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Wer nicht fragt, bleibt dumm Horror ist, was King daraus macht: "Später"

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(Foto: Heyne)

Ein Junge, der tote Menschen sieht? Eine olle Kamelle. Aber Jamie sieht die Geister kürzlich Verstorbener - und sie müssen ihm alle Fragen beantworten, die er ihnen stellt. Als Leser von Stephen Kings neuem Bestseller "Später" stellt man sich dagegen nur eine Frage.

"Früher war alles besser." Diesen bedeutungsschwangeren Satz haben Eltern schon Generationen von Kindern um die Ohren gehauen. Wenn als Erwiderung aber "Ja, Papa, früher war alles besser, ich weiß, da warst du noch jung und hattest Haare" aus dem Mund der sechs Jahre alten Tochter folgt, kommt man nicht umhin zu erkennen, dass auch heute nicht alles schlecht ist. Und wenn man Stephen King heißt, schreibt man direkt einen Bestseller – aber nicht zu früher oder dem Heute, sondern zu "Später".

Der Titel des mit knapp 300 Seiten für Kingsche Verhältnisse sehr kurzen Romans ist Programm. Immer wieder weist die Hauptfigur im Plot darauf hin, dass er später näher auf die Zusammenhänge eingehen werde; dass er später auf das Thema zurückkommen werde; dass man als Leser noch etwas Geduld brauche, später werde alles klarer werden, sich alles auflösen.

Was als plumper Versuch eines Autoren gelten könnte, den Leser bei der Stange oder besser bei den Seiten zu halten, tut bei King genau das: Man liest immer weiter, schneller, verschlingt die Geschichte, lässt nicht wieder davon ab, bis die letzte Seite ausgelesen ist. Dabei bleibt festzuhalten, dass "Später" kein klassischer Horrorroman, aber eben gerade darum ein klassischer King ist: Das ungute Gefühl nähert sich langsam, schleicht sich von hinten aus der Dunkelheit an und manifestiert sich genau dann, wenn man es als Leser am wenigsten erwartet: später eben.

Die Geister, die Fragen beantworten

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Stephen King ist der meistgelesene Autor der Gegenwart. Seine Bestseller wurden vielfach erfolgreich für Kino und TV verfilmt.

(Foto: Shane Leonard)

Jamie Conklin ist die Hauptfigur des Buches. "Später" ist seine Geschichte. Jamie ist noch ein Kind, als er bemerkt, dass er die Geister kürzlich verstorbener Menschen sehen kann. Nichts Neues, nichts Ungewöhnliches. Gab es schon zigfach in der Literatur und selbst Hollywood hat darüber schon Filme gedreht. Jamie sieht aber nicht nur tote Menschen, er kann mit den Geistern sprechen - und stellt er ihnen Fragen, müssen sie diese beantworten. Ob das ein Art Regel ist, weiß Jamie zwar nicht. Bislang bekam er aber auf jede seiner Fragen auch Antworten.

Jamie lebt mit seiner Mutter Tia allein in Manhattan. Tia ist Literaturagentin, sodass Jamie recht früh schon Wörter lesen kann. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Dafür aber seinen Onkel, der früh an Demenz erkrankt ist und nun in Pflegeheimen sein Dasein fristet. Jamie erzählt, wie seine Mutter zu ihrem Job gekommen ist, wie sehr die Demenzerkrankung die Kleinfamilie durcheinandergewirbelt hat. Es geht um die Wirren der Finanzkrise, ein Schneeballsystem, eine Beinahe-Pleite. Doch dazu später mehr.

Und es geht eben um das Leben Jamies, dessen Mutter zunächst nicht glauben will und kann, welche Fähigkeit ihr Sohn besitzt. Und sich auch nicht fragen will, wieso gerade er und woher diese vermaledeite Gabe kommt. Eine Fähigkeit, die es gilt, unbedingt geheim zu halten. Jamie hat nichts dagegen. Seit er seinen ersten Geist gesehen hat, einen Mann, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und nicht gerade mehr schön anzusehen war, wünscht sich Jamie nichts sehnlicher, als das seine Gabe wieder verschwindet. Jamie fürchtet sie - und ihre Konsequenzen.

Horror á la King

Jetzt würde ein normaler Autor vielleicht das Militär ins Spiel bringen, die von der Fähigkeit Jamies Wind bekommen hat und sie für ihre Zwecke nutzen will. Oder eine geheime Sekte. Vielleicht würde aus "Später" dann ein Politthriller, ein Actionreißer, ein Fantasyroman. Doch der Autor heißt King, Stephen King, und der greift bekanntlich in eine ganz andere Genreschublade. Gekonnt wie immer.

Und so muss Jamie zunächst die kurz vor dem Ruin stehende Firma seiner Mutter retten, indem er Kontakt mit einem kürzlich verstorbenen Bestsellerautor aufnimmt, der letzte zahlende Kunde von Tias Firma. Der Autor hatte bereits die Idee für ein neues Buch im Kopf, paranoid wie Autoren aber nun mal sind, gab es keinerlei Aufzeichnungen über die Idee, den Plot. Jamie steht dem Geist des Autors gegenüber, stellt auf Anleitung seiner Mutter, Frage auf Frage und verhilft ihr so zu dem Buch, welches der Autor mit ins Grab genommen hat. Tia schreibt es auf eigene Faust fertig, erntet Kritikerlob und einen dicken Scheck.

Alles gut also. Aber da gibt es ja noch eine Zeit lang die Freundin Tias, eine Polizistin. Sie kennt die Fähigkeit Jamies - und nutzt sie mehrfach. Beim ersten Mal macht Jamie so die Bekanntschaft des Geistes eines Massenmörders. Es geht um die letzte Bombe, mit der der Mann seinen Abgang krönen wollte. Jamie bekommt durch seine Fragen heraus, wo sie sich befindet. Aber er merkt auch, dass etwas mit dem Geist des Mörders nicht stimmt: Er verschwindet nicht wie all die anderen, er sucht Jamie immer wieder heim.

Jamie muss sich ihm stellen, mit ihm kämpfen, eine Mutprobe, die zu einer Machtverschiebung wird. Nun muss der Geist auf Jamie hören – und der Teenie weiß: Er wird diesen Geist nie rufen. Das ist zumindest sein Vorsatz. Doch dann, Jahre später, tritt die Polizistin wieder in sein Leben, drogenabhängig will sie einmal das ganz große Rad drehen - und Jamie soll den Schwung dafür liefern.

Ein dunkles Familiengeheimnis

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Sieht man einmal über Jamies Fähigkeit hinweg, lässt sie außen vor, ist "Später" ein ganz normaler Roman. Ein Buch, dass die Geschichte von Jamie Conklin erzählt, von dessen Kindheit, der Zeit damals, den gesellschaftlichen Begleitumständen, bis hin zu seinem Erwachsenwerden. Spannend ja, aber ein Pageturner? Dazu wird "Später" erst mit der Fähigkeit, Geister kürzlich Verstorbener sehen und mit ihnen sprechen zu können. Und als Leser fragt man sich von Beginn an: Woher hat Jamie diese Fähigkeit? Und immer wieder heißt es zwischen den Zeilen: "Lies weiter, ich erzähle es dir, später".

Später ist dann am Ende des Buches. Die Lösung ist dann kein Sturz vom Wickeltisch oder ein Schlag auf den Kopf. Es liegt auch nicht daran, dass eventuell ein alter Indianerfriedhof einst an der Stelle wo Jamies elterlicher Wohnung gelegen hat. Es ist ebenso wenig ein Weltenzerstörer in Form eines Clowns. Diesmal liegt die Lösung viel näher als man denkt. Aber verraten wird sie später, oder besser nur in "Später".

Quelle: ntv.de

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