Wärme aus Abwasser gewinnen "Wer sich zuletzt nach dieser Technologie umschaut, hat das Nachsehen"
17.11.2022, 13:22 Uhr
An einigen Stellen der Berliner Kanalisation können Wärmetauscher installiert werden, die Heizenergie erzeugen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Unter Berlin schlummert ein riesiges Kanalnetz, in das tonnenweise warmes Abwasser aus Badewannen, Duschen, Küchen und Waschmaschinen fließt - und anschließend umliegende Gewässer erwärmt. An einigen Stellen kann man dieses Abwasser aber auch sehr viel sinnvoller einsetzen, und zwar als Heizenergie: "Drei bis fünf Prozent der Berliner Wärmemenge, die zum Heizen benötigt wird, kann man damit abdecken", erklärt Hakan Kurc von den Berliner Wasserbetrieben (BWB) im "Klima-Labor" von ntv - theoretisch alle Haushalte von Paderborn. Allerdings ist die Installation der benötigten Wärmetauscher in der Kanalisation alles andere als günstig, die Lebensdauer mit mehreren Jahrzehnten dafür umso länger. "Wenn diese Anlagen mindestens 100 kW haben, spart man 80 Prozent seiner Heizenergie", erklärt der Projektleiter für Abwasserwärme. Auch Städte aus dem Ausland klopfen deswegen inzwischen bei ihm an.
ntv.de: Die Berliner Wasserbetriebe erzeugen Wärme aus Abwasser. Was muss ich tun, wenn ich das nutzen möchte?
Hakan Kurc: Wichtig ist natürlich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt ausreichend Wasser beim Kochen, Duschen oder überall dort verwenden, wo es erwärmt wird. Auch bei der Waschmaschine natürlich, wenn man ein warmes Programm wählt. Dieses erwärmte Wasser gelangt nach dem Gebrauch als Abwasser über die Kanalisation in unser Netz.
Als Privatperson bringt es also nichts, wenn ich das warme Wasser aus der Waschmaschine sammele?
Man kann das eigene Wasser natürlich wiederverwenden, wie man das früher getan hat. Aber für unser Verfahren ist die Menge leider nicht ausreichend. Wir haben mal ein Pilotprojekt in einem größeren Hochhaus mit mehr als 70 Wohneinheiten durchgeführt: An der Stelle, wo das Abwasser gesammelt aus dem Gebäude herausfließt und in die Kanalisation übergeht, wurde ein Wärmetauscher installiert. Dabei haben wir festgestellt, dass das Abwasser von 70 Haushalten gerade einmal ausreicht, um einen Haushalt mit Wärme zu versorgen.
Mit Wärme für die Heizung?
Ja, aber das ist eine Mischtemperatur. Denn wenn man mit 40 Grad duscht und oder den Abwasch mit 38 oder 39 Grad macht, vermischt sich das warme Wasser anschließend natürlich mit kälterem. Die Mischtemperatur bei Verbraucherin und Verbraucher liegt meist zwischen 20 und 30 Grad, ist also nicht so hoch, dass man die Heizkörper damit zum Bollern bringt. Im Kanal liegt die Mischtemperatur im Winter bei ungefähr bei 16 Grad, im Sommer sind es 21 Grad. Um die Temperatur zu erhöhen, braucht man Wärmepumpen. Dann kann man mit einer Temperatur von 40, 50 oder 60 Grad in die Heizkörper oder Flächenheizung gehen.
Welche Objekte sind für das Verfahren denn ideal? Größere? Bisher wird es in Berlin vor allem von Baumärkten, Möbelhäusern, einer Schwimmhalle und Wohngebäuden genutzt.
Ja und nein. Man braucht großen Mengen Abwasser. Aber das darf nicht nur kurzfristig anfallen, sondern muss über den Tag verteilt in größerer Menge zur Verfügung stehen. Das kommt in Wohnhäusern nicht oft vor, weil das erwärmte Wasser von 70 Parteien zu unterschiedlichen Zeiten anfällt. Wenn sich in unserem Netz das Abwasser von 10.000 bis 15.000 Haushalten ansammelt, entsteht über den Tag verteilt ein größerer Abwasserstrom, den man mit einem Wärmetauscher effizient nutzen kann.
Der Nutzer dieser Wärme kann dann natürlich ein Wohngebäude sein, aber auch ein Gewerbe, ein Hotel, ein Einkaufszentrum oder ein Bürogebäude. Letzten Endes ist entscheidend: Kann er diese Energie auf niedrigerem Temperatur-Niveau nutzen? Die meisten Häuser in Berlin sind unsanierte Altbauten. Die brauchen in ihren Heizkörpern Temperaturen von 80 oder 90 Grad. Dort klappt das nicht.
Ihnen ist viel mittelwarmes Wasser also lieber als wenig heißes Wasser?
Genau.
Und wenn sich in Ihren Leitungen das Abwasser von 10.000 bis 15.000 Haushalten sammelt - wie viel lässt sich davon in Wärme umwandeln?
Das ist unterschiedlich, weil die Kanäle unterschiedlich groß sind. In den einzelnen Abschnitten sammeln sich je nach Lage und Größe auch unterschiedliche Mengen Abwasser an. Die Kanäle sind ein Netz, wie die Adern in unserem Körper.
Die Kanäle sind die "Rohre" der Kanalisation?
Richtig. Kanäle sind Rohre oder gemauerte Bauwerke, wo das Abwasser reinfließt und durch ein Gefälle frei zu einem Tiefpunkt fließt. Da Berlin eine sehr flache Topografie hat und unsere Kläranlage wegen der Geruchsbelästigung außerhalb der Stadt liegt, müssen wir das Wasser über einen langen Weg durch die Stadt befördern. Dafür brauchen wir Pumpwerke, die an den tiefsten Stellen der Stadt verteilt sind. Pro Einzugsgebiet sind es dann ungefähr 10.000 bis 15.000 Haushalte, manchmal auch mehr. Wenn das Sammelbecken gefüllt ist, springt die Pumpe an und fördert das Wasser über Abwasserdruckrohre zur Kläranlage. Das haben unsere Vorfahren schlau geplant und installiert. Wir halten das Netz instand, erweitern und erneuern es teilweise.
Und wo in diesem Netz kommen die Wärmetauscher vor, die aus dem Abwasser Heizenergie erzeugen?
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Wir berechnen, an welcher Stelle im Netz wie viel Abwasser anfällt. Eine Simulation des theoretischen Durchstroms. Wenn die Menge ausreichend ist, messen wir nach, um sicherzugehen. Hat sich die Menge bestätigt oder ist sogar größer, kann man einen Wärmetauscher an dieser Stelle einbauen. Der Richtwert sind zehn Liter pro Sekunde. Der Kanal muss außerdem ausreichend groß sein und einen Querschnitt von mindestens 600 Millimetern haben.
Ab zehn Litern pro Sekunde lohnt es sich?
Ja. Dann hat das Abwasser mindestens 100 kW. Man kann sich Folgendes vorstellen: In einem Neubau braucht man 7 bis 8 kW, um eine 70- bis 90-Quadratmeter-Wohnung zu heizen. Wenn sie gut isoliert sind, reichen auch 6 kW. Dann könnte man ungefähr 17 Haushalte versorgen.
Das Abwasser aus wie vielen Haushalten ist nötig, um mindestens 100 kW herauszubekommen?
Bei zehn Liter pro Sekunde braucht man Pi mal Daumen das Abwasser von 2500 Haushalten. Man sieht also schon eine Diskrepanz: Man braucht sehr viel Abwasser, um am Ende eine kleine Anzahl von Haushalten zu versorgen.
Das soll aber nicht bedeuten, dass man zu Hause möglichst viel Wasser verbrauchen sollte?
Nein, natürlich nicht. (lacht) Für unseren Zweck wäre es tatsächlich gut, weil wir viel warmes Wasser brauchen. Auf der anderen Seite muss man die Wärme natürlich zu Hause erst einmal erzeugen, verbraucht also Energie dafür. Das wäre nicht so toll.
Wir haben derzeit auch eine Situation, in der wir sorgfältiger mit dem Wasser umgehen müssen. Das war jahrelang nicht der Fall. In den letzten 15 oder fast 20 Jahren hatten wir nie eine Wasserknappheit, im Gegenteil: Wir hätten uns gewünscht, dass die Menschen mehr Wasser verbrauchen, um die Kanalisation durchzuspülen. Das hätte einen besseren Reinigungseffekt gehabt.
Es ist aber auch kein Nachteil, wenn plötzlich viele Menschen einen Sparduschkopf kaufen und ihren Wasserverbrauch reduzieren, um Energie zu sparen?
Das ist rechte Tasche, linke Tasche. Wir müssen ja insgesamt Energie einsparen, wo es geht. Wir greifen beim Abwasser ein, das normalerweise gar nicht genutzt wird, sondern in umliegenden Gewässern landet und diese erwärmt. Das ist auch nicht ökologisch oder erwünscht.
Wie groß ist denn insgesamt das Potenzial dieses Verfahrens? Wird es auch in anderen Städten genutzt?
Berlin hat als größte Stadt Deutschlands auch das größte Kanalnetz. Es gibt in Deutschland keine andere Stadt, die Abwasserwärme in diesem Umfang nutzen könnte. An wenigen Stellen klappt das auch in Frankfurt, Hamburg, München oder Stuttgart, aber dort sammelt sich nur in wenigen Hauptleitern die nötige Abwassermenge an. Damit kann man eine überschaubare Zahl von Objekten mit Energie versorgen.
Gilt das für andere große Metropolen weltweit auch? Es gibt ja noch viel größere Städte auf der Welt. Hat sich das Berlin von anderen Städten abgeschaut?
Tatsächlich schauen sich das andere Städte bei uns ab. Wir kriegen regelmäßig Anfragen aus den USA, Kanada oder aus dem europäischen Ausland. Berlin ist da schon relativ weit vorne, was die systematische Nutzung von Abwasserwärme angeht. Wie viel Energie kann man damit letztlich einsparen? Die schiere Abwassermenge in Berlin wäre groß genug, um rechnerisch 10 bis 15 Prozent der Heizenergie aus dem Abwasser zu beziehen. Aber das ist die Theorie. In der Praxis haben wir die erwähnten Einschränkungen: Man braucht Kanäle oder Rohre, die kontinuierlich Abwasser in ausreichenden Mengen führen. Sie müssen außerdem groß genug sein, damit man nachträglich Wärmetauscher reinbauen kann.
Der funktioniert wie?
Der Wärmetauscher liegt entweder maßgeschneidert in der Sole von Kanal oder Rohr drin oder er ist um das Druckrohr der Pumpwerke herumgelegt. Man ummantelt diese Rohre also mit einem weiteren Stahlrohr. Dadurch entsteht ein Spalt, in dem Wasser als Medium Energie aus dem Abwasser aufnimmt. Das Wasser wird anschließend zu den Wärmepumpen ins Gebäude gebracht.
Man muss aber festhalten: In großem Umfang wird uns dieses Verfahren nicht dabei helfen, die Energiekrise zu lösen?
Wir haben analysiert und durchgespielt, wo die Stellen sind, an denen wir das gut nutzen können. Als Wasserbetriebe kommen wir darauf, dass drei bis fünf Prozent der Berliner Wärmemenge, die zum Heizen benötigt wird, damit abgedeckt werden kann. Münzt man das auf die Energiemenge um, wären das ungefähr 300 Megawatt. Das entspräche einem kleineren Heizkraftwerk. Damit könnten 60.000 bis 70.000 Haushalte versorgt werden. Theoretisch kann man damit also den Energieverbrauch von Paderborn abdecken.
Kann dafür auch Abwasser der Industrie genutzt werden? Tesla verbraucht in Grünheide ja sehr viel Wasser.
Es gelangt auch warmes Abwasser der Industrie ins Netz. Wenn es wie bei Tesla um Prozesswasser geht, ist hier die Frage: Was genau wird damit gemacht? Wie schmutzig ist es? Kann man das wiederverwenden? Aber man nutzt in verschiedenen Industriezweigen tatsächlich über Rückgewinnung vor Ort Abwärme. Das ist gerade in der Lebensmittelindustrie sinnvoll, weil die Temperaturen teilweise sehr hoch sind. Dort wird mit 200 oder 300 Grad heißen Dämpfen gearbeitet. Dann ist die Energiemenge, die man zurückgewinnen kann, relativ hoch. Das Gleiche gilt für Zement- oder Aluminiumwerke.
Wird das schon großflächig eingesetzt? Kann das mit Ihrem Angebot vernetzt werden?
Das wird in vielen Industriezweigen bereits rekuperiert und zurück ins System gebracht. Das nennt sich dort aber Abwärme und nicht Abwasser, weil die Wärme in Industrieprozessen in verschiedener Form anfällt.
Und wie viel kostet so ein Wärmetauscher? Der Einbau klang nach einem teuren Unterfangen.
Das stimmt. Für Wohnungseigentümer oder Hausbesitzer sind es relativ hohe Summen, wenn man Abwasserwärme nutzen will. Nehmen wir die konventionellen Systeme: Für eine Wohnung kostet eine Gastherme mit allem Drum und Dran 10.000 bis 15.000 Euro. Für einen Hausbesitzer liegt der Wert für eine Heizanlage zwischen 25.000 und 60.000 Euro - je nachdem, wie groß das Haus ist.
Jetzt kommt Ihr Gegenangebot.
Die Wärmetauscher in einen Kanal einzubauen oder in eine Druckleitung zu integrieren, kostet mindestens 200.000 Euro. Jetzt kann man fragen: Wer interessiert sich denn für so teure Energieanlagen? Aber die Menge ist entscheidend. Wenn diese Anlagen mindestens 100 kW haben, spart man 80 Prozent seiner Heizenergie. Und sie sind für eine sehr, sehr, sehr, sehr lange Nutzungszeit ausgelegt. Unsere Verträge mit den Heizkunden haben eine Laufzeit von mindestens 15 Jahren und können jederzeit verlängert werden. Theoretisch haben die Anlagen eine Lebensdauer von bis zu 50 oder 60 Jahren. Wir haben auch schon Druckrohrleitungen, die mehr als 100 Jahre alt sind.
Trotzdem sehr teuer.
Für Einzelpersonen schon. Aber tatsächlich kenne ich eine Person, die in ihrem Haus eine Geothermie-Anlage für 300.000 Euro installiert hat. Wenn man das nötige Kleingeld hat ...
Immerhin wurde es sinnvoll eingesetzt.
Aber üblicherweise sind das schon größere Objekte, Wohnungsbaugesellschaften oder Häuserblocks. Wenn das System sehr effizient genutzt wird, also die Energiemenge, die man braucht, sehr hoch ist, können sich die Kosten in sieben bis acht Jahren amortisieren. Dann haben sie das Geld wieder raus. Wie in einem Einkaufszentrum zum Beispiel, die nutzen das ganzjährig - also auch zum Kühlen. Bei einer weniger starken Nutzung dauert es 12 oder 15 Jahre bis zur Amortisation, meist aber noch innerhalb der vertraglich vereinbarten Zeit.
Am Ende profitiert der Kunde aber tatsächlich davon, dass in seiner näheren Umgebung alle Menschen gemeinsam ausreichend Abwasser produzieren. Die Verbraucher haben nichts davon.
Es ist ein bisschen wie beim Windhund-Prinzip: Wer sich zuerst nach dieser Technologie umschaut, hat den Vorteil und andere das Nachsehen. Aber um das Ganze gerechter zu gestalten, nehmen wir eine Gebühr für die Nutzung der Abwasserwärme. Diejenigen, die nicht direkt davon profitieren, werden dann wenigstens mit günstigeren Tarifen entlastet. Das ist die Logik der Verträge.
Mit Hakan Kurc sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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Quelle: ntv.de