Wirtschaft

Gesundheitsrisiko Pflanzengift Droht Krebsgefahr vom Acker?

Glyphosat, das meistverkaufte Pflanzengift der Welt, ist "wahrscheinlich krebserregend".

Glyphosat, das meistverkaufte Pflanzengift der Welt, ist "wahrscheinlich krebserregend".

(Foto: picture alliance / dpa)

Uno-Forscher warnten im Frühjahr: Glyphosat, das meistverkaufte Pflanzengift der Welt, ist "wahrscheinlich krebserregend". Seitdem bangen Agrarkonzerne um Milliardengewinne. Und reden die Risiken klein, sagen Umweltschützer.

Prof. Andreas Hensel sieht aus wie der Inbegriff deutscher Gründlichkeit. Mit gestreifter Fliege und randloser Brille sitzt der Chef des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in der öffentlichen Anhörung im Bundestag. "Es erfüllt mich mit Sorge, wenn unabhängige Institutionen wie das BfR ohne Grundlage öffentlichkeitswirksam verdächtigt werden, von der Wirtschaft  oder der Politik beeinflusst zu sein", schmettert Hensel den Abgeordneten entgegen.

Hensel steht seit Monaten unter Feuer. Im Frühjahr hatten Wissenschaftler der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt: Glyphosat, das meistverkaufte Pflanzenschutzmittel der Welt, sei "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen". Damit haben die WHO-Krebsforscher nicht nur Hensels Behörde, sondern die ganze Agrarindustrie durcheinandergewirbelt.

Weltweit beurteilen Zulassungsbehörden wie das BfR und auch eine andere WHO-Agentur Glyphosat bisher als unbedenklich. Der Forscher-Streit würde kaum interessieren, ginge es nicht um das wichtigste Ackergift der Welt. Zumindest die potentielle Gesundheitsgefahr ist riesig: Der Alles-Töter Glyphosat wird seit 40 Jahren großflächig verspritzt. Für Agrochemie-Riesen wie Monsanto, Syngenta und Co. geht es um Milliarden.

"Glyphosat müsste verboten werden"

Im Dezember läuft die EU-Zulassung aus. Eigentlich schien es, als wolle die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für zehn weitere Jahre grünes Licht geben. Nun will sie den Unkraut-Killer vorläufig nur für weitere sechs Monate genehmigen. Das Urteil der WHO-Forscher setzt Hensel und die deutschen Risikoprüfer massiv unter Druck. Denn von ihrer Empfehlung, die die EFSA an die EU-Kommission weiterleitet, hängt jetzt maßgeblich ab, ob Glyphosat weiter zugelassen wird.

Umweltschützer haben das Mittel schon länger auf dem Kieker. "Glyphosat ist so ein bisschen das Chlorhühnchen der Gentechnik geworden", sagt Hensel. Für grüne Ideologen, die Gen-Food grundsätzlich ablehnen, ist Glyphosat ein willkommenes Argument. Denn das Mittel wird vor allem beim Anbau von Gen-Pflanzen eingesetzt. Viele sind extra auf Resistenz gegen den Unkraut-Killer programmiert. Ein EU-weites Glyphosat-Verbot wäre auch ein schwerer Schlag für die Gentechnik.

Die unterschiedlichen Einschätzungen der Forscher lassen sich womöglich ganz einfach erklären: Die WHO-Wissenschaftler untersuchen das grundsätzliche Krebsrisiko von Stoffen, das BfR prüfe dagegen, ob unter konkreten Bedingungen Gefahr bestehe, in denen Menschen Glyphosat ausgesetzt seien, erklärt Hensel. Bei Glyphosat sei alles eine Frage der Dosis, findet auch Prof. Helmut Greim von der TU München: Es sei zwar toxisch, aber "die Anwendungsbedingungen lassen nicht den Schluss zu, dass Anwender und Verbraucher gefährdet sind".

In Deutschland mag das stimmen. Doch vor allem in Südamerika wird Glyphosat tonnenweise von Flugzeugen auf Felder, Tiere und Menschen gesprüht. Das IARC warnt, dass "weltweit Fälle tödlicher Vergiftungen bei Menschen dokumentiert" seien. Laut der IARC-Untersuchung traten bei Nagetieren, die hohe Glyphosat-Dosen abbekommen hatten, bereits Änderungen des Lebergewichts und Zellveränderungen auf.

"Das BfR spielt die Risiken herunter"

Außerdem dokumentierten sie in Studien Auswirkungen auf Bauchspeicheldrüse, Hoden, Nieren und Eierstöcke. "Nach den Kenntnissen, die wir derzeit haben, müsste Glyphosat verboten werden", sagt Prof. Karen Friedrich von der Sergio Arouca National School of Public Health in Rio de Janeiro. Das Problem sei, dass Glyphosat schnell ausgeschieden werde. Das mache den Nachweis schwierig. Umstritten ist auch, ob Glyphosat selbst oder andere Begleitstoffe in den Unkrautgiften das Problem sind.

Laut IARC gibt es "trotz der weltweiten intensiven Nutzung relativ wenige Studien zum Vorkommen von Glyphosat in der Umwelt". Die Einstufung als "wahrscheinlich krebserregend" basiert auf Untersuchungen von Menschen, die Glyphosat versprüht haben. Welche Folgen Glyphosat hat, wenn es über die Umwelt oder das Essen aufgenommen wird, dazu gibt es bisher keine Erkenntnisse.

Dabei ist es inzwischen überall: im Boden, im Trinkwasser, im Menschen und sogar in der Muttermilch. Und es kennt keine Landesgrenzen. Ein Großteil des Unkraut-Killers wird in Südamerika auf riesige Plantagen mit genmanipulierten Sojabohnen gespritzt, die dann in der industriellen Tierhaltung an deutsche Schweine und Hühner verfüttert werden.

Das BfR "spielt die Gesundheitsgefahren von Glyphosat systematisch herunter", kritisiert Gerald Neubauer vom Kampagnen-Netzwerk Campact. Und auch die Naturschutzorganisation BUND hat eine andere Erklärung für das Urteil der deutschen Risikoprüfer. "Die Krebsforscher der WHO haben sich ausschließlich auf unabhängige Studien konzentriert", sagt Pestizidexpertin Heike Moldenhauer.

Die Industrie setzt Maßstäbe

Das BfR stützt sich dagegen vor allem auf Daten der Hersteller. Denn die können sich nicht nur aussuchen, in welchem EU-Land sie die Zulassung ihrer Pflanzengifte beantragen. Sie müssen auch die Studien für die Zulassung selbst erstellen und bezahlen. Die große Nähe zwischen Industrie und Prüfern ist unübersehbar.

Anders als das IARC hat das BfR eine Reihe von Studien als "nicht zuverlässig" bewertet, die eine erhöhte Krebsrate belegen - eine sogar vom renommierten National Cancer Institute der USA. Interpretiert und aussortiert haben die Prüfer sie nach den sogenannten Klinisch-Kriterien - einer Checkliste, die sich drei BASF-Mitarbeiter ausgedacht haben.

Dieser Maßstab sei "in der Epidemiologie völlig unbekannt", kritisiert Prof. Eberhard Greiser von der Universität Bremen. Seine Anwendung, die vom BfR offenkundig in Routine durchgeführt werde, sei "wissenschaftlich absurd". Andere "Studien" hat das BfR dagegen nur zu gerne hinzugezogen: Leserbriefe von Mitarbeitern der Glyphosat-Hersteller. Laut Greiser dienten sie dazu, "die Ergebnisse von exzellenten epidemiologischen oder toxikologischen Studien in Frage zu stellen."

Quelle: ntv.de

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