Über Jack, John und all die Jahre Anjelica Huston: "Das Mädchen im Spiegel"
14.06.2015, 08:10 Uhr
Mit Jack und John 1985 - sieht doch fast so aus, als wäre alles bestens.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Ein Mädchen ist sie nicht mehr, dennoch stellt Anjelica Huston mit Erstaunen fest, wie die Jahre an ihr vorübergeflogen sind. Jahre, in denen sie unglaublich viel erlebt hat und woran sie den Leser nun in ihrer Autobiografie teilhaben lässt.
Diese Frau ist cool. Sie wirkt nicht so, als hätte sie sich gängigen Schönheitsklischees angepasst. Sie kann "ihren Mann" stehen - und das wahrscheinlich deswegen besonders gut, weil sie mit den beiden größten Machos ihrer Zeit viel Zeit unter der Sonne Kaliforniens verbracht hat. Die Rede ist von John Huston, ihrem Vater, dem genialen Film-Regisseur, und von Jack Nicholson, ihrem Liebhaber über lange Jahre, dem sie so einige Seiten in ihren Memoiren widmet.
Huston beginnt mit ihrer Geburt, "ich war ein großes gesundes Baby", und endet mit der Feststellung, dass das Leben ihr zwar keine eigenen Kinder beschert hat, sie nun aber dennoch, dank der Tatsache, dass sie Großtante ist, wohl im Alter einer Großmutter angelangt sein muss - damit habe sie nicht gerechnet. Dazwischen ist eine Menge passiert, was sie wohl daran hat zweifeln lassen, jemals dieses Alter, inzwischen 63, zu erreichen. Noch heute bewegt sie die Frage: "Wie geht es meinem Vater?" und das, obwohl der Regisseur von "Moby Dick, "Misfits" und African Queen" seit fast 30 Jahren tot ist. Ein "Medium" sagte ihr, dass ihr Vater im Jenseits glücklich sei, denn dort dürfe man Alkohol trinken. Und auch die andere große Liebe ihre Lebens, ihr Mann Robert Graham, ein Bildhauer, der in die kalifornische "Hall of Fame" aufgenommen wurde und 2008 nach langer Krankheit im Alter von 70 Jahren verstarb, ist irgendwie noch immer bei ihr. Das Medium teilte ihr mit, er käme mit ihr ins das neue Haus, in das sie mittlerweile gezogen ist.
Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Mit "Die Ehre der Prizzis" befreite sie sich aus dem Schatten von Jack Nicholson und John Huston.
(Foto: imago/United Archives)
Anjelica Huston ist ein ehrliche Frau, eine starke Frau, und das heißt nicht, dass sie unsensibel oder unverletztlich wäre. Ihre "amour fou" mit einem der größten Draufgänger Hollywoods hat sie viele Nerven gekostet, aber eben auch viel Spaß gemacht. In einem Interview mit dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" sagte sie einmal zu seiner chronischen Untreue: "Wenn ich ihn weinend zur Rede stellte, hieß es: 'Ach, das war doch nur ein Mitleidsfick.'" Eine Frau wie sie, die ihren Kerl über 17 Jahre mit so vielen anderen Frauen teilen musste, hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder selbst zur coolsten Sau zur werden oder daran zu verzweifeln. Sie entschied sich zum Glück für die erste Variante und ist mit ihm mittlerweile befreundet. Der Mann hatte immer die feinsten Geschenke für sie - Autos, Schmuck, Reisen - in ihren jungen Jahren nahm sie es daher hin, dass "man" nicht alles haben kann.
Die große Liebe fand sie mit ihrem Mann Robert: ein spätes Glück, aber es sticht auf jedem Foto der beiden ins Auge, dieses Glück. Auch hier berichtet sie schonungslos über ihre Ängste: "Etwas Gewaltiges und Beängstigendes schwebte im Äther. (...) Es schien fast, als hätten wir uns darauf geeinigt, sämtliche Kommunikation zu unterlassen. Wir hatten eine seltsame Neigung entwickelt, die großen Themen zu unterlassen."
Dass sie nun einen Vaterkomplex gehabt haben mag oder noch immer hat, ist vielleicht die einfachste Variante, um zu erklären, warum Anjelica Huston sich immer zu so viel älteren Männern hingezogen fühlte. Vielleicht waren ihr die Gleichaltrigen aber auch immer zu albern und vielleicht sollte man Anjelica Huston, die mit vier Geschwistern aufwuchs (nicht alle von derselben Mutter), auch eher bescheinigen, dass sie einen veritablen "Familien-Komplex" hat. Die Hustons sind eine große Familie, eine künstlerische Familie und eine, die zusammenhält.
Sie lässt nichts aus, erzählt zum Beispiel vom Selbstmord ihrer Schwägerin, des Models Katie Jane Evans, das mit ihrem Bruder Danny verheiratet war, und beschreibt ebenso, wie furchtbar es war, ihren Mann Bob dahinsiechen zu sehen. "Dann verließ er seinen Körper. Ich sah seinen Geist davongehen. Ich staunte, wie schön er in seinem weißen Pyjama aussah." Ein Satz aber wie: "Wir riefen Bobs beste Freunde an - die Künstler, seine Ex-Frauen, seine Angestellten. Alle kamen, um Abschied zu nehmen", zeigt den trockenen Humor Hustons, das Wissen um Leben und Tod und alles, was dazwischen ist.
Irrlichterndes Wesen
"Das Mädchen im Spiegel" ist ein sehr dickes Buch, ein Buch, das auch locker zwei Bücher hätte werden können, wie die Aufteilung verrät. Im ersten Teil erfährt der Leser viel über Irland, London und New York, oft geht es um ihren Vater und die Kindheit, in der er immer mal wieder "auftauchte" und ein Leben führte, wie man sich das bei einem genialen Künstler wohl so vorstellt: Nie da, aber wenn er denn mal da war, dann wurde er geliebt im Übermaß. Fuhr er wieder fort, ging die Welt unter. Später besuchte sie ihren Vater oft, gern, wenn er arbeitete, und sie begegneten sich auf Augenhöhe.
Im zweiten Teil, über die Liebe, den Ruhm und das Schicksal, geht sie ins Heute über. Sie berichtet viel über Hollywood, die Kollegen, ja, und ganz viel über Jack Nicholson oder auch Ryan O'Neal, mit dem sie eine Weile zusammen war. Und obwohl er das begehrenswerteste männliche Exemplar für so viele Frauen war- für Anjelica war er doch irgendwie nur ein Mann, mit dem sie Nicholson betrog, dem das tatsächlich etwas ausmachte, dem alten Casanova.
Einmal träumte sie von Michael Jackson, schreibt sie, als sie mit ihm drehte, und diese Erzählungen sind es, die uns andere Stars sehr nahebringen. Oder sie beschreibt ein Drehtag mit der jungen Drew Barrymore, an dem sie die Kollegin anherrschte. Am nächsten Tag jedoch stand ein großer Blumenstrauß vor ihr mit einer Karte: "Danke, dass du eine bessere Schauspielerin aus mir gemacht hast." Man kann sich vorstellen, dass man mit Anjelica Huston befreundet sein möchte, und doch weiß man, dass man nie an sie herankommen wird. Sie ist ein irrlichterndes Wesen, eben noch hier, dann wieder weg. Eben noch ganz herzlich, dann wieder kühl. Faszinierend, klug, einnehmend.
Wir erfahren, wie wichtig ihr der Oscar war, den sie als beste Nebendarstellerin 1986 für "Die Ehre der Prizzis" bekam, war, denn mit dem golden Mann an ihrer Seite war mehr Abstand zwischen sie und ihren Vater, aber auch zu Jack gekommen. Seltsam entfernt klingt sie trotzdem manchmal, so, als ob sie das alles gar nicht selbst gelebt hat oder als ob sie aus einem anderen Leben zitiert, aber wenn man so viel erlebt hat wie Anjelica Huston, dann ist das vielleicht auch einfach zu viel für ein Leben. Oder ein Buch.
Quelle: ntv.de