Wirtschaft

Auch deutsche Bewerber verstörtFirmen schneiden sich mit AfD-Annäherung ins eigene Fleisch

28.11.2025, 19:43 Uhr Christina-LohnerChristina Lohner
Helfer-reichen-Sekt-bei-der-Wahlparty-der-Alternative-fuer-Deutschland-in-der-Bundesgeschaeftsstelle-der-AfD-Am-Sonntag-findet-die-vorgezogene-Wahl-zum-21-Deutschen-Bundestag-statt
Der Verband der Familienunternehmer nennt die AfD selbst ein "Wirtschaftsrisiko". (Foto: picture alliance/dpa)

Unternehmen streiten über den richtigen Umgang mit der AfD. Mit einer Normalisierung tun sie sich allerdings keinen Gefallen, wie Studien zeigen. Rechtes Gedankengut schreckt nicht nur Fachkräfte aus dem Ausland, sondern auch aus Deutschland ab.

Die Empörung ist groß. Namhafte Unternehmen wie Rossmann, Vorwerk oder Fritz-Kola treten demonstrativ aus dem Verband der Familienunternehmer aus, weil sich dieser gegenüber der AfD öffnet. Verbandschefin Marie-Christine Ostermann erklärt, das Weltbild der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei passe nicht zur Grundüberzeugung ihrer Organisation. Das "Kontaktverbot" zu AfD-Bundestagsabgeordneten sei jedoch aufgehoben. Angesichts der hohen Zustimmungswerte für die Partei helfe nur noch die Auseinandersetzung mit deren Inhalten. In der Wirtschaft ist eine Debatte über den richtigen Umgang mit der AfD entbrannt: Die "Brandmauer" hochhalten oder im direkten Austausch entzaubern?

Auf politischer Ebene wird diese Diskussion schon lange geführt, aber wie gut oder schlecht ist die Politik der AfD für die Wirtschaft? In ihrem Bundestagswahlprogramm setzt sie sich gleich im ersten Kapitel für die Wirtschaft ein. Das Ziel: "Wohlstand für alle" und "neue Entfaltungsmöglichkeiten", insbesondere für den Mittelstand. "Made in Germany" solle "wieder zu einem Markenzeichen für Exzellenz und Einzigartigkeit" werden.

Die größte Sorge des deutschen Mittelstands ist laut einer Umfrage des Instituts für Mittelstandsforschung der Fachkräftemangel. Einer Studie des Ifo-Instituts zufolge sind Unternehmen in Ostdeutschland davon noch stärker betroffen als der Rest des Landes - also ausgerechnet dort, wo die AfD besonders stark ist.

Ausgerechnet oder auch aus diesem Grund? Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Rechtsruck sowohl ausländische als auch deutsche Fachkräfte abschreckt. Das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse wie folgt zusammen: "Städte und Regionen, in denen rechtspopulistische Parteien und Bewegungen breite Unterstützung erfahren, haben einen nicht zu unterschätzenden Nachteil bei der Anwerbung von in- und ausländischen Fachkräften."

Vor allem Junge und Hochqualifizierte wenden sich ab

Laut ZEW-Forscher Tommy Krieger zählen Sicherheitsbedenken und der Wunsch, "in einem Umfeld zu leben, in dem sie von Menschen mit ähnlichen Ansichten und Interessen umgeben sind", zu den Hauptgründen, warum Menschen solche Regionen meiden. Verschiedene Untersuchungen in Italien und Österreich zeigten demnach, dass nach Wahlerfolgen von Rechtspopulisten - oder in der Schweiz nach einem Referendum gegen Minarette - weniger Ausländer in die entsprechenden Gemeinden zogen. Dabei könnten allerdings zum Teil auch politische Maßnahmen gegen einen solchen Zuzug eine Rolle gespielt haben.

Krieger selbst hat mithilfe eines Kontrollgruppenverfahrens die Wirkung der Pegida-Demonstrationen in Dresden untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass aufgrund der Proteste rund zehn Prozent weniger junge Deutsche nach Dresden zogen, der Großteil davon Studierende. Daneben wirkten sich die Demonstrationen negativ auf die Zahl der ausländischen Studierenden aus. Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass eine Stadt als weniger attraktiv und weniger sicher wahrgenommen wird, wenn migrationskritische Kundgebungen stattfinden. Dabei reagierten Menschen, die linke Parteien unterstützen, stärker.

Auch eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Arbeitsagentur ergab, dass fremdenfeindliche Einstellungen in Regionen die Arbeitsmigration dorthin verringern. Sowohl innerhalb Deutschlands als auch aus dem Ausland ziehen weniger Arbeitskräfte in solche Regionen, wie Studienautorin Tanja Buch im IAB-Forum erklärte. Innerhalb Deutschlands reagieren dabei Hochqualifizierte und junge Menschen besonders stark. Ein Teufelskreis, wie Co-Autorin Carola Burkert ausführte: Ein Zuzug eben dieser Menschen führe zu einem Austausch von Ideen und Lebensentwürfen. "Bleibt dieser aus, können sich fremdenfeindliche Ideen weiter verfestigen, und das könnte weiter zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen." Für ihre Berechnungen werteten die Wissenschaftlerinnen umfassende Daten aus dem Zeitraum 2004 bis 2017 aus.

Selbst die AfD setzt auf ausländische Fachkräfte

Burkert meint: "Auch die Wirtschaftsverbände und Unternehmen sind gefordert. Sie sollten in diesen Zeiten auch aus Eigeninteresse klarmachen, wo sie politisch stehen: für Weltoffenheit, gegen Abschottung." Zu den geringeren Zuzügen kommen außerdem Abwanderungstendenzen hinzu. Die Ergebnisse zeigten auch, "dass ausländische Arbeitskräfte auf Fremdenfeindlichkeit sehr wohl durch vermehrten Fortzug reagieren".

Eine Befragung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung ergab Anfang des vergangenen Jahres: "Fast jede zehnte Person mit Migrationshintergrund überlegt in Anbetracht der AfD-Erfolge ernsthaft, Deutschland zu verlassen." Unter den Befragten mit Herkunft aus dem Nahen Osten und Nordafrika dachte demnach fast ein Fünftel über einen Wegzug nach.

Dabei sind gerade in sogenannten Engpassberufen, in denen Fachkräfte fehlen, Mitarbeiter mit Einwanderungsgeschichte besonders stark vertreten, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen. Dass Deutschland angesichts des Fachkräftemangels auch auf Zuwanderung angewiesen ist, darin sind sich die großen Parteien einig. Selbst die AfD begrüßt "die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte, sofern diese zum Erfolg unseres Landes sowie zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland beitragen können. Das gilt für alle Berufsfelder, in denen bei uns Mangel herrscht, beispielsweise im Handwerk, im Gesundheitswesen, in naturwissenschaftlichen und IT-Berufen."

Ein Erstarken von Rechtspopulisten oder Rechtsextremen hat jedoch offensichtlich genau den gegenteiligen Effekt. Prominente Wirtschaftsvertreter und Ökonomen wie der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, oder die Vorstandschefs von Mercedes-Benz, Siemens und der Deutschen Bank warnten vor einem Rechtsruck oder teils sogar explizit vor der AfD, etwa "Schraubenkönig" Reinhold Würth. Mercedes-Chef Ola Källenius erklärte, ohne Menschen mit Migrationshintergrund würde kein einziges Auto vom Band laufen.

"AfD-Wähler sollten sich fragen, wer sie im Alter pflegt"

Vor zwei Jahren stimmte bei einer IW-Umfrage unter Hauptgeschäftsführern der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände fast jeder zweite Befragte der Aussage zu, das Erstarken der AfD führe auf betrieblicher Ebene zu "Schwierigkeiten, in AfD-Hochburgen Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen". Nur 13 Prozent lehnten die Aussage ab. "Dabei kann die aus der Demografie erwachsende Krise nur mit ausländischen Erwerbstätigen ausgeglichen werden", erklärte das IW. "Die Zuwächse an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Ostdeutschland wären in den vergangenen Jahren ohne Zuwanderung aus Drittstaaten nicht möglich gewesen."

In der aktuellen Debatte um den Familienunternehmerverband betonte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, "das einheimische Potenzial an Arbeitskräften ist bereits besser ausgeschöpft als in nahezu allen anderen Ländern Europas". Der Ökonom sagte dem "Handelsblatt": "AfD-Wähler gerade in den etwas abgelegeneren Gebieten Deutschlands sollten sich einmal fragen, wer sie eigentlich im Alter pflegen soll."

Auch wirtschaftspolitische Forderungen der AfD, wie der von Parteichefin Alice Weidel ins Spiel gebrachte Austritt aus der EU, wären teilweise ökonomisch fatal. Mit solchen Extrempositionen könnte sich die Partei aber - zumindest derzeit - nicht einmal bei einer etwaigen Regierungsbeteiligung durchsetzen. Für die Abschreckung von Fachkräften dürften hingegen bereits die guten Umfragewerte genügen; ein "Abriss" der "Brandmauer" ist da noch gar nicht eingerechnet.

Unternehmer sollten sich somit gut überlegen, mit wem sie ins Gespräch kommen möchten. Auf seiner Internetseite schreibt der Familienunternehmerverband selbst, die AfD sei "nicht nur für Ostdeutschland ein Wirtschaftsrisiko".

Quelle: ntv.de

AfDIABRechtsextremismusInstitut der deutschen Wirtschaft KölnRechtspopulismusFachkräftemangel