Pfannenstiel übers WM-Finale "Auf beiden Seiten wahre Mentalitätsmonster"

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar könnte Lionel Messi endlich seinen WM-Titel bescheren.

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar könnte Lionel Messi endlich seinen WM-Titel bescheren.

(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)

Das letzte Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht an: Wer holt den Titel? Wer wird auf dem Rasen glänzen, den Unterschied machen, sein Team zum Sieg führen? Ex-Welttorhüter Lutz Pfannenstiel verrät es und zieht im ntv.de-Interview zudem sein ganz persönliches WM-Fazit.

ntv.de: Herr Pfannenstiel, Argentinien trifft im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft von Katar auf den Titelverteidiger Frankreich. Zwei "Großkopferte" unter sich also, wie Sie es vor den Titelkämpfen prognostiziert hatten. Wer wird gewinnen?

Lutz Pfannenstiel: "Welttorhüter", TV-Experte, Sportdirektor in der MLS.

Lutz Pfannenstiel: "Welttorhüter", TV-Experte, Sportdirektor in der MLS.

(Foto: Lutz Pfannenstiel)

Lutz Pfannenstiel: (lacht) Es gibt keinen klaren Favoriten bei diesem Finale. Ich gehe von einer ganz engen Kiste aus. Wenn man auf die Einzelspieler schaut und den bisherigen Turnierverlauf, dann hat Frankreich in meinen Augen minimale Vorteile. Aber Argentinien hat den Messi-Faktor. Das könnte am Ende auch den Ausschlag geben.

Messi hat überragende Spiele gezeigt, Tore erzielt, Treffer aufgelegt, getrickst. Bei den Franzosen glänzen Olivier Giroud und Kylian Mbappé als eiskalte Torjäger, neun Treffer bislang. Wer drückt dem Finale seinen Stempel auf?

Natürlich wird das Finale zum Kampf zwischen Messi und Mbappé hochstilisiert. Das bringt Schlagzeilen und Interesse. Aber das Finale hat viel mehr zu bieten als nur diese zwei - zugegebenermaßen - absoluten Ausnahmekönner! Da ist der französische Taktik-Fuchs Didier Deschamps, da ist das Team Argentiniens, wo jeder für Messi läuft und kämpft. Da sind auf beiden Seiten wahre Mentalitätsmonster auf dem Platz. Top-Torhüter, starke Verteidiger, ein Antoine Griezmann als Lenker, ein Juan Alvarez als junger Wilder. Das wird ein hochspannendes Spiel mit Charakter auf dem und abseits des Rasens und Unterschiedsspielern auf beiden Seiten.

Und am Ende gibt es Elfmeterschießen?

(lacht) Das kann passieren. Ein Elfmeterschießen im Finale wäre irgendwie typisch für diese WM. Zunächst könnte ich mir aber vorstellen, dass die Argentinier abwartend agieren, die Franzosen kommen lassen und mit ihrer spielerischen Härte versuchen werden, ihnen den Schneid abzukaufen. Frankreich wiederum ist sich seiner Stärke bewusst, die bringt auch ein Rückstand nicht aus der Ruhe.

Argentinien und Frankreich sind zwei Fußball-Schwergewicht. Aber wer hat Sie bei dieser WM überrascht?

Das muss man differenzieren: Argentinien hat es gegen Saudi-Arabien kalt erwischt. Für Messi und Co. war das aber eine Art Hallo-wach-Effekt. Danach lief es mit zwei Siegen besser, das Team hat sich unter Druck wieder ins Turnier zurückgespielt. Nach dem Auftakt-Schock zeigt das die sehr gute Mentalität Argentiniens.

Und bei Frankreich?

Frankreich war vor dem letzten Gruppenspiel schon fürs Achtelfinale qualifiziert, also schon durch. Trainer Didier Deschamps hat deshalb auf eine Komplett-Rotation gesetzt. Das polarisiert, weil es Überheblichkeit zeigt. Aber im Endeffekt kam so jeder Spieler zu seinem WM-Einsatz. Und der bisherige Erfolg gibt Deschamps recht. Und natürlich gilt: Wer im Endspiel steht, hat das auch verdient!

Aber wer hat Sie bei dieser WM noch überrascht?

Der Welttorhüter

Lutz Pfannenstiel ist der erste Fußballer, der in seiner Karriere auf sechs Kontinenten gespielt hat: 25 Vereine in 13 Ländern - nachzulesen in "Unhaltbar - Meine Abenteuer als Welttorhüter". Seit seinem Karriereende verantwortete er unter anderem den Bereich International Relations und Scouting beim Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Er war von 2018 bis 2020 Sportdirektor beim Bundesliga-Traditionsverein Fortuna Düsseldorf. Seit August 2020 ist er Sportdirektor beim MLS-Verein St. Louis City SC.

Pfannenstiel ist zudem als TV-Experte für verschiedene nationale und internationale Sender wie ESPN, SRF, BBC und DAZN tätig. Er ist Auslandsexperte beim DFB und Trainerausbilder bei der FIFA. Pfannenstiel ist zudem der Gründer von Global United FC.

Grundsätzlich haben die asiatischen und die afrikanischen Teams ihre Sache sehr gut gemacht. Saudi-Arabien und der Iran haben aufhorchen lassen. Klar, Marokko als erstes afrikanisches Team in einem WM-Halbfinale ist eine Überraschung. Aber eine Sensation ist das nun auch wieder nicht: Klasse-Abwehr, Top-Torwart, torgefährlich. Passte alles! Überzeugt haben mich auch die Engländer, die mit ein bisschen mehr Spielglück gegen Frankreich auch hätten gewinnen können. Kroatien hat wieder einmal gezeigt, dass man auch als kleines Land eine große erfolgreiche Fußballnation sein kann. Chapeau! Und auch die USA sollte man nennen, das Team ist auf einem sehr guten Weg mit zahlreichen jungen, offensivstarken und schnellen Spielern. Da kann die Heim-WM kommen!

Wer hat in Ihren Augen enttäuscht?

Da sind einige Europäer zu nennen: Die Dänen sind nie ins Turnier gekommen und sang- und klanglos ausgeschieden. Ich hatte sie auf dem Zettel als einen möglichen Geheimfavoriten vor dem Turnier. Dann natürlich Belgien: Das Ende einer goldenen Generation. Spanien hat mich auch nicht überzeugt. Allerdings kann man schon beim nächsten Turnier wieder mit ihnen rechnen, denn das Team ist noch recht jung. Die deutsche Mannschaft blieb auch weit hinter den Erwartungen zurück.

Das zweite Vorrundenaus bei einer WM in Folge. Auch eine Enttäuschung?

Absolut! Ein deutsches WM-Vorrundenaus ist immer eine Enttäuschung. Da sprechen die nackten Zahlen. Aber es hätte ja auch anders ausgehen können. Torchancen en masse zwar erspielt, aber geknipst wurde vorn nicht wirklich. Und wenn du vorne nicht triffst und dir in der Abwehr Fehler erlaubst, verlierst du eben - wie gegen Japan. Und am Ende bist du nach drei WM-Spielen schon weg vom Fenster. Enttäuschung ja, Katastrophe nein. Es ist nun Zeit für einen Umbruch. Der wird auch kommen und bei der EM im eigenen Land sieht die Sache hoffentlich schon wieder ganz anders aus. Hansi Flick ist aber auf alle Fälle der richtige Mann.

Wie war denn das spielerische Niveau dieser WM?

Es war ordentlich, mehr nicht. In meinen Augen waren die Weltmeisterschaften in Deutschland 2006, Südafrika 2010 und auch Brasilien 2014 ansprechender, besser. Das könnte auch mit dem Zeitpunkt dieser Titelkämpfe zusammenhängen, weil viele Trainer taktisch anders haben spielen lassen. Stichwort: Belastungssteuerung. Eine WM im Winter war Neuland. Es wurde oft tiefer gespielt, nicht direkt gepresst. Das wäre bei einer Sommer-WM sicher anders gewesen.

Die FIFA dürfte diese WM in Katar am Ende wieder als "beste aller Zeiten" feiern. Wie fällt Ihr Fazit aus? Was bleibt von der Fußball-WM in Katar in den Köpfen?

Letzten Endes war es ein sehr gut organisiertes Turnier mit schönen Stadien und spannenden Spielen. Was aber hängenbleiben wird, ist die Kritik am Ausrichter Katar, an der FIFA, die Menschenrechtsverstöße, Homophobie. Die WM in Katar wird für immer verbunden sein mit dem Hickhack um die One-Love-Binde. Sie ist das Symbol dieses Turniers geworden. Die FIFA hat sie verboten und sie dadurch zur Legende gemacht. Das bleibt hängen!

Mit Lutz Pfannenstiel sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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