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Von Gutmenschen und Antisemiten Allein mit Tenenbom

Tuvia Tenenbom allein in einer seiner Lieblingsstädte: Berlin.

Tuvia Tenenbom allein in einer seiner Lieblingsstädte: Berlin.

(Foto: sla)

In Südtiroler Lederhosen will Tuvia Tenenbom ein anderes als besetzt bekanntes Gebiet erkunden: Israel. Der "Allein unter Deutschen"-Autor sucht diesmal seine Heimat und findet Antisemitismus und jüdischen Selbsthass.

Keine Cola light hier? "Jaaahhh, Kapitalismus ist schlecht. Deshalb trinkt man in Berlin keine Coca Cola, sondern Fritz Cola für 3,20 Euro", schnarrt der Mann mit der Baseballkappe bühnenreif. Die junge Verkäuferin im Kochhaus Berlin weiß nicht recht, was sie darauf antworten soll. Fritz Cola light hat sie auch nicht. Dann gerne einen Tee mit einem Scheibchen Zitrone. Schön sei es hier, sehr gemütlich. Tuvia Tenenbom lächelt die Tresenkraft an, die lächelt irritiert zurück.

Irritationen, manche nennen es Provokationen, sind Tenenboms Geschäft. Seine 2012 erschienene humorvolle Reisestudie "Allein unter Deutschen" gipfelte in der wenig witzigen Diagnose, das Deutschland immer noch unter Antisemitismus leidet. Das sorgte für Kritik und führte zu einem Zerwürfnis mit dem Rowohlt-Verlag. Suhrkamp übernahm, machte einen Bestseller aus dem Buch und schickte Tenenbom nun für ein halbes Jahr nach Israel. Um sich für die besetzten Gebiete aufzuwärmen, machte Tenenbom noch rasch einen Schlenker über das seit 1918 italienische Südtirol, dann ging es direkt in sein Geburtsland, das er vor 33 Jahren Richtung USA verlassen hatte.

Milch und Honig für Aktivisten

In Jerusalem angekommen, trifft der Autor auf eine besondere Spezies: den ehrenamtlichen, überwiegend europäischen Menschenrechtsaktivisten. Wie die attraktive Deutsche, die sich in das jüdische Volk verliebt hat und deshalb den Palästinensern helfen will. Sie ist nur die Erste, die verärgert sein wird, als der Journalist sie auf das Paradoxon in ihrer Denkweise hinweist.

Er trifft auf arabische Mitarbeiter von linksgerichteten israelischen NGOs, die den Holocaust leugnen. Auf selbstdefinierte Ex-Juden, die in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem EU-finanzierte Vergleiche zwischen Nazis und Israelis anstellen, für Tenenbom der Inbegriff des jüdischen Selbsthasses. Und auf unzählige Touristen, die auf Kosten von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) dorthin gebracht werden, wo sie die Verbrechen der Israelis sehen können. Zum Beispiel in Beduinenlager, die vom Abriss bedroht sind. Nur das die Abrisswarnung an dem noch stehenden Haus von 2006 ist. Dass bei den orchestrierten Besuchen Zahlen und Fakten wild durcheinander geworfen werden, stört niemanden. Wer hier unterwegs ist, will nur herausfinden, was er ohnehin schon weiß.

Warum wird so etwas mit Milliarden aus Europa und vor allem aus Deutschland gefördert? Was treibt die NGOs in dieses winzige Land? Warum zahlt der deutsche Steuerzahler für ein palästinensisches Hammam in Jerusalem? Warum bestärkt das Internationale Rote Kreuz Palästinenser darin, sich in der dritten und vierten Generation als Haifa-Flüchtlinge zu verstehen? Für Tuvia Tenenbom ist der Grund ebenso einfach wie niederschmetternd: Es ist der alte, europäische Antisemitismus im neuen Gewand der Israel-Kritik.

Überall Antisemitismus?

Schon wieder Antisemitismus? Suche er vielleicht gezielt danach? "Nein, natürlich nicht", sagt Tenenbom n-tv.de. "Es wäre doch völlig verrückt, in Israel danach zu suchen. Wer lebt denn dort? Juden und Araber. Beides Semiten. Auch wenn sie versuchen, sich gegenseitig umzubringen." Nur einmal sei er tatsächlich in der Absicht losgefahren, Antisemitismus zu finden, und zwar in der Ukraine. "Aber da war nichts zu machen – selbst der Oberrabbiner konnte mir nicht helfen." Der ukrainische Antisemitismus habe sich als russische Propaganda erwiesen. Aber in Israel habe er Antisemitismus gefunden. "Warum? Weil er da ist."

In Israel ist das Buch ein Bestseller, auf der Straße danken ihm Leser aus dem rechten und linken Lager für seine Arbeit, in Fernsehstudios wird er für seinen Angriff auf die NGOs aber auch als Provokateur kritisiert. "Ich soll ein Provokateur sein? Ich berichte über das, was ich sehe, und stütze mich auf Fakten. Das sollten die, die mich kritisieren, auch tun", sagt Tenenbom, während er den Tisch bequem für das Interview arrangiert. Wer auf ihn trifft, soll sich gut fühlen. Auch wenn die meisten in Israel nicht Tuvia, sondern Toby, den Deutschen kennenlernten – eine Schutzmaßnahme, denn sein jüdischer Name könnte ihn in den Palästinensergebieten in Lebensgefahr bringen. Alle hätten aber gewusst, dass er Journalist sei und eine Geschichte veröffentlichen wolle, betont Tenenbom und tritt damit der Kritik entgegen, er habe Leuten ihre Aussagen entlockt.

Dass ihm palästinensische Professorinnen erzählen, Israelis hätten Jesus gekreuzigt, amüsiert Tenenbom. Dass er zur Datierung der ersten Palästinenser in diesem Landstrich gleich mehrere Zeitrechnungen erhält, ist für ihn mehr als verständlich. "Jedes Volk hat sein Narrativ, erst recht, wenn sich daraus Besitzansprüche ableiten sollen." Doch in Israel können solche Erzählungen zu tödlichen Auseinandersetzungen führen. Besonders wenn einseitige Medien und europäische NGOs, wie das Internationale Rote Kreuz, nicht nur auf Faktenprüfung verzichten, sondern diese Geschichten noch ausbauen. Mit Hilfe von linken israelischen Organisationen wie B’Tselem oder Rabbis for Human Right. "Sie treten offiziell für Menschenrechte ein und wollen doch nur in ihrem Selbsthass einen Juden erwischen, der etwas falsch macht." Darauf spielt der Originaltitel des Buches an: "Catch the Jew".

Ginge es den empathischen Gutmenschen wirklich um das palästinensische Volk, warum treffe man sie nicht in Scharen in Jordanien an? Dass Palästinenser gerne die Opferrolle annehmen, um sich der NGO-Unterstützung gewiss zu sein, ist für Tenenbom logisch. Er hege große Sympathien für das palästinensische Volk, er habe ihre Kultur und vor allem ihre Sprache studiert – etwas, was er dem bekannten "Ha’aretz"-Journalisten Gideon Levy dringend empfiehlt. Der schreibe zwar wöchentlich über das harte Los der Palästinenser, spreche aber selbst kein Arabisch. So entgehen ihm vermutlich die inoffiziellen Gespräche, bei denen palästinensische Funktionäre seufzend wünschten, NS-Wüstenfuchs Rommel hätte sein Ziel erreicht. Und Toby, dem Deutschen, den Ehrennamen "Abu Ali" geben – der palästinensische Name für Adolf Hitler.

Mehr Schaden als Nutzen

"Überlasst den Nahostkonflikt den Israelis und den Palästinensern", fordert Tenenbom die ausländischen NGOs auf. Das übermäßige Interesse Europas und der USA befeuert seiner Meinung nach den Nahostkonflikt nur. "Außerdem wimmelt es vor Journalisten da unten, die sich von den NGOs zu den ärmsten Stellen des Landes bringen lassen. Doch keiner kommt auf die Idee, einmal um die Ecke zu gehen", ärgert sich Tenenbom. Er habe das gemacht und wunderschöne, im Gegensatz zu den Nachrichtenbildern sogar schockierend schöne Viertel gesehen, "finanziert von Zillionen an EU-Geld".

Tenenbom fordert zudem mehr Transparenz von den NGOs. Wo kommt das ganze Geld her, wo fließt es hin? Und zu welchem Zweck? "Das Internationale Rote Kreuz etwa macht weltweit viel Gutes. Aber es hat auch eine andere Seite. Eine Handvoll Schweizer, und nur Schweizer sind im Vorstand dieses Komitees, übt unfassbar viel Macht aus." Seine Forderungen wurden gehört. Das israelische Parlament will ein neues Gesetz verabschieden, das NGOs zu mehr Transparenz verpflichtet.

Tuvia Tenenbom ist, auch wenn er es nicht gerne hört, ein Provokateur. Man sollte seine These, dass die EU-finanzierten NGOs sich vor allem bemühen, das Leben der Juden in Israel zu untergraben, nicht einfach hinnehmen. Man sollte sich von ihm aber provozieren lassen, immer wieder selber um die Ecke zu schauen. Wieviel kostet eine Fritz Cola? Tun Menschenrechtsaktivisten per se Gutes? Welche Medien prägen mein Bild vom Nahostkonflikt?

In einem so vielschichtig aufgeladenen Konflikt ist hundertprozentige Objektivität so gut wie unmöglich, sagt Tenenbom selbst. "Ich bin auch nur ein Mensch. Aber ich glaube an einen Journalismus, der die eigene Meinung über Bord wirft und sich Fakten konzentriert. Fakten sind Fakten. Wenn du wissen willst, was das Rote Kreuz macht, überprüfe es." Ein Anfang könnte die Lektüre von "Allein unter Juden" sein. Zur Belohnung nervt und piekst dieses Buch nicht nur, sondern kitzelt auch mit vielen witzigen Seiten, gespickt mit mehr als einem Körnchen Wahrheit. Den Beweis, dass er sich in seinem Fazit täuscht, würde Tenenbom womöglich gerne annehmen. Denn am Ende der 470 Seiten sieht er sich erneut allein.

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Quelle: ntv.de

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