
"Was hast du gesagt?" - Max Kruse und Joachim Löw haben Verständigungsschwierigkeiten.
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Max Kruse und Joachim Löw werden vom Schicksal für einen Augenblick der Fußballgeschichte aneinander gefesselt. Das ist lange her und bleibt einigermaßen folgenlos. Doch vergessen ist die gemeinsame Zeit für keinen der beiden. Das ist amüsant. Und ein bisschen eigenartig.
Joachim Löw und Max Kruse verbindet eine ganze Menge, zumindest mit Blick auf ihre Karriere. Beide, der ehemalige Bundestrainer und der ehemalige Nationalspieler, hatten große Zeiten. Weltmeister der eine, gefeierter Torjäger der andere. Löw wurde zur Stilikone, zur unantastbar scheinenden Lichtgestalt. Kruse war ein Typ, wie ihn der deutsche Fußball liebt. Er traf in der Bundesliga und lies dann nachts zigtausende erpokerte Euro im Taxi liegen. Es waren wilde Jahre, als beide gemeinsam im deutschen Fußball unterwegs waren.
Und dann ging es für beide irgendwann bergab. Weltmeister-Trainer Löw lieferte den deutschen Fußball wieder da ab, wo er ihn 2004 mit Jürgen Klinsmann übernommen hatte: am Boden. Und Torjäger Kruse irrlichterte desorientiert und erfolglos durch seine letzten Jahre als Profi: Wolfsburg, Union Berlin, Wolfsburg, Paderborn. Nirgendwo wurde er glücklich, erfolgreich sowieso nicht mehr. Und dann wurde er auch nicht mehr gebraucht. Inzwischen hat Kruse seine Profilaufbahn beendet.
"Die Wahrheit ist ..."
Während Löw seit seinem Abschied vom DFB nach einer enttäuschenden EM 2021 zumeist über Jobs redet, die er nicht machen möchte und die ihm nie angetragen wurden, versucht sich Kruse als Social-Media-Star und eben als Max Kruse. Es wirkt, als hätten beide noch nicht ihren Frieden mit dem unfreiwilligen Abschied von der fußballerischen Weltbühne gemacht. Und weil sich beider Wege einst schicksalshaft in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gekreuzt haben, können sie nun über alte Zeiten plaudern. Nicht miteinander, sondern übereinander. Es ist ein Schauspiel der Unsouveränität und herrlich mit anzusehen. Ein Ende ist nicht absehbar.
Kruse machte in der Ära Löw 14 Länderspiele. Angesichts seiner Qualitäten und Trefferquote hätten es mehr sein müssen. Doch Löw und Kruse, das passte nicht zusammen. Und Kruse hat nicht vergessen. In einem Podcast behauptete der inzwischen 35-Jährige jüngst, dass ein Vorfall vor einem Länderspiel in England Hintergrund für seine Nicht-Berücksichtigung für die Weltmeisterschaft 2014 gewesen sei. Damals war Kruse mit unerlaubtem Damenbesuch auf seinem Hotelzimmer erwischt worden. Der Umgang der sportlichen Führung des Nationalteams mit ihm danach sei heuchlerisch gewesen, sagte Kruse, der seine aktive Karriere kurz vor Weihnachten 2023 für beendet erklärt hatte.
Löw wiederum, der in den dunklen letzten Jahren seiner anderthalb Jahrzehnte währenden Regentschaft mehr und mehr dem Diskurs über sich und sein Werk entrückt schien, konterte überraschend dünnhäutig. Auf dem Boulevard der Eitelkeiten, eben im Boulevard: "Die Wahrheit ist: Er war einfach nicht gut genug", sagte Löw der "Bild". Der ehemalige Bundesliga-Profi habe ja durchaus seine Qualitäten als Spieler gehabt. "Aber Max wäre manchmal besser in der Uwe-Seeler-Traditionself aufgehoben gewesen, weil das Tempo, seine Dynamik in dem Spiel einfach auch ein Stück weit zu wenig waren", erklärte Löw. Man habe schließlich "Fußball-Weltmeister, nicht Poker-Weltmeister" werden wollen.
"Es gab noch mehr ..."
Kruse ist eine Fußnote in Löws lange erfolgreicher Ära. 198 Spiele verantwortete Löw als Cheftrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, in eben nur 14 Spielen wirkte Kruse mit. Umso bemerkenswerter ist die Flapsigkeit, mit der der 64-Jährige die vergleichsweise harmlosen Vorwürfe des Stürmers kontert. Schließlich hätte der Hinweis auf den am Ende begeisternd gewonnenen WM-Titel gereicht. 2014, das war das Turnier, in dem die im besten Sinne besessenen Fußballarbeiter Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Miroslav Klose das DFB-Team prägten. Orchestriert wurde alles von Toni Kroos, der begnadeten Ballmaschine, die die Bälle brillant aber zuverlässig da ablieferte, wo sie hingehörten. In diesem Ensemble fehlte Max Kruse sportlich nicht. Dabei hätte Löw es ja belassen können.
Stattdessen baute Löw in seine Replik sogar noch einen Cliffhanger für künftige Gespräche ein: "Da gab es noch das ein oder andere, das man vielleicht erzählen könnte. Solche Sachen wie im Hotel hat es früher auch schon mal gegeben", sagte der Schwarzwälder, der sich nach dem Höhepunkt seiner Amtszeit den Bundestrainer in der Außendarstellung und Selbstinszenierung längst abgelegt hatte und in den Rang eines Bundeskanzlers emporgestiegen war.
Und das wiederum ist natürlich auch Max Kruse, dem Geschmähten, aufgefallen. "Dass ein ehemaliger Bundestrainer, der nicht dafür bekannt ist, aus seiner Haut zu fahren, so auf so etwas reagiert, sagt eigentlich schon alles", sagte der verhinderte Weltmeister, der in der Qualifikation zur WM in Brasilien noch zum Einsatz gekommen war. "Wenn hinter dem, was ich gesagt habe, wirklich gar kein Wahrheitsgehalt stecken würde, würdest du nicht so drauf eingehen. Dann würdest du sagen, es lag an der Leistung. Wenn er nur das gesagt hätte, hätte niemand was gesagt. Aber so wirkte es schon ein bisschen despektierlich", sagte der 97-fache Bundesligatorschütze am Rande eines Spieltags der "Baller League", wo der Fußballkünstler ein neues Betätigungsfeld für sich erschlossen hat.
Die Kritik von Löw ergebe für ihn "keinen Sinn": "Für mich sowieso nicht, weil ich weiß, wie es war. Es macht aber grundsätzlich keinen Sinn, zu sagen, ich war nicht gut genug und mich dann zwei Monate später nach der WM wieder einzuladen. Dann bin ich anscheinend wieder gut genug gewesen."
In der Qualifikation für die Europameisterschaft kam Kruse tatsächlich wieder zum Einsatz - und schoss das DFB-Team mit seinem 2:1-Siegtreffer gegen Georgien sogar nach Frankreich. Dort gehörte er dann wieder nicht mehr zum Kader. Nach dem Spiel gegen Georgien stand er nie wieder für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Feld, 2021 vertrat er Deutschland aber noch einmal bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Es ist noch nicht vorbei
Was das alles soll, dieses große Hin und Her zwischen zweien, die den Absprung zum perfekten Zeitpunkt verpasst und dann einfach von der Zeit von der ganz großen Bühne gespült wurden? Vielleicht ist es das gemeinsame Jucken an einem Stachel im eigenen Fleisch, beim einen kleiner, beim anderen größer, weil man ihn doch nicht rausgezogen bekommt. Wäre es das Ringen über die Deutungshoheit über ein Kapitel in der eigenen Biografie, können beide nur verlieren. Löw muss sich gar nicht rechtfertigen, Kruse, dieser wunderbare Straßenfußballer, wurde ohnehin für seinen Kampf im System mindestens so sehr verehrt wie für Tore und Finten. Vielleicht ist es auch einfach eine schöne Inszenierung, ein großer Spaß im Zirkus Fußball.
Wie auch immer: Kruse werde in seinem Podcast "Flatterball" noch mal nachlegen, das hat er schon angekündigt. Man darf nahezu sicher sein, dass Joachim Löw in Bälde noch einmal über Jobs sprechen wird, die für ihn nicht interessant sind. Dann findet sich sicher auch die Gelegenheit, noch einmal über Max Kruse zu sprechen. Und Max Kruse hat sowieso Zeit.
Quelle: ntv.de