"Der Welt zum Fraß vorgeworfen" Kati Witt bricht wegen Walijewa in Tränen aus
17.02.2022, 16:50 UhrKamila Walijewa weint - und auch Katarina Witt weint. Um und mit der 15-jährigen Eiskunstläuferin. Die Russin hält im olympischen Einzel dem Druck nicht stand, der wegen des positiven Dopingtests auf ihr lastet. Walijewa wird nur Vierte. Für Witt ist das Geschehen "eigentlich nicht zu ertragen".
Katarina Witt war völlig aufgelöst. Während Kamila Walijewa versuchte, ihre Tränen hinter ihren roten Handschuhen zu verbergen, weinte die Doppel-Olympiasiegerin im ARD-Studio mit der 15-jährigen Eiskunstläuferin. "Das ist eigentlich nicht zu ertragen", sagte Witt, die der Kamera mehrfach den Rücken zudrehte und um Fassung rang. "Es ist genau das eingetreten, wofür man sie hätte schützen müssen. Sie ist 15, sie ist ein Kind, du siehst sie da sitzen, wie sie zusammenbricht."
Die Olympiasiegerin von 1984 und 1988 hatte großes Mitleid mit der Russin, die nach ihrer fehlerhaften Kür mit Stürzen nur Vierte im Einzel wurde. Die Favoritin nicht auf dem Podest - und das inmitten des Doping-Skandals. Walijewa ist offensichtlich am schier übermenschlichen Druck zerbrochen. "Man hat sie wirklich der Welt zum Fraß vorgeworfen. Alle Welt hat zugeschaut und daran musst du zerbrechen", sagte Witt mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen.
"Sie konnte hier nicht gewinnen in diesem ganzen Spiel. Wenn sie perfekt gelaufen wäre und sie wäre hier Olympiasiegerin geworden, hätte man die Gespräche gehabt. Und das, was jetzt passiert ist, ist das Allerschlimmste. Sie ist daran zerbrochen", urteilte die ARD-Expertin.
"Finde fast keine Worte"
Noch im Kurzprogramm am Dienstag hatte Walijewa abgeliefert, während ihres Auftritts war der Russin nicht anzumerken gewesen, wie sehr sie der Skandal belastet. Erst beim Auslaufen waren ihr die Tränen in die Augen geschossen, hatte sie überaus erleichtert gewirkt. In der Kür konnte sie ihre Fassade nicht wahren. "Ich hätte fast gedacht, dass sie es schafft, mit ihren 15. Dass sie sagt, ich krieg das hin", sagte Witt. "Aber man hat einen politischen Druck auf sie ausgeübt. Ich finde fast keine Worte. Eine Mama oder irgendjemand Verantwortungsvolles hätte sie rausnehmen müssen, in den Flieger setzen, drei Monate weg von diesem Trubel - bevor überhaupt dieser Tsunami losgebrochen ist."
Stattdessen lieferte Walijewa einen fehlerhaften Kür-Auftritt. Zu den Klängen von Maurice Ravels Bolero hatte sie im Team-Wettkampf noch eine überirdische Performance gezeigt, nun im Einzel konnte sie das nicht wiederholen. Die seit neun Tagen währende Aufregung um ihren positiven Dopingtest hat sie nicht kaltgelassen. Witt sagte: "Sie war ein Schatten ihres Selbst, als sie da herausgegangen ist."
Gold und Silber gingen an ihre Teamkolleginnen Anna Schtscherbakowa und Alexandra Trussowa, die Japanerin Kaori Sakamoto gewann Bronze. Für Walijewa blieb der Platz neben dem Podest. Ihre Trainerin Eteri Tutberdise nahm dies, zumindest vor laufenden Kameras, sehr kalt zur Kenntnis. Erkennbares Mitgefühl oder Trost für ihren Schützling zeigte die als sehr fordernd bekannte Trainerin, die den Spitznamen "Schneekönigin" trägt, nicht. "Sie ist in diesem ganzen Spiel die Verliererin. Sie ist ein 15-jähriges Mädchen, ob wir sie jemals wiedersehen, dieses Talent, ich könnte verrückt werden! Es ist so verantwortungslos, was hier gemacht wurde", zeigte sich Witt empört.
Es sei an der Zeit, dass das Eiskunstlaufen darüber nachdenken müsse, eine Altersgrenze festzulegen. Denn Walijewa sei zwar ein "Jahrhunderttalent", die Frage sei aber, ob sie eine weitere Chance erhält, ob Trainerin Eteri Tutberidse ihr die Zeit gibt. "Ich habe die Angst, dass sie das nicht schafft, dass schon die nächste Läuferin da ist, die nächste 14-Jährige", so Witt. Schon zuvor hatte sie via Facebook kritisiert, dass vor allem in Russland viele sehr junge Eiskunstläuferinnen international auftreten, faszinierende Ausnahmeleistungen zeigen - und dann ebenso schnell wieder von der Bühne verschwinden, "oft gesundheitlich angeschlagen".
Quelle: ntv.de, ara