"Det is'n Juter" Bei Frank Zander gibt's zum 23. Mal Gans
20.12.2017, 07:13 UhrDas weihnachtliche Gansessen ist in vielen Familien Tradition, so auch bei den Zanders. Nur, dass sie nicht ein oder zwei Federviecher in den Ofen schieben, sondern 3000. In Berlin wird aufgetischt, werden Schlafsäcke verteilt und Haare geschnitten. Und Selfies werden gemacht.
Am liebsten möchte man nur "Danke" sagen, die ganze Zeit. Danke an Frank Zander, dass er das ganze Ding zum 23. Mal durchzieht - und das, obwohl es ihm gar nicht gut ging in letzter Zeit. Aber das macht nichts, sagt der 75-Jährige, der Beifall bekommt, als die ersten Gäste im Berliner Hotel Estrel ihn entdecken. Das jagt nicht nur ihm ein bisschen Wasser in die Augen. "Das ist das, was mir Kraft gibt. Ja, das ist anstrengend, aber ich habe so viel Hilfe, von meiner Familie, von meinen Freunden, und wir sind so eingespielt, dass ich auf jeden Fall mehr bekomme als gebe", so der sympathische, ewig blonde, ewig lachende, wirklich gut und gar nicht krank aussehende Sänger und Entertainer zu n-tv.de.
Ab acht Uhr morgens ackern die Helfer, damit für Obdachlose und Bedürftige ein Programm auf die Beine gestellt wird, das zumindest für ein paar Stunden vergessen lassen soll, dass es da draußen echt kalt ist, echt hart und oft auch echt einsam. Diverse Lebensmitteldiscounter aus Berlin spenden Rotkohl und Klöße und Soße, das Hotel selbst stellt die Gänse zum Sonderpreis, Kaffee und Softgetränkehersteller sind am Start, es gibt Bier und Joghurt, die Berliner Wasserbetriebe, die BVG, Autovermietungen, Obsthändler, Zahnärzte, Drogeriemärkte und Süßwarenhersteller spenden, was das Zeug hält.
Andere Berliner Betriebe, zum Beispiel Wohnungsbauunternehmen, spenden Geld - Vorstände, Politiker, Schauspieler, Sportler tragen eine Gans nach der anderen an die liebevoll gedeckten Tische, und da darf man sich ruhig schon jetzt mal Gedanken machen, was man denn nächstes Jahr so erübrigen könnte. Um die 45.000 Euro kostet die Veranstaltung, weiß Sohn und Veranstalter Markus Zander. Dringend gebraucht werden übrigens Friseure.
Fäuste und Herz aus Gold
Herausragend an diesem Tag sind auch Prominente, das ist Teil des Konzepts. Sie stehen allerdings nicht auf einem roten Teppich, sondern tragen Schürze und Serviette und Teller. Darauf: Gans, Klöße und Rotkohl. Besonders herausragend: Axel Schulz. Ihn treffe ich gleich am Eingang, und von diesem Moment an ist klar: Der Ex-Boxer hat nicht nur Fäuste aus Gold, sondern ein ebensolches Herz. Das hier ist kein Promi-Spektakel, das ist ernst gemeint, das kommt aus dem Herzen.
"Ich habe ein weißes Hemd an, ich will ein bisschen feierlich ausehen", so der 49-Jährige, der für jeden, und damit ist wirklich JEDER gemeint, ein offenes Ohr, ein Herz, einen Scherz übrig hat. Alle wollen ein Selfie mit ihm, die Helfer, die Organisatoren, die Obdachlosen. Frauen werden geküsst, Männer werden gedrückt, es ist ein Bild der reinen Freude. Die Menschen, die hier sind, kennen sonst nicht so viel Freude. Axel Schulz hat keine Wünsche an das Jahr 2018, außer Gesundheit. Und, dass es den Leuten besser gehen soll.
Es sind nicht nur Obdachlose, es sind auch andere Menschen, die in unserer Gesellschaft irgendwie durchs Raster gefallen sind. Erschreckend viele Kinder sind da, sie werden mit Spielzeug, Büchern, Fahrrädern und Süßigkeiten versorgt. An manchen Tischen sieht es aus wie bei allen Familien unterm Weihnachtsbaum - volle Tüten, viel zu essen, weinselige Blicke. Doch dieser Anblick bildet eine Ausnahme, das ist klar.
Heinz kommt schon immer hierher. Als er gefragt wird, ob er noch einen Nachschlag will, strahlt er die Helferin zahnlos an: "Na klar, danke." Leise fügt er hinzu: "Ist schon mein dritter Teller." Kein Wunder, dass es schmeckt: Am Herd steht Peter Griebel, der Küchendirektor des Estrel. Er hat bereits Königinnen, Präsidenten und Kanzler bekocht.
Wo ist Zuhause?
Im Hotel Estrel darf geraucht werden, Nebelschwaden hängen in der Luft. An den Tischen sitzen Gruppen, die sich bereits kennen. Lange kennen? Von der Straße? Wie schaffen diese Menschen es, zu überleben? Es sind so viele. Und es werden immer mehr. Das ist der eindeutige Tenor, der vorherrscht. Das sehen Regisseur Detlef Buck, Handball-Torhüter Silvio Heinevetter, der Brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke ("Ich habe während meines Studiums gekellnert") und Schauspiel-Liebling Katy Karrenbauer genauso. Sie ist das ganze Jahr in Sachen Obdachlose aktiv. Unermüdlich ruft sie auf ihrer Facebook-Seite zum Helfen auf: "Mit den Tüten voller leckeren Sachen zur Bahnhofsmission am Zoo und ein klein wenig 'süße Adventsfreude' spenden. Nachahmer erwünscht, es werden dringend Unterwäsche, Schals, Mützen und Handschuhe gebraucht" steht da zum Beispiel.
Es wird auch gesungen, dafür ist gesorgt: Geiger David Garret tritt auf, Annemarie Eilfeldt (DSDS), Nicole ("Ein bisschen Frieden"), Michael Hirte (Sieger von "Deutschland sucht den Superstar") - und zu guter Letzt: Franz Zander. Die Leute sind in Feierstimmung, doch irgendwann ist Schluss. Der klassische Rausschmeißer-Song lautet: "Nur nach Hause, nur nach Hause woll'n wir nicht". Wohin auch? Für viele hier gibt es kein Zuhause.
Bei Weitem nicht alle, die die Straßen der Hauptstadt momentan bevölkern, mit Tüten, mit Einkaufswagen, in denen sie ihr Hab und Gut aufbewahren, kommen an diesem 19. Dezember in das Hotel, das für ein paar Stunden Geborgenheit, Sicherheit und Fröhlichkeit gibt. An der Station, wo die Haare geschnitten werden, ist ein Riesenandrang. "Wäre schön, wenn nächstes Mal noch mehr hier sind", sagt eine Friseurin und zeigt auf Dutzende Männer und Frauen, die in der Schlange stehen. "Im Foyer verteilt die Polizei noch warme Pullover", lautet eine Durchsage. Die Schilder von der Polizei wurden abgetrennt. "Wir haben jetzt Strickjacken", sagt eine Polizistin und reicht eine Größe 38 an eine Frau mit polnischem Akzent.
Während die "Promis", unter ihnen Dieter Hallervorden, Renate Künast, David Bennent, Oliver Korittke, Simon Gosejohann oder Anouschka Renzi - einige von ihnen Profis, andere zum ersten Mal dabei - darauf achten, dass ihnen die runden Klöße nicht vom Teller kullern, knuddelt Franz Zander hier eine alte Bekannte am Tisch, spricht da mit der Presse und wirkt so glücklich, als würde er beschenkt werden. Wird er ja auch: Die Rentnerin, die kaum über die Runden kommt, der Rollstuhlfahrer, der sich seinen Weg durch die Menge bahnt, die Kollegen, die Helfer, sie alle stellen ihrem Frankie, dem vor Kurzem die Prostata entfernt wurde und der so wirkt, als hätte er Energie für drei, die Bestnote aus: "Auf den lassen wir nüscht kommen, det is'n Juter."
Als sich dann am späten Abend Helfer, Organisatoren und Prominente wieder auf den Weg nach Hause machen, geht es für viele der 3000 Gäste wieder zurück auf Berlins Straßen. Feuchte drei Grad herrschen da draußen: Da würden so einige noch nicht mal ihren Hund vor die Tür jagen.
Quelle: ntv.de