Sorge um Standort Deutschland USA ziehen Rekordinvestitionen deutscher Unternehmen an
19.02.2024, 15:19 Uhr Artikel anhören
Mit einem Volumen von zwei Milliarden Dollar ist die Investition von VW in das neue Scout-Werk die größte 2023 angekündigte deutsche Investition in den USA.
(Foto: AP)
Während Deutschland über die Gefahr einer Deindustrialisierung diskutiert, hat die US-Regierung bereits gehandelt und ein gewaltiges Förderprogramm aufgelegt. Die Wirkung ist an den Zahlen zu Investitionen deutscher Unternehmen abzulesen.
Deutsche Unternehmen haben im vergangenen Jahr Direktinvestitionen in Rekordhöhe in den USA angekündigt. Zahlen des zur Wirtschaftszeitung "Financial Times" gehörenden Datenanbieters fDi Markets zeigen, wie die USA dank der milliardenschweren Anreize der Regierung unter Präsident Joe Biden nicht nur mehr Kapital aus Deutschland denn je, sondern auch China als Standort für deutsche Direktinvestitionen weit hinter sich lassen. fDI zählte für 2023 185 entsprechende Investitionsprojekte im Wert von insgesamt 15,7 Milliarden Dollar (14,5 Milliarden Euro). Im Jahr zuvor hatte der Wert noch bei 8,2 Milliarden Dollar gelegen. China, das vor wenigen Jahren bei den Kapitalausgaben deutscher Unternehmen noch vor den USA gelegen hatten, kam nur auf knapp sechs Milliarden Dollar.
2023 ist das erste volle Kalenderjahr seit Inkrafttreten der Hunderte Milliarden Dollar schweren Förderpakete, mit denen US-Präsident Biden die amerikanische Industrie "zurückholen" will. Das als "Inflation Reduction Act" bekannte Gesetz sowie der "Chips Act" für die Halbleiterindustrie umfassen Subventionen, vergünstigte Kredite und Steuererleichterungen im Wert von rund 400 Milliarden Euro. Ein Großteil des Geldes soll in die Infrastruktur, insbesondere den klimafreundlichen Umbau der Energiewirtschaft fließen. Dazu nennen von der "Financial Times" befragte Unternehmen, das starke US-Wirtschaftswachstum und die Neuausrichtung der Lieferketten nach der Corona-Krise als Argumente für ihre Entscheidung.
Die größte 2023 angekündigte Einzelinvestition eines deutschen Konzerns in den USA ist das zwei Milliarden Dollar teure Werk der VW-Tochter Scout, die künftig im Bundesstaat South Carolina Elektro-Pickups produzieren will. Inzwischen hat der Bau begonnen, vergangene Woche wurde der Grundstein gelegt.
Siemens Energy kündigte im vergangenen Jahr eine Investition von 150 Millionen Dollar für einen neuen Standort zu Produktion von Transformatoren an. Das Unternehmen sehe "ein riesiges Investitionspotenzial im neuen Ausbau der Energieinfrastruktur in den USA", zitierte die "Finanicial Times" Siemens-Energy-Vorstandsmitglied Tim Holt. In der Vergangenheit habe Siemens Energy Transformatoren unter anderem auch aus Deutschland in die USA exportiert. Angesichts der hohen Nachfrage dort sei bei der Suche nach einem Standort zur Expansion nun die Wahl auf die USA gefallen.
Abfluss von Investitionen aus Deutschland
Das Wachstum der Investitionen und die Begeisterung der Unternehmensentscheider für die USA steht derzeit in einem starken Gegensatz zur Stimmung am Industriestandort Deutschland. In Interviews und Brandbriefen beklagen Wirtschaftsvertreter die Gefahr einer Deindustrialisierung. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) ist "die Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik" für knapp zwei von drei Unternehmen ein Risiko bei ihren Investitionsentscheidungen in Deutschland. Als konkrete Beispiele für die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik nennt die Studie nach Angaben der "Rheinischen Post" die hohe Bürokratielast, hohe Unternehmenssteuern sowie einen mangelnden Ausbau der digitalen und der Verkehrsinfrastruktur.
Bereits für das Jahr 2022 hatte das IW einen Rekordabfluss von Direktinvestitionen aus Deutschland festgestellt. Demnach investierten deutsche Unternehmen knapp 143 Milliarden Dollar im Ausland, während ausländische Firmen nur rund elf Milliarden Dollar am Standort Deutschland investierten. Die Differenz stellt "den höchsten bisher verzeichneten Netto-Abfluss" dar. Entsprechende Zahlen für 2023 liegen noch nicht vor.
Laut "Financial Times"-Bericht dürfte sich der Investitionsfluss in Richtung USA auch über 2023 hinaus fortsetzen. Einer Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer zufolge, planten 96 von US-Tochterfirmen deutscher Unternehmen in den USA ihre Investitionen in den kommenden Jahren zu erhöhen.
Quelle: ntv.de, mbo