Erster elektrischer Rolls-Royce Luxus-Brite gespenstisch leise - und auf Wunsch farbenfroh


Bunte Farbtöne stehen dem extravaganten Gefährt. Huch, wo ist eigentlich die Spirit of Ecstasy, die Kühlerfigur? Man kann sie auch einfahren.
(Foto: Patrick Broich)
Mit dem Spectre, was übersetzt Gespenst heißt, führt Rolls-Royce das erste batterieelektrisch angetriebene Fahrzeug seiner Markengeschichte ein. Kann das funktionieren? Gespenstisch leise ist er jedenfalls schon mal.
Rolls-Royce und elektrische Antriebe - passt das zusammen? Das Herz sagt natürlich zunächst prompt Nein als Impuls-Reaktion. So ein traditioneller Hersteller darf doch keine Autos bauen, die ihres feinen Herzens beraubt wurden, oder? Immerhin ist der distinguierte Maschinenbau doch Teil deutscher Automobilbaukunst. Schon klar, natürlich ist Rolls-Royce immer noch irgendwie britisch - aber der Grundaufbau seiner noblen Zwölfzylinder-Aggregate entstammt schließlich der Entwicklungsabteilung der BMW-Mutter.

Kaum zu glauben, aber der Zweitürer ist 5,48 Meter lang und gehört damit zu den weltweit größten Coupés.
Doch genug der Philosophie über die Kunst des Antriebs. Unter dem üppigen Blech des dezent futuristisch anmutenden Spectre stecken jetzt zwei elektrische Triebwerke nach dem Muster eines BMW-Entwurfs. Es handelt sich um zwei Aggregate des Typs Synchronmotor, bei dem das magnetische Rotorfeld durch Stromfluss erzeugt wird, der also ohne Permanentmagneten (umweltfreundlicher) auskommt. Was die Systemleistung angeht - früher hätte der Hersteller das Adjektiv "genügend" bedient. Was sicher zutreffend ist angesichts 585 Pferdestärken und 900 Newtonmetern Gesamt-Drehmoment. Rolls-Royce war nie aus auf Maximalperformance, sondern immer auf maximale Souveränität. Und in diesem Sinne haben die Modelle der Marke auch nie Aufsehen mit ihren Motoren erregt. Jedenfalls nicht akustisch. Die Ingenieure waren vielmehr immer darum bemüht, dass der Antriebsstrang möglichst wenige Geräusche macht.
Schon das Einsteigen in den Rolls-Royce ist besonders

Die riesigen Portale des Spectre öffnen vorn, was das Einsteigen nicht immer einfach macht. Dafür schwingen die langen Türen elektrisch auf und zu.
(Foto: Patrick Broich)
Insofern ist der elektrisch angetriebene Rolls-Royce doch perfekt, oder? Reingehüpft und ausprobiert. Aber Moment! Exquisite Fahrzeuge konfrontieren ihre Passagiere mit außergewöhnlichen Lösungen. Eine davon ist, dass die Türen des schnieken Coupés an der B-Säule angeschlagen sind und entsprechend vorn öffnen. Das sieht zugegebenerweise total fancy aus, ist aber nicht immer ganz praktisch für den Einstieg.
Sitzt man aber erst einmal in der mit Lammwollteppichen ausgelegten Nobelkarosse, ist die Erinnerung an diese kleine Unzulänglichkeit schnell verflogen. Und andere durch das Fahrzeugkonzept bedingte Unzulänglichkeiten gleicht Rolls-Royce schlicht mit elektrischen Helfern aus. Tür schließen per Körperkraft? Funktioniert nicht, denn eine durchschnittliche Armlänge reicht einfach nicht aus, um an die weit geöffneten Portale langen zu können. Egal, Knopfdruck genügt und die Tür schwingt elektromotorisch zu. Und lässt sich übrigens auch elektrisch öffnen.
Elektrisch ist das Stichwort. Zeit, endlich loszufahren. Und schon auf den ersten Metern fühlt sich der schwere Brite mit der herrlich leichtgängigen indirekten Lenkung (so gewollt) an wie ein echter Rolls-Royce. Schon allein, wie der sanftmütige und auf Luftfederbälgen ruhende Riese (der Zweitürer misst 5,45 Meter!) seine Front samt erhabener Spirit of Ecstasy - so heißt die Kühlerfigur - beim Durchbeschleunigen gen Himmel reckt, hat etwas Majestätisches. Gar nicht so unpassend also, dieser lautlose elektrische Antrieb. Sagen wir mal so, kann man machen. Ist okay und wird der Marke auch irgendwie gerecht. Wer aber im direkten Vergleich ein Modell mit klassischem Zwölfzylinder bewegt, spürt, dass letztlich doch Emotionalität verloren geht.
Der zart säuselnde Hightech-Turbo verleiht den Rolls-Royce-Ausgaben eine Noblesse, die der elektrisch angetriebenen Version einfach abgeht. Und das mit der absoluten Ruhe müssten die Techniker in Goodwood bitte noch einmal checken - im oberen Geschwindigkeitsbereich macht der Brite mit leichten Windgeräuschen aus Richtung Seitenfenster aufmerksam. Anderseits handelt es sich um eine rahmenlose Türkonstruktion, was die Sache anspruchsvoll macht.
Der Dreitonner ist ein Athlet

Das Level der Materialqualität im Rolls-Royce Spectre ist über alle Zweifel erhaben. Üppiges Holz und Metall erfreuen das Auge. Es gibt auch eine ordentliche Portion Infotainment.
(Foto: Patrick Broich)
Apropos Geschwindigkeit: Der Spectre zieht stramm durch bis 250 km/h - schon beachtlich für ein knapp drei Tonnen schweres Auto. Und auch aus dem Stand zieht das Luxuscoupé kräftig an, benötigt kaum mehr als fünf Sekunden, um Landstraßentempo zu erreichen. Das ist sogar mehr als "genügend", um den Ball mal an Rolls-Royce zurückzuspielen. Reisen statt rasen ist sowieso das Motto dieses knapp 400.000 Euro teuren Coupés.
Und wenn man bei einem Auto auch nur im Ansatz nachvollziehen kann, dass es so viel Geld kostet, dann bei diesem Rolls-Royce. Jedenfalls gibt sich der Hersteller alle Mühe. Diese üppigen Polster, diese fast verschwenderischen Holzeinlagen. Das kann ja bald kein Furnier mehr sein, sondern Massivholz. Die Lüftungsdüsen fühlen sich außerdem nach massivem Metall an. Und dann überall Sterne am Dachhimmel - sogar mit Sternschnuppen.
Warum eigentlich Sterne? Was hat sich die Marketingabteilung da bloß ausgedacht? Der Sternenhimmel im Rolls-Royce ist ja bekannt und beeindruckt immer wieder aufs Neue - allerdings in beide Richtungen. Manche halten ihn für Kitsch. Ich finde ihn zumindest irgendwie bemerkenswert. Aber mit Sternen hat es Rolls-Royce jedenfalls. Sogar um die steigende virtuelle Tachonadel herum funkeln kleine Sternchen, als wolle Rolls-Royce seine Passagiere verzaubern. Stimmt ja auch ein bisschen.
Nicht das ladefreudigste Auto

Natürlich lädt der Rolls-Royce Gleichstrom per CCS-Anschluss. Könnte er aber ein bisschen schneller tun.
(Foto: Patrick Broich)
Zum Schluss noch zur Ladethematik. Sorry, muss sein beim batterieelektrischen Fahrzeug. Rolls-Royce hat sich dazu entschieden, es bei einer Peak-Ladeleistung von 195 Kilowatt zu belassen analog zur BMW-Technologie. Auch bleibt es demnach beim 400-Volt-Bordnetz. Ist das ein Aufreger? Könnte man so oder so sehen. Der Hersteller mag denken, dass Spectre-Kunden sowieso zu Hause laden. In der Tat darf man davon ausgehen, dass Käufer in dieser Preisregion tendenziell eher Eigenheime mit Garagen bewohnen - aber wer weiß. Wer mit dem Coupé auf die Langstrecke geht, sollte jedenfalls wissen, dass er nicht das ladefreudigste Auto fährt. Länger als zehn Minuten bleibt es in der Regel nicht bei der Top-Ladeleistung.
Hinzu kommt, dass der gewichtige Zweitürer unter Nutzung seiner Power ordentlich Strom aus dem 102 kWh großen Speicher zieht. Immerhin darf man davon ausgehen, dass die meisten Hausbesitzer in diesen preislichen Sphären mittlerweile auf Photovoltaik setzen. So gesehen ist es gar nicht schlimm, wenn der Energiebedarf hier etwas höher ausfällt. Er wird dann ja von der Sonne gespendet. So schließt sich der Kreis mit den Sternen.
Quelle: ntv.de