chiellini. Der beste im italienischen Trikot. Und vielleicht auch sein letzter?
Quelle: ntv.de, tno