Wirtschaft

Wintersport ohne Schnee? Skigebiete stehen vor einem Dilemma

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Da lag noch genug Schnee: das bayerische Brauneck kurz vor Neujahr.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der ungewöhnlich milde Winter bricht Temperaturrekorde. Die Pisten haben keinen Schnee mehr, viele Skigebiete in den Alpen bleiben geschlossen. Doch was machen die, die vom Skitourismus leben? Sie stehen vor einer schwierigen Frage.

Es sind skurrile Bilder: Dort, wo normalerweise Wintersportler auf schneeweißem Untergrund die Pisten hinab brettern, sehen die Skihänge für Januar inzwischen erstaunlich grün aus. Einer, der das bezeugen kann, ist Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein (DAV). Dort leitet er das Ressort für Naturschutz und war erst kürzlich in den Alpen unterwegs. "Es ist wirklich so, dass man weiße Bänder in grüner Landschaft hat. Bis vielleicht 1500 Meter hinauf gibt es praktisch keinen Schnee in der Landschaft", erzählt er im Gespräch mit ntv.de. Erst darüber gibt es neben dem Kunstschnee auch natürlichen Schnee in der Landschaft. "In ganzen anderen deutschen Skigebieten sind nur noch einzelne Pisten in Betrieb."

Was eigentlich als Todesstoß für den Wintersport klingt, bezeichnet Antonia Asenstorfer auf ntv.de-Anfrage als "Traumstart" in die Saison. Sie ist Pressesprecherin von "Alpen Plus" und betreut vier Skigebiete in Oberbayern, die alle auf etwa 1500 Metern Höhe liegen. Und tatsächlich für die Betreiber war der Start in die Wintersaison gut, denn Anfang Dezember war es wirklich kalt in Deutschland.

Das große Problem entstand erst wenig später. Nach den Festtagen habe sich das "fast schon traditionelle Weihnachtstauwetter" eingestellt, wie Asenstorfer es beschreibt. Der ungewöhnlich milde Winter brach an Neujahr in Deutschland sämtliche Temperaturrekorde. Etwa in Bayern, wo Wintersportler an Neujahr normalerweise bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Skiunterwäsche am Hang frieren, waren es in diesem Jahr fast 20 Grad. Und nun fehlt vielen Alpenregionen das, wovon etliche Orte eigentlich leben: der Schnee. In Brauneck, einem der vier Regionen von "Alpen Plus", fährt heute niemand mehr Ski.

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"Wirtschaftlich gar nicht so schlecht"

Die Vermutung liegt nahe, dass aus der Schnee- auch schnell eine Wirtschaftskrise wird. Doch die zeichnet sich noch nicht ab. "Momentan sieht es, vor allem in den hoch gelegenen Skigebieten, wirtschaftlich gar nicht so schlecht aus", sagt Marius Mayer im Gespräch mit ntv.de. Der Professor für Tourismus lehrt an der Münchner University of Applied Sciences. Die gute Weihnachtssaison lasse sich dadurch erklären, dass die Menschen ihre Buchungen nicht storniert hätten - auch dank der Kälteperiode vor den Feiertagen. Dabei wäre der Schaden nicht unerheblich gewesen. "Je nach Destination macht die Weihnachtssaison 20 bis 30 Prozent des Umsatzes aus", sagt Mayer.

Die nächste wichtige Phase der Wintersaison folgt dann erst im Februar, insgesamt geht sie noch bis Ostern. Wie erfolgreich der Winter war, lässt sich an einer Daumenregel schätzen: Ein Skigebiet muss in etwa 100 Tage in Betrieb sein, um die laufenden Kosten zu decken. Wenn es neben einer Großstadt liegt, ist die Zeit vielleicht etwas kürzer.

Nur, wenn die Wintersaison immer weiter schmilzt, wird es problematisch. Schon 2013 hat der Deutsche Alpenverein für die bayerischen Gebiete eine Studie herausgegeben, die nahelegt, dass auf Dauer der Schnee verschwindet. Die Umweltschützer können gerade dabei zusehen, wie ihre Vorhersagen nach und nach zutreffen. Wenn es so weiter geht, kann demnach in zehn Jahren knapp die Hälfte der bayerischen Gebiete keinen Schnee mehr garantieren - auch mit Schneekanonen.

Langfristig kommen so auf die Alpenregionen wirtschaftliche Schwierigkeiten zu. Es liegen keine genauen Zahlen vor, aber laut Tourismus-Experte Mayer gibt es rund 6000 Gemeinden in den Alpen. Davon hätten etwa sieben Prozent eine regelrechte Wintersport-Monokultur entwickelt. Das klingt erst mal wenig, die rund 600 Skigebiete konzentrieren sich nur auf einen Bruchteil der Alpen. Nicht alle Regionen des Gebirges sind nur auf den Skitourismus angewiesen, dafür gibt es regional große Abhängigkeiten - besonders in Österreich.

Angebot braucht auch Nachfrage

Die Betreiber stecken deshalb in einer Zwickmühle. "Die Krux ist, dass im Tourismus eben sehr viel Geld umgesetzt wird", sagt Mayer. In vielen Wintersportorten lasse sich das Kerngeschäft Ski nicht ersetzen. Und im Moment ist es noch nicht notwendig, denn das Geschäftsmodell meistens funktioniert noch. Doch je mehr sie versuchen, mit dem Wintertourismus Geld zu verdienen, desto mehr verstricken sie sich in Abhängigkeiten.

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Sorgte immer wieder für Kritik: die Depot-Skipiste in Kitzbühel.

(Foto: picture alliance/dpa/APA)

Schneeorte sind bereit, dafür nicht nur auf Schneekanonen zu setzen. Etwa in Kitzbühel: Auch der österreichische Nobelort hat ein Höhenproblem - er liegt auf knapp unter 800 Metern. Mit einem Kniff startet ihre Wintersaison schon früher als alle anderen. Sie lagern Schnee aus der Vorsaison isoliert unter Hartschaumplatten. Die "Depot-Skipiste" ist im Oktober schon befahrbar. Anderorts kann es dagegen bizarrer werden: In der Schweiz sollte ein Helikopter Schnee von einer Piste auf eine andere fliegen. "In der Not muss man Sachen ausprobieren", sagte Matthias In-Albon, Chef der Bergbahnen Gstaad, dem SRF. Nur hat es nichts gebracht.

Solche Aktionen bergen neue Probleme. "Die Frage ist, ob die Kundschaft da mitgeht und wie das die Öffentlichkeit beurteilt", sagt Mayer. Vor allem technisch erzeugter Schnee genießt bei Nicht-Skifahrern ein schlechtes Image. Debatten darüber wiegelte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zuletzt als "ideologisch" ab. Schließlich habe der künstliche Ersatz für viele die Saison gerettet. Doch die Anlagen verbrauchen nicht nur Strom. DAV-Experte Reich merkt an, dass dafür große Speicherbecken errichtet würden, die sich nur selten allein mit Regenwasser füllen ließen. Abgesehen davon sind die Schneekanonen ohnehin nicht das größte Klimaproblem: Knapp 80 Prozent der CO2-Emissionen verursachen die Urlauber mit ihren Anreisen.

Der Markt schrumpft

Doch auch abgesehen von den Nachhaltigkeitsproblemen stehen der Branche nach der Corona-Pandemie erneut schwierige Zeiten bevor. Spätestens die Klimakrise lässt Skigebiete leise sterben. "Der Gesamtmarkt stagniert nicht nur, er schrumpft tendenziell sogar", sagt Mayer. Die Branche werde sich weiter "gesundschrumpfen", prognostiziert er. Dafür sorgt allein schon die alternde Gesellschaft. "Immer weniger Kinder lernen Skifahren, also werden sie dies auch als Erwachsene nicht mehr praktizieren", sagt Mayer. Hinzu kommen die Preise, die den Winterurlaub noch exklusiver machen könnten: Schon in diesem Winter rissen manche Gebiete wie Ischgl die 60-Euro-Marke für einen Tagespass. 2019 kostete er dort noch etwa 50 Euro, jetzt sind es 67 Euro.

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Der Schneemangel lässt Regionen kreativ werden. Als es das letzte Mal so mild war, im Winter 2015, hat der Skiverbund in Oberbayern von Sprecherin Asenstorfer schon in der vermeintlich kalten Jahreszeit eine Sommer-Gondelbahn geöffnet. Auf Nachfrage teilt sie mit, dass ihre Skigebiete traditionell ein Ganzjahresgebot anböten, sie seien also nicht aussschließlich vom Winter abhängig. Auch DAV-Experte Reich zählt zahlreiche Aktivitäten in den Alpen auf, die nicht viel oder gar keinen Schnee brauchen: Rodeln, Langlauf, Wandern, Mountainbiken. Die Frage ist nur, ob dabei genauso viel Geld wie im Massenskitourismus umgesetzt werden kann. Nicht alle Gebiete fangen bei der Anpassung wieder bei null an. Im Tiroler Unterland gebe es Gemeinden, sagt Tourismus-Experte Mayer, da lägen die Umsatzverhältnisse zwischen Winter- und Sommersaison bei etwa 50/50.

"Viele Gebiete überlegen schon, was Ganzjahresangebote sein könnten", sagt Reich. Einige bauen Lifte, die im Sommer und Winter gleichermaßen sinnvoll sind. Andere investieren in die Infrastruktur: Die Seilbahngesellschaft des eigentlich schneesicheren Ischgl hat jüngst erst 75 Millionen Euro in eine neue, gewaltige Therme investiert. Und wer weiterhin Skifahren will, dem bleiben immer noch die höheren Lagen, etwa an der Zugspitze. Dort wird es noch lange Schnee geben.

Quelle: ntv.de

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