Fußball

DFB-Spektakel im Schnellcheck Noch kein Weltmeister, aber schon ganz gut

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Die Erwartungen an die Nationalmannschaft sind nach dem 2:0 gegen Liechtenstein nicht gerade hoch. Doch Hansi Flicks Vier-Punkte-Plan greift im WM-Qualifikations-Spiel gegen Spitzenreiter Armenien. Die Gäste sind chancenlos. Deutschland zeigt die beste Leistung seit langer Zeit.

Was ist im Stuttgarter Stadion passiert?

Endlich wieder Fans. Für das Spiel gegen Armenien hatte der DFB 18.000 Freikarten verteilt. Als Geste für das Durchhaltevermögen der Zuschauer. Aufgrund der Corona-Pandemie und vielleicht auch aufgrund der ewigen DFB-Krise und der Furcht, auf einigen der Karten sitzen zu bleiben. So waren sie alle gekommen und Flick hoffte, dass die Mannschaft auf dem Platz "ihren Teil dazu beitragen kann, dass die Stimmung hier toll wird". Atmosphäre kam auch direkt auf.

Der verletzte Thomas Müller und Kapitän Manuel Neuer wurden verspätet für ihren 100. Einsatz im DFB-Dress geehrt. Die lagen zwar schon länger zurück, doch bislang hatte sich vor Zuschauern noch keine Möglichkeit für eine Ehrung ergeben. Sie erhielten fesche Kappen, eine Medaille und eine warme Runde Applaus. Thomas Müller setzte sich die Kappe auf, lachte und verschwand wieder.

Hansi Flick hatte die Mannschaft nach dem 2:0-Sieg gegen Liechtenstein ordentlich durcheinandergewirbelt. Zu dicht getaktet ist das Programm, zu schwer wiegen wohl auch die Interessen der Vereine in dieser frühen Phase der Saison. "Alle, die in der Champions League spielen, haben wahnsinnige Wochen vor sich. Wir müssen schauen, dass wir die Balance halten", sagte Flick vor dem Spiel. Er kennt das noch außer seiner Zeit bei den Bayern.

Und was war anders als gegen Liechtenstein?

Insgesamt nahm der Neu-Bundestrainer sechs Änderungen vor. Für den Dortmunder Kapitän Marco Reus war es ein besonderes Spiel. Über sieben Jahre nachdem eine schwere Verletzung im Spiel gegen Armenien ihn den WM-Titel 2014 kostete. Damals in Brasilien hatte der damalige Bundestrainer Joachim Löw überraschend den gelernten Innenverteidiger Benedikt Höwedes als Linksverteidiger aufgeboten. Der kehrte nun als Team-Manager zurück und sah den gelernten Innenverteidiger Thilo Kehrer als Linksverteidiger auflaufen. Der Paris St. Germain-Profi vertrat den angeschlagenen Robin Gosens. Zufall?

Der bis dato ungeschlagene Tabellenführer Armenien hatte wenig zu verlieren. Das Spiel in Deutschland galt als Bonus-Spiel und nach dem 2:2 zwischen Island und Nordmazedonien am Nachmittag liefen sie nicht einmal Gefahr, aus den oberen Rängen der Gruppe J zu stürzen. Die Frage war: Würden sie Deutschland einen Punkt abringen und den ersten Platz verteidigen oder würde Flicks Mannschaft nach dem mühsamen Start gegen Liechtenstein langsam ins Rollen kommen? "Ich bin davon überzeugt, dass wir heute ein besseres Spiel sehen. Auch weil wir heute einen Gegner haben, der mitspielen wird", sagte RTL-Experte Lothar Matthäus vor der Heimpremiere des neuen Bundestrainers. Er sollte recht behalten. So halb.

Teams und Tore

Deutschland: Neuer/Bayern München (35 Jahre/105 Länderspiele) - Hofmann/Borussia Mönchengladbach (29/5), Süle/Bayern München (26/34), Rüdiger/FC Chelsea (28/46), Kehrer/Paris St. Germain (24/11) ab 83. Raum/TSG Hoffenheim (23/1) - Kimmich/Bayern München (26/61) ab 61. Gündoğan/Manchester City (30/51), Goretzka/Bayern München (26/37) - Gnabry/Bayern München (26/28) ab 72. Ademeyi/RB Salzburg (19/1), Reus/Borussia Dortmund (32/46) ab 60. Wirtz/Bayer Leverkusen (18/2), Sané/Bayern München (25/36) ab 60. Musiala/Bayern München (18/7) - Werner/FC Chelsea (25/44). - Trainer: Flick

Armenien: Jurtschenko/FC Alaschkert Martuni (35 Jahre/13 Länderspiele) - Hambardzumjan/Anorthosis Famagusta (30/41) ab 57. Terterjan/FC Ararat-Armenia (23/3), Woskanjan/FC Alaschkert Martuni (28/33), Harojan/FC Cadiz (29/58), Kamo Hovhannisjan/FK Qairat Almaty (28/61) - Wbeymar/FC Ararat-Armenia (29/8) ab 46. Udo/FK Atyrau (26/8), Grigorjan/FC Alaschkert Martuni (33/39) - Barseghjan/FK Astana (27/39) ab 70. Minute Bitschachtschjan/MSK Zilina (22/10), Mchitarjan/AS Rom (32/88), Bayramjan/FK Rostow (29/9) ab 82. Awanesjan/FC Ararat-Armenia (22/1)- Adamjan/TSG Hoffenheim (28/26) ab 46. Gelojan/Baltika Kaliningrad (29/1). - Trainer: Caparros

Schiedsrichter: William Collum (Schottland)

Tore: 1:0 Gnabry (6.), 2:0 Gnabry (15.), 3:0 Reus (35.), 4:0 Werner (44.), 5:0 Hofmann (52.), 6:0 Adeyemi (90.+1)

Zuschauer: 18.086 (in Stuttgart)

Gelbe Karte: - Haroyan (3)

Die 90 Minuten im Spielfilm

Vor dem Anpfiff: Das Stadion erhebt sich. Noch einmal erinnert der deutsche Fußball sich an Gerd Müller, diesen größten aller Stürmer. Der Fanclub der Nationalmannschaft hat sich eine Gerd-13-Choreografie einfallen lassen. Alle applaudieren. Gerd Müller. So einen könnte Flick jetzt gebrauchen. Ist aber nicht in Sicht. Im Angriff beginnt erneut Timo Werner.

05. Minute: Thilo Kehrer, der neue Linksverteidiger, steht nach einer Kimmich-Ecke lange in der Luft, erreicht den Ball, köpft wuchtig, aber nur auf die Oberkante der Latte. Ordentlicher Beginn der deutschen Mannschaft, bei der ...

06. Minute, Toooor für Deutschland: ... Serge Gnabry heraussticht. Und wie! Kimmich, Werner und Goretzka bilden an der rechten Seite des Strafraums ein Dreieck. Spielen sich den Ball schnell und flach zu. Goretzka tropft dann hoch auf den startenden Gnabry ab. Der macht keine Gefangenen und zimmert die Kugel aus spitzem Winkel ins obere Eck.

11. Minute: Leroy Sané geht ins Gegenpressing, gewinnt den Ball, wartet nicht lang. Sein Distanzschuss kann von David Yurchenko nur mit Mühe zur Ecke abgewehrt werden. Furioser Auftakt.

15. Minute, Toooor für Deutschland: Weiter, immer weiter. Leroy Sané bricht Armeniens Verteidigung mit einigen Drehungen auf, Goretzka steckt auf Reus durch. Querpass durch den Strafraum. Da steht Gnabry, der alte Doppelpacker, der mit der Innenseite einschiebt. 2:0 für Deutschland.

22. Minute: Was ist denn jetzt mit Armenien? Gegen Mitte der ersten Halbzeit halten sie den Ball einmal für beinahe 30 Sekunden in den eigenen Reihen. Über die Mittellinie kommen sie nicht. Vielleicht auch aus Angst vor Leroy Sané. Der ist der Ball-Magnet, zeigt eines seiner besten Spiele für die Nationalmannschaft. Ein Treffer will ihm noch nicht gelingen. Aus 19 Metern knallt er den Ball gegen den Querbalken.

Kaum auf dem Platz und schon Torschütze. Erfolgreiches Debüt für Karim Adeyemi.

Kaum auf dem Platz und schon Torschütze. Erfolgreiches Debüt für Karim Adeyemi.

(Foto: picture alliance/dpa)

28. Minute: Lebenszeichen von Timo Werner. Zweimal wird er im Strafraum bedient, zweimal fehlt ihm die letzte Konsequenz. Die Pässe von Reus und Gnabry kann der ehemalige Stuttgarter nicht verarbeiten. Noch fällt er in der Offensive deutlich ab.

32. Minute: So etwas wie eine Chance nach einem Konter der Armenier. Aber der Hoffenheimer Sargis Adamyan bringt nach einem Lauf-Duell keinen vernünftigen Abschluss mehr zustande. Neuer nimmt den Ball dankbar in Empfang.

35. Minute, Toooor für Deutschland: Jetzt hat auch Reus seinen Treffer. Gnabry flankt aus dem Halbfeld auf den einlaufenden Werner, der legt mit der Hacke auf den Dortmunder ab, der, nahe seiner Bestform, zum 3:0 versenkt.

44. Minute, Toooor für Deutschland: Werner trifft zum 4:0. Sie hatten ihn ja vorhin noch gesucht. Jetzt findet ihn Leon Goretzka. Der Chelsea-Star triftt mit Überzeugung und nach wunderbarer Vorarbeit auch von Kimmich, der sich rund 25 Meter vor dem Tor lange orientiert, eine Anspielstation sucht, seinen Bayern-Teamkollegen sieht und so passiert das dann. Halbzeit. Wahnsinnsspiel.

46. Minute: Es kann ja nicht alles gut sein: Manuel Neuer klärt einen Rückpass von Niklas Süle unbedrängt ins Seitenaus. So gibt es einen Einwurf für Armenien. Das ist aber eher etwas fürs Protokoll.

52. Minute, Toooor für Deutschland: Es gibt so Tage, da klappt nicht viel. Die deutsche Nationalmannschaft kennt das. Und dann gibt es Tage wie diesen, wo dann auch mal mehr klappt als es müsste: Eine ungenaue Ecke von Joshua Kimmich klären die Armenier in Richtung des im Hintergrund lauernden Jonas Hofmann. Der müsste schießen, Hofmann schießt - und der Ball hoppelt rein.

Serge Gnabry erzielte gleich zwei Treffer.

Serge Gnabry erzielte gleich zwei Treffer.

(Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann)

55. Minute: Und fast noch einer hinterher: Der starke Süle überspielt mit einem vertikalen Pass das Mittelfeld Armeniens, Timo Werner geht auf die Reise in Richtung Tor und bedient noch kurz vor dem Ziel den mitgesprinteten Gnabry. Der erwischt den Ball noch mit der Fußspitze, schubst ihn aber am Tor vorbei.

61. Minute: Leroy Sané wird ausgewechselt - und von den Fans gefeiert. Ein Gefühl, das der so begnadete Edelfußballer vermisst haben dürfte. Zuletzt war Sané noch ausgepfiffen worden. Von seinem Heimpublikum in München. Das Volk ist wankelmütig.

62. Minute: Die eingewechselten Teenager Jamal Musiala und Florian Wirtz kreieren kreativ auf engstem Raum gemeinsam eine Großchance, die Armenien letztendlich brachial und mit Glück vereiteln kann.

71. Minute: Der Salzburger Karim Adeyemi kommt für den überragenden Gnabry. Der 19-jährige Stürmer ist der zweite Debütant unter Hansi Flick.

82. Minute: Timo Werner macht beinahe den sechsten Treffer. Aber nach einem Steckpass von Wirtz steht er knapp im Abseits.

83. Minute: Dann ist es Zeit für David Raum, Debütant Nummer drei. Der Hoffenheimer ersetzt Kehrer, der auf der Außenverteidiger-Position zu überzeugen wusste. Zumindest nach vorne, defensiv war er naturgemäß wenig gefordert.

90. Minute plus 1, Toooor für Deutschland: Wirtz und Adeyemi kombinieren sich durch die Verteidigung. Der junge Salzburger trifft zum 6:0. Beim Debüt.

Unseren ausführlichen Spielbericht gibt es hier.

Was war denn jetzt gut?

Deutschland presste hoch, war heiß, attackierte zielgerichtet und direkt, ging hohes Tempo und hatte Tiefe. Vor dem Spiel hatte Flick seinen Vier-Punkte-Plan für die Nationalmannschaft vorgestellt: Positionierung, Passspiel, Präzision und Überzeugung. Davon war gegen Armenien viel zu sehen. Wie bereits bei den Bayern, bei denen er mit einem 2:0 gegen Olympiakos Piräus gestartet war, und dann mit einem 4:0 gegen Borussia Dortmund nachgelegt hatte, gelang Flick auch als Deutschland-Trainer ein großer Schritt im zweiten Spiel.

Wird die Nationalmannschaft unter Flick zum FC Bayern Deutschland?

Auch andere Vereine haben gute Spieler. Das zeigte vor allen Dingen Marco Reus, der ein richtig gutes Spiel ablieferte. Ansonsten lebten die Bayern-Spieler ihren unter Flick gepflegten Stil weiter. Das war toll anzuschauen. Besonders bei Leroy Sané, der nicht nur andeutete, warum der Rekordmeister vor der Kreuzbandverletzung des Flügelspielers sogar eine dreistellige Millionensumme zahlen wollte, um ihn von Manchester City nach Deutschland zu locken. Sané, Gnabry, Kimmich, Süle, Neuer und später auch Musiala, dazu der verletzte Müller. In Flicks Deutschland steckt trotzdem eine Menge FC Bayern.

Welche Aussagekraft hat der 6:0-Sieg?

Marco Reus ist nach seinem Treffer sehr glücklich.

Marco Reus ist nach seinem Treffer sehr glücklich.

(Foto: picture alliance / Pressefoto Baumann)

Er ist ein Signal. Ein Versprechen auf eine attraktivere Zukunft. Das gilt es einzulösen. Nicht jetzt, sondern in über einem Jahr bei der umstrittenen Weltmeisterschaft in Katar. Dass sich die Flick-Elf dafür qualifizieren wird, steht nach dem heutigen Spiel außer Frage. Zu gut, zu dominant war dieses Team. Trotzdem gab es einige kleinere Aussetzer, so wie Rüdiger zu lascher Rückpass auf Neuer. Darüber lässt sich an einem solchen Abend jedoch hinwegsehen.

Kassiert Deutschland nie wieder ein Tor?

Diese Frage ist Quatsch.

Ist Deutschland mit all den jungen Spielern auf Jahre hin unschlagbar?

Jetzt wollen wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Das war ein gutes Spiel gegen Armenien. Hansi Flick lächelte. Aber zurück zur Spitze ist es noch ein langer Weg. Deutschland ist jetzt nicht auf einmal Weltmeister.

Traumhafter Fußball-Abend, aber ...?

True. Das sagte sogar RTL-Experte Lothar Matthäus. Und der ist immer kritisch. "Aber wir sollten immer noch die Kirche im Dorf lassen", ergänzte der Rekordnationalspieler.

Quelle: ntv.de

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