Zurückhaltung ziemlich pompösRolls-Royce Ghost EWB Series II im Fahrbericht - komfortable V12-Macht
Patrick Broich
Eigentlich verbindet man mit Rolls-Royce ja immer Königshäuser, berühmte Künstler oder Schlösser. Was aber, wenn man einfach bloß ein unfassbar komfortables Auto sucht? Dann ist der Ghost EWB genau richtig. Nur einen Haken gibt es.
Rolls-Royce hat es nicht so gerne, wenn ihre ehrwürdigen Limousinen vor Schlössern auf Fotomotiven erscheinen. Warum eigentlich nicht? Ist halt irgendwie überholt. Und ja, Königshäuser und erfolgreiche Künstler können sich die Marke irgendwie nach wie vor kaum verkneifen. So lässt sich mancher Rapper natürlich auch in einem Produkt des britischen Traditionsautobauers sehen.
Doch ganz ehrlich? Wer das nötige Kleingeld hat und gern einfach bloß ultrakomfortabel fährt, traut euch ruhig! Es braucht gar kein prominentes Umfeld oder Herrscherhaus, um Rolls-Royce cool finden zu können.
Und mit einem Rolls-Royce fährt man zumindest besser vor als mit einem nicht minder teuren Supersportwagen. Denn wo lautstarker Sound Markenzeichen ist, setzen die Briten mit genau dem Gegenteil einen feinen Akzent. Zurückhaltung ist im Grunde das Motto der Marke, wenngleich auf pompöse Art und Weise.
Und wenn sich die sogenannte Spirit of Ecstasy (so heißt die Kühlerfigur) unter der Macht des 6,7 Liter großen Zwölfzylinders hebt, dringt bloß eine leicht metallisch klingende Note in den nobel ausstaffierten Fahrgastraum, genauso übrigens wie nach außen. Es klingt nicht nach nichts, ist exakt so laut, wie es sein sollte, um den Passagieren zu zeigen, wie ästhetisch Mechanik sein kann - auch akustisch.
Allerdings ist auch Rolls-Royce ein bisschen Mechanik abhandengekommen. So werden sämtliche Anzeigeeinheiten wie Powermeter, Tankfüllstand oder Tempo bloß noch virtuell dargestellt, in Wirklichkeit besteht das Kombiinstrument nur noch aus Bildschirmfläche. Eine klassische mechanische Uhr findet sich aber doch noch integriert in den hochwertigen Armaturen.
Und da schon die Armaturen ein Thema sind: Hier geht Rolls-Royce einen anderen Weg als der Mainstream-Autobau. Schwere Drehregler und physische Bedientasten prägen noch immer das Bild. Und die metallenen Lüftungsdüsen fühlen sich massiv an, wie aus dem Vollen gefräst.
Rolls-Royce muss heute auch Digital Natives abholen
Aber die Briten wissen ganz genau, dass sie Digital Natives nicht zurücklassen dürfen - gerade die junge, aufstrebende Klientel in anderen Regionen der Erde möchte Touchscreen. Klar - liefert die edle Limousine ebenso. Und kleiner Funfact: Die mächtige Kühlerfigur fährt per Touchbefehl ein und aus. Und dieses Interieur anzuschauen, macht Spaß. Denn hier besteht Holzdekor noch aus massivem Holz und ist nicht bloß millimeterdünnes Furnier.
Noch viel wilder beim Demo-Fahrzeug jedoch sind die Sessel. Es handelt sich dabei um ein Sondermodell, das als Hommage zum 120. Jahrestag des Treffens der Firmengründer Charles Steward Rolls sowie Sir Henry Royce am 4. Mai 1904 aufgelegt wurde - zu erkennen an ihren Signaturen auf den C-Säule. Denn dieses Treffen gilt als Geburtsstunde der Marke.
Hier gibt es diesmal keine Lederpolster wie erwartet, sondern Oberflächen aus einem speziellen Stoff aus Bambus. Darauf zu sehen ein erhabenes "Duality"-Muster, das die miteinander verbundenen RR-Initialen der Markengründer abstrakt interpretiert. Und wer denkt, lediglich Rindshaut sei luxuriös, sollte mal einen Versuch der Sitzprobe wagen. Diese Fauteuils sind dermaßen anschmiegsam, dass man gar nicht mehr aussteigen möchte.
Und der Platz ist natürlich überwältigend, vor allem hinten. Gerade in der Variante mit langem Radstand - der sogenannte "Extended Wheelbase" bietet 3,30 statt 3,47 Meter - ist die Beinfreiheit geradezu absurd verschwenderisch. Elektrisch justierbare Einzelsitze schaffen zudem die nötige Privatsphäre für den jeweiligen Fahrgast in der zweiten Reihe.
Wird der 571 PS starke Ausnahme-Liner damit zwingend zum Chauffeurauto? Nein. Denn es geht gar nicht bloß um den reinen Platz (davon hat die Basisversion schon genug), sondern um die Präsenz. Aber im ästhetischen Sinne, denn mit den ausladenden, an der C-Säule angeschlagenen Fond-Portalen strahlt der 5,72 Meter lange Brite einfach eine überbordende Eleganz aus. Und wenn dann noch das dezente Purple dazukommt, wird die Limousine zum Hingucker. Aber sie erntet, eher nach oben gereckte Daumen als grimmige Gesichter.
Innen abgeschottet und ruhig
Innen sitzt man in einer abgeschotteten Welt aus Ruhe und Wertigkeit. Allerdings sind die Vehikel dieser besonderen Marke nicht mehr wie früher technisch rückständig, sondern ganz im Gegenteil voll auf der Höhe. Klar sind Dinge wie Sitzlüftung oder Massage eher Gimmicks, aber was die Kunden im niedrigeren Segment finden, möchten sie im automobilen Oberhaus auf keinen Fall missen. Andererseits beweist Rolls-Royce auch Mut zur Lücke, und das hat etwas mit Selbstbewusstsein zu tun. Zwar liegt der Zweieinhalbtonner auf Luftbälgen, doch die Fahrwerkcharakteristik lässt sich nicht verstellen. Ein Rolls-Royce fährt eben wie ein Rolls-Royce, dem ist nichts hinzuzufügen.
Und das ist nicht etwa pseudosportlich, sondern immer geschmeidig und sämig. Außerdem schaffen es die Techniker, das große Biest mit den 22-Zöllern selbst über harte Bodenwellen sanft rollen zu lassen. Genauso sanft, wie der Allradler unter der Nutzung des vollen Beschleunigungspotenzials (4,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h) gen 250 km/h stürmt, während man sich einfach in gedämpfter Lautstärke unterhalten kann. Das ist zwar weniger Magie als antriebstechnische Vollkommenheit, aber der funkelnde Sternenstaub um die hochschnellende virtuelle Anzeigenadel im Tachosegment herum drückt aus, was Worte manchmal gar nicht oder nur schwer beschreiben können. Und man muss überhaupt nicht hetzen oder die volle Leistung ständig nutzen. Um die V12-Macht zu spüren, reicht es bereits, nur ein kleines Eckchen der 850 Newtonmeter Maximaldrehmoment abzurufen.
Hat der Rolls-Royce eigentlich auch Nachteile? Klar, in der Stadt ist so ein riesiges Auto natürlich unpraktisch, selbst wenn die obligatorische Hinterradlenkung das Problem abmildert, indem sie den Wendekreis verkleinert. Die gewaltigen Abmessungen bleiben störend bei der Parkplatzsuche. Man könnte jetzt auch den Verbrauch eines Zwölfzylinder-Doppelturbos ins Feld führen - aber sorry, das wäre bei einem so außergewöhnlichen Fahrzeug albern, zumal es das letzte Kriterium wäre, um das sich der Interessent kümmern würde.
Automobile Kunst ist der Ghost Extended Wheelbase im technischen und ästhetischen Sinne. Vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas verschwenderisch, aber das gehört ja auch irgendwie zum Konzept. Fakt ist, dass die große flüsterleise Limousine mit den gegenläufig öffnenden Portalen glücklich macht. Aber auch traurig, denn unterhalb von 364.735 Euro reicht der Händler den Produktionsauftrag nicht ans Werk weiter. Wusste ich es doch! Irgendeinen Haken würde es geben.