Wirtschaft

Fahrt in den Abgrund? "VW hatte in den 1990ern eine Lösung gegen Stellenabbau"

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Die Autobranche beklagt wie die gesamte Industrie im internationalen Vergleich hohe Energiekosten und Steuern, zu viel Bürokratie und teils marode Infrastruktur.

Die Autobranche beklagt wie die gesamte Industrie im internationalen Vergleich hohe Energiekosten und Steuern, zu viel Bürokratie und teils marode Infrastruktur.

(Foto: picture alliance/dpa)

Europas größter Autobauer steht vor radikalen Entscheidungen. Gelingt es dem VW-Konzern, das Ruder herumzureißen? Autoexperten sehen viele Probleme, aber auch Möglichkeiten, einen Stellenabbau im letzten Moment zu verhindern. Die Wolfsburger müssen nur in die Vergangenheit gucken.

Europas größter Autobauer taumelt. Volkswagen zückt den Rotstift und stellt alles auf den Prüfstand - auch Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen stehen zur Diskussion. Aus Sicht des Vorstands muss die Kernmarke VW umfassend restrukturiert werden. Inzwischen deutet sich an: Volkswagen könnte mindestens drei Werke in Deutschland dichtmachen und Zehntausende Arbeitsplätze abbauen. Alle verbleibenden Standorte sollen zudem schrumpfen.

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Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer zufolge führt an den angekündigten drastischen Sanierungsschritten kein Weg vorbei. "Ohne einen Sanierungsplan fährt die Marke VW in eine extrem hoch risikoreiche Zukunft", sagt Dudenhöffer im Gespräch mit ntv.de. Nur durch einen Stellenabbau könne Volkswagen wieder wettbewerbsfähig werden. Das alleine reiche aber nicht, um wieder auf die Füße zu kommen. Dudenhöffer plädiert außerdem dafür: "Volkswagen muss mehr außerhalb von Deutschland investieren, wo die Investitionen ein vernünftiges Payback haben."

Gleichzeitig müsse sich der Konzern endlich als "normales Unternehmen" aufstellen. Das bedeutet: "Niedersachsen muss raus aus dem Unternehmen", fordert Dudenhöffer. Das Land hält gut 20 Prozent der Anteile an VW und hat bei wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht. Ministerpräsident Stephan Weil und seine Stellvertreterin Julia Willie Hamburg sitzen für Niedersachsen im Aufsichtsrat. Zusammen mit den Arbeitnehmervertretern haben sie dort die Mehrheit, bei wichtigen Entscheidungen hat das Land ein Veto-Recht.

"Das größte Problem von Volkswagen ist ein politisches"

"Die Aktien sind für VW Gift", sagt der Autoexperte. Solange Niedersachsen noch an dem Unternehmen beteiligt ist, werde der Autobauer aus Wolfsburg von einer Krise in die nächste schlittern. "Die Strukturen in Niedersachsen sind einbetoniert", sagt Dudenhöffer. Das größte Problem von Volkswagen sei ein politisches, und das könne nur in Berlin gelöst werden.

VW beschäftigt in Deutschland rund 120.000 Mitarbeiter, davon rund die Hälfte in Wolfsburg. Insgesamt betreibt die Marke VW in Deutschland zehn Werke, davon sechs in Niedersachsen, drei in Sachsen und eins in Hessen. Dass Werke in Niedersachsen geschlossen werden, hält Dudenhöffer für unwahrscheinlich, da sich Ministerpräsident Weil und die IG Metall für diese besonders starkmachen werden. Weil machte erst kürzlich deutlich, es bestehe "unverändert die klare und ernst gemeinte Erwartung, in den Verhandlungen Alternativen zu Werksschließungen zu erarbeiten". Die letzte Schließung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 hatte VW seine Fabrik in Westmoreland in den USA dicht gemacht. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen.

Der Verband der Automobilindustrie rechnet damit, dass wegen der weniger personalintensiven Produktion von E-Autos bis 2035 im Vergleich zu 2019 rund jede fünfte Stelle in der gesamten Branche wegfallen wird. Dabei waren die Verdienstchancen in der gesamten Automobilbranche bislang vergleichsweise gut, und speziell VW galt lange als großzügiger Arbeitgeber. Betriebsbedingte Kündigungen waren jahrelang undenkbar, erst mit dem neuen Sparkurs seit September ist das nicht mehr der Fall. Experten halten eine Verschlankung des Unternehmens für unabdingbar.

Stellenabbau unvermeidbar?

Um Volkswagen robust für die Zukunft zu machen, muss der Autobauer laut Experte Frank Schwope allerdings nicht zwangsläufig Mitarbeiter entlassen. Er erinnert an die 1990er Jahre - damals hatte der Konzern wegen einer Absatzkrise die Vier-Tage-Woche eingeführt und die Arbeitszeit von 36 auf 28,8 Stunden gesenkt. Das Ergebnis: Die Entlassung von 30.000 VW-Beschäftigten konnte verhindert werden. Angestellte bekamen 10 Prozent weniger Lohn bei 20 Prozent weniger Arbeit.

"Eine Reduzierung der Arbeitszeit ist der wahrscheinlichere, leichtere und sozialverträglichere Weg und gibt mehr Optionen für Zeiten, in denen die Nachfrage wieder stärker anzieht", sagt Schwope ntv.de. Zudem könnte Volkswagen versuchen, mit neuen elektrischen Kleinwagen die Auslastung der Werke wieder zu steigern. Mit Blick auf die Zukunft ist Schwope vorsichtig optimistisch, dass der Konzern das Ruder noch einmal herumreißen kann. Volkswagen habe starke Überkapazitäten, aber in den vergangenen drei Jahren auf Rekordniveau verdient. In den Krisen der 1970er und 1990er Jahre habe der Konzern dagegen jeweils deutlich rote Zahlen geschrieben.

Auch IG-Metall-Chefin Christiane Benner sowie Niedersachsens Ministerpräsident Weil bringen eine Vier-Tage-Woche wieder als mögliche Lösung ins Spiel. Aus dem Unternehmen ist aber zu hören, dass eine kürzere Arbeitszeit anders als damals nicht reichen dürfte, um die Probleme zu lösen. Denn die gehen weit über vorübergehende Absatzflauten und zu hohe Lohnkosten hinaus.

Die Autobranche beklagt wie die gesamte Industrie im internationalen Vergleich hohe Energiekosten und Steuern, zu viel Bürokratie und teils marode Infrastruktur. Konzernchef Oliver Blume begründete den Kurs mit der sich zuspitzenden Lage. "Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft", sagte er. Um die angepeilten Ergebnisverbesserungen von zehn Milliarden Euro bis 2026 zu erreichen, müssten die Kosten nun stärker als bisher geplant sinken.

Drei VW-Sparten wären stärker als ein VW-Konzern

Das Hauptproblem von Volkswagen ist laut Horst Schneider, Autoexperte der Bank of America Merrill Lynch: Die Wettbewerber sind deutlich stärker. Der Autobauer aus Wolfsburg habe große Pläne mit der Elektromobilität gehabt. "So richtig sind die Modelle aber noch nicht geflogen", sagt Schneider ntv. Das sei nicht unbedingt ein VW-Problem, sondern viel mehr ein Industrieproblem.

Nicht nur Volkswagen bangt schließlich um seine Zukunft, sondern auch eine Menge Zulieferer. "Wenn wir das summieren, kommen wir nächstes Jahr sicherlich auf um die 50.000 Jobkürzungen", sagt Schneider. Laut seiner Einschätzung muss bei so einem Ausmaß irgendwann die Regierung mit einem Industrieplan eingreifen. Blume und Co rät er derweil: "Volkswagen müsste man am besten dreiteilen", sagt Schneider. Der Konzern habe prinzipiell mit seinen Sparten für Trucks, Premium und den Massenmarkt einen unglaublichen Skalenvorteil. "Am Ende werden die Synergien nicht gehoben. Das ist ein Problem", sagt Schneider.

Quelle: ntv.de, mit Agenturen

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