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Nicht nur in Deutschland Chile sucht Wunschpartner im Lithiumgeschäft

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Olaf Scholz will die Rohstoffpartnerschaft mit Chile ausbauen.

Olaf Scholz will die Rohstoffpartnerschaft mit Chile ausbauen.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Chile verfügt über eines der größten Lithiumvorkommen weltweit. Für Olaf Scholz der ideale Lieferant. Doch der Präsident des Landes treibt eine Quasi-Verstaatlichung voran - und schreckt damit möglicherweise deutsche Unternehmen ab.

Es ist erst wenige Wochen her, dass Deutschland und Chile ihre Rohstoffpartnerschaft erneuert haben. Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete das lateinamerikanische Land als "Wunschpartner" unter den strategischen Lieferanten. Politisch sind das gute Voraussetzungen. Doch spätestens seit der Verkündung einer neuen Lithium-Strategie in Santiago durch Präsident Gabriel Boric stellt sich nun konkret die Frage, wie deutsche Unternehmen sich aufstellen, um ihre Versorgung mit dem für die E-Mobilität so bedeutsamen Rohstoff zu sichern.

Denn auch europäische Länder, bzw. Unternehmen, wären für Chile Wunschpartner und somit entsprechend willkommen, sagt Michael Schmidt, Rohstoffexperte der Deutschen Rohstoffagentur DERA. "Ein solches Engagement könnte in einem ,Gesamtpaket' neben reinen Investitionen auch Komponenten wie Ausbildung von Fachkräften, akademische Zusammenarbeit und technologischen Austausch beinhalten. So etwas bieten chinesische Firmen, zumindest bisher, tendenziell nicht." Das würde auch zu dem Anspruch der chilenischen Regierung passen, das Land stärker im Bereich der weiteren Wertschöpfung zu etablieren. "Aber wenn beispielsweise China große Investitionen zusagt, würde es der Regierung vermutlich schwerfallen, das zu ignorieren," so Schmidt.

In einer nationalen Fernsehansprache hatte der junge Präsident vergangene Woche eine lange erwartete Strategie verkündet, wonach der Staat seinen Einfluss ausbauen will, um eine "kontrollierte" Entwicklung des Lithium-Geschäfts zu gewährleisten - anders als der Wildwuchs im Nachbarland Argentinien, der auch die Umwelt schwer strapaziert. Schnell machte das Wort der "Nationalisierung" die Runde. Bei genauerem Hinsehen setzt Boric auf öffentlich-private Partnerschaften mit einer knappen staatlichen Mehrheit. Die neue Strategie ist zugleich aber eine Einladung: ein Startschuss für neue Lizenzen - der jedoch zunächst viele Unternehmen verschreckt haben dürfte.

"Feldzug" zu neuen Erschließungen

Im Palast La Moneda erklärte der Präsident die wichtigsten Punkte der Regierung, wie das Potenzial des Minerals für Chile künftig stärker genutzt werden soll. "Unser Land verfügt über 45 Prozent der weltweiten Vorkommen und ist nach Australien der zweitgrößte Produzent der Welt", sagte Boric. Heute werde Lithium nur im Salar de Atacama abgebaut, einem Salzbecken 90 Kilometer lang und 35 Kilometer breit. "Und trotzdem macht die Produktion unseres Landes mehr als 30 Prozent des Weltmarktes aus". Das Potenzial sei "enorm".

Neben dem Salar de Atacama, der 90 Prozent der Lithium-Vorkommen birgt, gebe es mehr als 60 weitere Salzbecken und -Seen, führte Boric aus: "Diese Politik wird daher auch ein Feldzug sein, sie zu erkunden, ihr Förderpotenzial zu bewerten und - was sehr wichtig ist - auch die geschützten Gebiete und Seen abzustecken, wo kein Abbau stattfinden wird." Der 2021 auf einem linken Ticket gewählte 37-Jährige strebt unverkennbar eine ökologische Wende an: "Dies ist die beste Chance, die wir haben, den Übergang zu einer nachhaltigen, entwickelten Wirtschaft zu schaffen."

So sollen auch die beiden Unternehmen, die den Abbau dominieren, auf umweltfreundlichere Techniken schwenken: Statt Salzwasser in rauen Mengen in Becken verdampfen zu lassen - wobei in der ohnehin trockenen Atacama-Wüste zum Leid der Bevölkerung Milliarden Liter Wasser verloren gehen - soll ein fortschrittlicheres Verfahren die Regel werden: Im sogenannten DLE-Verfahren, das in Projekten bereits erfolgreich erprobt wird, kann die Sole zu einer Aufbereitungsanlage gepumpt werden, in der ein Harz- oder Absorptionsmaterial das Lithium aus der Sole extrahiert. Danach wird die Sole wieder in die Grundwasserleiter des Beckens eingeleitet.

20 Prozent der Weltproduktion

Das Chemieunternehmen Sociedad Quimica y Minera (SQM), das mit Abstand am meisten am Salar de Atacama abbaut, hat bereits Pläne angekündigt, die Lithiumsalze bald CO2- und wasserneutral herzustellen. Zu seinen Kunden gehört der südkoreanische Batteriehersteller LG. SQM verfügt dank guter Kontakte zur vorherigen Regierung über weite Abbaurechte, die jedoch 2030 auslaufen. Dann stünden drei Viertel der chilenischen Produktion von Lithiumkarbonat - Exporte von 157.000 Tonnen im Jahr 2022 - und 20 Prozent der weltweiten Produktion - zur Disposition. Das US-Unternehmen Albemarle, das vor einigen Jahren auch eine deutsche Lithium-Firma übernahm, kontrolliert mit 50.000 Tonnen ein Viertel der Produktion in Atacama.

Auf dem globalen Lithium-Markt gibt es nur wenige große Player. Es sind Förderunternehmen und Raffinerien einerseits sowie Batteriehersteller und große Abnehmer aus der Automobil- und Elektronikindustrie andererseits. Die größten bekannten Lithium-Vorkommen befinden sich im südamerikanischen Lithium-Dreieck der Anden-Staaten Chile, Argentinien und Bolivien. Auch Australien, China und Simbabwe besitzen große Reserven. Die weltweit bekannten Reserven werden derzeit mit 14 Mio. Tonnen angegeben. Der prognostizierte Bedarf übersteigt dies absehbar um ein Vielfaches.

Auch die chinesische Beteiligung an SQM von 24 Prozent dürfte gespannt sein, was die angekündigte neue Einflussnahme des Staates zu bedeuten hat. Boric hat bereits angekündigt, seine Regierung werde noch im ersten Halbjahr mit SQM über die neuen Beteiligungsrichtlinien und die gewünschten öffentlich-privaten Partnerschaften in Gespräche treten. Der Aktienkurs von SQM brach nach der Rede des Präsidenten vorübergehend um 20 Prozent ein.

Große Nervosität

Tatsächlich sorgte die Ankündigung der nationalen Lithium-Strategie durchaus für eine gewisse Nervosität am Markt. Signalwirkung hat sie aus Sicht von Experten aber auch im Sinn einer größerer Berechenbarkeit. "Ein klarer Rechtsrahmen, der für alle Teilnehmer gleichermaßen gültig ist, ob Produzenten oder Projektentwickler, ist längst überfällig und zunächst positiv zu bewerten", meint DERA-Experte Schmidt. Das erlaube der Industrie, bei entsprechender Umsetzung der Ankündigung, sich mit einer gewissen Sicherheit im Land zu engagieren. Und Chile brauche ausländische Investoren im Bereich Lithium, so Schmidt. Ohne mehr Rechtssicherheit würde der Marktanteil Chiles in den kommenden Jahren von aktuell 26 auf unter 13 Prozent sinken.

Angekündigt hat der Präsident auch eine neue nationale Lithium-Gesellschaft. Bis zu ihrer Gründung soll jedoch der staatliche Kupferkonzern Codelco das staatliche Mitspracherecht durchsetzen. Er wäre auch der Ansprechpartner für deutsches Interesse. Wer sich indes in die Reihe potenzieller Investoren begeben will - und die politische Rohstoffpartnerschaft mit Leben erfüllt - ist unklar. In Frage kämen der Chemiekonzern BASF ebenso wie die Autobauer Mercedes oder Volkswagen. Sie alle ließen in der Vergangenheit erkennen, dass sie sich global und aktiv um eigene Partnerschaften für die sichere Beschaffung des kostbaren Rohstoffs bemühen.

BASF ließ auf Nachfrage wissen, der Konzern beziehe Lithium zur Herstellung von Kathodenmaterialien für Batterien "aus verschiedenen Ländern und von verschiedenen Lieferanten". Detailliertere Angaben über Lieferbeziehungen würden nicht gemacht. Dabei sind die Ludwigshafener schon seit Jahren Teil eines entwicklungspolitisch geförderten Netzwerks, das sich für nachhaltige Lieferketten von Lithium aus dem Atacama-Salar engagiert.

Reiht Deutschland sich in Schlange ein?

Das branchenübergreifende Projekt "Responsible Lithium Partnership" zielt im Gespräch mit lokalen Interessengruppen auf einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen im Wassereinzugsgebiet des Salar de Atacama ab. Die 2021von BASF, der Mercedes-Benz Gruppe, Daimler Truck, Fairphone und Volkswagen gegründete Initiative nahm seitdem noch BMW auf. Alle Teilnehmer bekräftigen, die Lithiumbeschaffung oder Einkauf von mineralischen Rohstoffen hätten mit der Partnerschaft nichts zu tun.

Wer in Deutschland Geld in die Hand nehmen will, um sich unter den halbstaatlichen Bedingungen im Abbau zu engagieren, dürfte sich in den kommenden Monaten entscheiden. Chinesische Marktteilnehmer scharrten bereits mit den Hufen, sagen Beobachter, es gebe aber gute Möglichkeiten auch für europäische Firmen, Partnerschaften einzugehen. Interessenten würden wohl noch das Kleingedruckte der Strategie abwarten, meint Rohstoffexperte Schmidt, der von einem Zeitfenster von sechs bis neun Monaten spricht, "die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen". Denn: "Im Sinne einer nachhaltigen Beschaffung mit dem geringstmöglichen CO2-Fußabdruck ist das geringste Risiko nun einmal in Lateinamerika verortet."

Das sieht auch der britische Projektentwickler CleanTech so, der in einer Anlegernotiz auf die vermeintliche Verstaatlichung reagierte. Der Schwerpunkt der "staatlichen Mehrheitskontrolle" liege auf Vermögenswerten, die als strategisch wichtig für das Land angesehen werden, heißt es dort. Das seien annehmbar in erster Linie die Salare Atacama und Maricunga. Bei anderen Vorkommen hätten Privatunternehmen mit Lizenzen zur Exploration abbauwürdiger Vorkommen die Möglichkeit, eine Minderheitsbeteiligung des Staates zu beantragen. Gezwungen werde dazu aber niemand.

Deutschland ist ein Wunschpartner

Dass ein deutscher Einstieg von Chile gern gesehen würde, wird in Santiago von Beobachtern der Auslandshandelskammer (AHK) wie auch dem Informationsdienst GTAI bestätigt, die beide nicht von einer "Verstaatlichung" sprechen wollen. Denn die Vorkommen befinden sich seit langem in der Hand des Staates und der Abbau kann nur mit entsprechenden Abbaugenehmigungen in festgelegtem Rahmen stattfinden. Darüber hinaus hat der Staat schon jetzt massive Vorteile und Einnahmen aus dem Lithium-Geschäft. 2022 kassierte er nach offiziellen Angaben mehr als 5 Mrd. Dollar über Steuern auf die Gewinnung des Rohstoffs, oder 1,6 Prozent des BIP.

Aus Sicht von AHK-Geschäftsführerin Cornelia Sonnenberg, "könnten deutsche Interessenten für eine Beteiligung an Abbau und Verarbeitung von Lithium vor Ort sich auch zu einer Konsortialstruktur zusammentun, die Teile der Verarbeitungsketten reflektiert." Deutsche Akteure in der Prozesstechnik mit Know-how über Spezialchemikalien und Technologie-Erfahrung an den Salaren seien bereits in dem Andenstaat aktiv.

Und mit dem Kupferkonzern Codelco, der bereits eine Partnerschaft mit der Hamburger Aurubis vereinbart hat, habe man einen stabilen Verhandlungspartner, so Sonnenberg - der anders als Politiker nicht in drei Jahren wieder weg sein würde. Mit dem an der AHK eingerichteten Kompetenzzentrum Rohstoffe stellt die Geschäftsführerin sich in jedem Fall auf bewegte Zeiten ein, um möglichen Anwärtern beizustehen, wenn sie sich neben US-Amerikanern, Kanadiern, Franzosen oder Chinesen in die Lithium-Schlange einfügen wollen. Es gebe verschiedene Wege zum Einstieg."

Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de.

Quelle: ntv.de

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