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Pokémon auf Steroiden Wie "Palworld" gerade die Videospielwelt auf den Kopf stellt

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Knarren und Pokémon sorgten schon 2021 für Begeisterung und Verwirrung.

Knarren und Pokémon sorgten schon 2021 für Begeisterung und Verwirrung.

(Foto: Screenshot/Pocketpair)

Ein Spiel kommt quasi aus dem Nichts, erklimmt die Verkaufscharts und sorgt für unzählige Artikel und Videos. "Palworld" sorgt derzeit für einen Hype sondergleichen. Überraschend dabei: Im Grunde ist es nur eine Pokémon-Fan-Fiction - mit Pistolen und Zwangsarbeit.

Awwgh! Häh! Was?! Der erste Trailer zu "Palworld" sorgte 2021 für ordentlich Gesprächsstoff. Alles erinnerte stark an "Pokémon", also "Pokémon" mit Waffen. Kleine niedliche Monster mit Schießeisen hantieren zu sehen, führte zu einer Mischung aus Entzückung und Verwirrung mit einer Prise Entsetzen. Und dieser Gefühlscocktail gipfelte in nahezu krankhafter Neugier.

Hübsch ist die Umgebung in "Palworld" schon, nur eben auch tödlich.

Hübsch ist die Umgebung in "Palworld" schon, nur eben auch tödlich.

(Foto: Screenshot/Pocketpair)

Als eine Vorabversion des Spiels dann vor wenigen Tagen erschien, schossen die Hände los. Mehrere Millionen verkaufte Exemplare, zeitweise mehr als 1,8 Millionen gleichzeitig Spielende auf Steam. In der rund 20-jährigen Geschichte der Verkaufsplattform ein verdammt seltenes Ereignis, das bisher nur zwei weitere Spiele auslösen konnten, "Counter Strike 2" und "Playerunknown's Battlegrounds", der Quasi-Vorläufer zu "Fortnite". Für den Erfolg des Pokémon-Fiebertraums gibt es aber mehrere Gründe.

Digitales Überlebenstraining

In erster Linie handelt es sich bei "Palworld" um ein klassisches Survival-Game. Spieler erstellen einen Charakter, landen in einer mal mehr, mal weniger lebensfeindlichen Umgebung, sammeln Rohstoffe, bauen Basen, nähen sich Kleidung, basteln Waffen, jagen, essen, trinken, verarzten Wunden. Überall lauert der Tod, durch Angriffe, aber auch durch Verhungern und Erfrieren. Ein spielerischer Sprint durch die paranoiagetriebene Welt der Prepper.

"Palworld" bietet mit der Insel Palpagos dazu eine hübsche, abwechslungsreiche Kulisse: überwucherte Wälder, weiße Sandstrände, brodelnde Vulkane, Wüsten und Wiesen, Täler und Gipfel. Bevölkert wird das Idyll von kleinen Monstern, den Pals. Spieler können sie mit gebastelten Waffen (oder blanker Faust) schwächen und einfangen. Insgesamt gibt es mehr als 100 von ihnen. Jeder Fang befriedigt den Sammeltrieb, als Belohnung folgt ein kleiner Dopaminschub - wieder und wieder.

Erst Prügel, dann Fließband: "Palworld" ist grausam".

Erst Prügel, dann Fließband: "Palworld" ist grausam".

(Foto: Screenshot/Pocketpair)

Fürs Spiel ist die Sammeljagd essenziell, denn Pals sind Ressourcen, keine Freunde. Sie lassen sich zu Nahrung verarbeiten, aber auch als Reittiere, Soldaten oder Arbeitsknechte missbrauchen. Letzteres ist für den Spielerfolg sogar notwendig. Mit der Zeit treffen Spieler auf immer mächtigere Pals, für die es bessere Ausrüstung braucht, die wiederum mehr Rohstoffe verschlingen. Der Abbau ist zeitaufwendig und anstrengend. Die Spielfigur wird entlastet, indem sie die Pals ackern lässt. Irgendwann wächst der Arbeiterstab, damit die Besitztümer der Spielfigur wachsen, die sie wiederum nutzt, um mehr Arbeiter zu holen. Wachstum als Selbstzweck.

Für mehr Tempo können Spieler auch ein Rednerpodest bauen, von dem sie ihre Pals zusammenstauchen. "Keine Sorge, in "Palworld" gibt es keine Arbeitsschutzgesetze", witzeln die Entwickler. Empörung ist gewollt, so funktioniert Provokations-Marketing nun mal. Studio Pocketpair setzt auf pubertären Humor. Und der geht gern über Grenzen. Auch bei den Anleihen halten sich die Verantwortlichen nicht zurück, milde ausgedrückt.

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Fan-Fiction trifft Shock Value

Die Pals sehen den Pokémon frappierend ähnlich, zum Beispiel Vixies den fuchsartigen Evolis oder Grizzbolts den bigfootähnlichen Elekteks. Modelle sind fast eins zu eins Kopien, was Kritiker bereits großzügig bemängelten, Nintendo derzeit sogar juristisch prüft, aber auch etwas Wichtiges aufzeigt: "Palworld" ist einer Fan-Fiction näher als einem eigenständigen Spiel. Und besonders gut funktionieren die, wenn sie dem Original ein verstörendes Kostüm überstülpen.

Twilight morphte zur antifeministischen Sex-Fantasie ("Fifty Shades of Grey"), Winnie Pooh zum Serienkiller ("Winnie the Pooh: Blood and Honey"), Micky Maus ebenso ("MICKEY'S MOUSE TRAP"). Pistolen und Gewehre, aber auch das Verspeisen der Pals zerschießen wiederum "Pokémons" äußerlich eher harmlose Welt (Monsterkämpfe mal ausgenommen), machen sie so zu dem Ergebnis einer "was wäre, wenn"-Fantasie eines 14-jährigen. Und die kommt an.

Futter für Fans

Dass die "Pokémon"-Reihe in der Vergangenheit an Schwung verloren hat, dürfte sein Übriges zum Erfolg beigetragen haben. "Pokémon Karmesin und Purpur" konnte vor zwei Jahren nicht überzeugen, ging als schlechtester Teil der Reihe in die Geschichte ein. Spielmechaniken haben sich weiterentwickelt, Nintendo schwelgt lieber in Erinnerungen und schleudert den Fans lieblose Selbstreferenzen vor die Füße, statt sich Neues auszudenken. Warum auch, der Name reichte als Erfolgsgarant. Insofern ist "Palworld" vielleicht auch ein Spiel, das sich Liebhaber seit Jahren gewünscht haben. Dazu hat "Palworld" einen weiteren Vorteil. Im Gegensatz zu "Pokémon" gibt es das Spiel auf mehreren Plattformen - für den PC und die Xbox, wo es sogar im Game Pass enthalten ist. Eine Playstation-Version soll bald folgen.

"Palworld" bietet süchtig machende Mechaniken, eine irre Fan-Fiction, provoziert, liefert zudem genug Material, das sich zur Meme-Verwurstung eignet. Überdies gibt es (durchaus lobenswert) keine Bezahlinhalte, die vielen Spielern sonst sauer aufstoßen. Vielleicht hat es auch einen guten Zeitpunkt erwischt, einen, in dem "Pokémon"-Fans kurz vor einem Hungertod standen. Es dürfte eine Kombination aus allem sein, die "Palworld" so erfolgreich macht. Zumindest so lange, bis es ein gutes "Pokémon" gibt oder etwas Originelleres. Etwas, das die Welt der Taschenmonster neu denkt - kein überdrehter Abklatsch.

Quelle: ntv.de

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