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"Ende in Sicht"Ronja von Rönne rechnet mit Depressionen ab

06.03.2022, 16:14 Uhr
imageVon Sabine Oelmann
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Ronja von Rönne forderte zuletzt mit Blick auf die hohe Zahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen mehr Therapieplätze. (Foto: imago/STAR-MEDIA)

Zwei Frauen, die sterben wollen. Ein ältere, eine junge. Beide haben ihre Gründe und gehen auf eine gemeinsame Reise. Aber das ist nicht das Überzeugendste an Ronja von Rönnes Roman "Ende in Sicht". Es ist vielmehr die Autorin selbst.

Eine nicht wirklich sympathische ältere Frau hat keinen Bock mehr auf ihr Leben und will diesem ein Ende setzen. Ein junges Mädchen kommt auch nicht klar. Die eine fällt der anderen buchstäblich vor die Füße - ein Roadtrip à la "Thelma & Louise" beginnt, nur nicht mit so schönen Protagonistinnen. Und ein Toyboy wie Brad Pitt kommt auch nicht vor in Ronja von Rönnes "Ende in Sicht". Na toll.

Jetzt mal ehrlich - alle haben sich bereits überschlagen, wie geil dieses Buch ist. In einer Art Vorwort flachsen Onkel Benjamin (von Stuckrad-Barre) und Onkel Martin (Suter): "Wenn Ronja von Rönne mal wieder sterben will, ruft sie entweder mich (also Stucki, Anm. d. Red.) an - oder sie schreibt ein großartiges Buch. Jetzt habe ich schon länger nichts von ihr gehört." Ey! "Das wollte ich doch sagen", antwortet darauf Suter. Und von Rönne widmet dieses Buch dann auch einem gewissen Martin, ohne den sie das Buch nie angefangen hätte, und einem Ben, ohne den sie das Buch nie beendet hätte. Das ist alles schön. Und obwohl einem beide Protagonistinnen im Buch wirklich nicht sympathisch sind (okay, gegen Ende, da kommt Wärme auf) und man/frau (oder besser gesagt: ich) kaum Identifikationsmomente findet, macht das nichts.

Denn Ronja von Rönne erzählt so bezaubernd rotzig, wenn ich das mal ganz lieb tantig gemeint sagen darf, dass das vollkommen egal ist, ob ich mich da nun identifizieren kann oder nicht. Zu 85 Prozent ist das Buch super. Bei den restlichen 15 Prozent dürfen sich die Lesenden hier und da an den Kopf fassen, zu altbacken ist die Sprache an der einen, zu provokant neudeutsch an der anderen, aber das macht - wie bereits gesagt- überhaupt nichts, denn das Buch liest sich in ein bis drei Rutschen rasant durch, und das ist doch, was zählt: Es liest sich weg. Man lacht, man weint. Man bleibt neugierig.

Schonungslos und hilfreich

Rat und Nothilfe bei Suizid-Gefahr und Depressionen

  • Bei Suizidgefahr: Notruf 112
  • Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33

  • Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
  • Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
  • In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
  • Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

Das Wichtigste ist aber sowieso nicht das, was im Buch steht, sondern das, was drumherum im Leben der Autorin so geschieht. Vielleicht wegen des Buchs. Vielleicht auch sowieso, aber man hat das Gefühl, dass sie Dinge an sich ranlässt und Dinge aus sich rauslässt, die so vor dem Buch vielleicht nicht geklappt hätten. Zumindest das, was sie rauslässt, und das ist eine Menge. Sie ist depressiv, sagt sie selbst, und berichtet offen darüber. Nicht, ohne zuzugeben, dass ihr das schwerfällt.

"Als diese Fotos gemacht wurden, vor einigen Wochen, für ein Interview, klang das 'mir geht's gut' schon nicht mehr ganz glaubwürdig. Dass es schon lange kaum noch ging, sahen erst andere, und viel zu spät auch ich. Verwundern tut mich das eigentlich nicht. Und während ich noch Interviews über Depressionen gegeben habe, abgeklärter Tonfall, bloß nicht weinerlich, habe ich gleichzeitig auf den Anruf aus der Klinik gewartet. Dann den Anruf und einen Platz bekommen. Termine für die nächsten sechs Wochen abgesagt. Jetzt bin ich hier, eine Weile schon, und das ist mehr als ok. (...) so ist dies der zweite Klinik-Post in meinem Leben. Bitter. In der Phase, wo das Buch endlich draußen ist, bin ich drinnen."

Das ist verdammt mutig, das ist verdammt nötig, es so zu schreiben. Es ist hilfreich für andere, glaube ich. Ich finde es mutig, über Depressionen zu schreiben, seine eigenen. Man wünschte, es wäre nicht wahr, aber es ist wahr. Und wie damit umgehen, wenn nicht ehrlich? Wirklich, Hut ab, ich dachte immer, ich könnte nur so richtigen Respekt vor Älteren haben, also im Sinne von Lerneffekt und so, aber das stimmt nicht und das ist wirklich gut so!

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Weiter lässt von Rönne wissen: "Diesmal versuche ich die Klinik nicht als Endstation, sondern Startpunkt zu sehen. Und scheitere verlässlich daran. Aber: Ärztinnen gut, Mitpatientinnen zauberhaft, und anders ging es nicht. Ich hatte lang überlegt, ob ich das mit euch teile, aber ich fordere die ganze Zeit einen offenen Umgang mit Depression, konsequenterweise sollte ich den dann auch selbst leben." Hut ab! Denn große Angst hat dieses Buch begleitet, beim Schreiben und ehrlich gesagt auch jetzt noch, so kurz vor Veröffentlichung, sagt sie.

"Fucking lächerliche" Depression

Ich lobe hier jetzt viel, aber ich hasse es eh, Verrisse zu schreiben, und ich will auch keine Inhaltangabe des Buches wiedergeben. Lesen Sie es oder lassen Sie es, I don't care, das Buch verkauft sich eh wie warme Semmeln. Das Wunderbare an Ronja von Rönne ist, dass ich fast nichts selbst schreiben muss, obwohl ich über sie schreibe. Denn sie schreibt so schön und so interessant, dass es anmaßend wäre, sich darüber zu erheben.

In ihrem "Sudelheft" schreibt sie: "Das eklige an der Depression ist, wie wenig originell sie ist. Im Bett liegen. Weinen. Auf irgendwas treten. Nicht mehr weinen können. Anrufe ignorieren. Kolumnen absagen. Selbstmordmethoden googeln, Tavor, zwei halbgare Anrufe bei Psychiatern, die nie zurück rufen. Ich weiß, ich weiß, das klingt alles wieder zu zynisch, zu sarkastisch, zu wenig nach dem bewährten "Ich bin eine Betroffene" - Geständnis-Duktus. Dabei ist die Depression ganz genauso fucking lächerlich und sarkastisch wie ich gerade. (...) Krönchen richten, Bussi, weiter geht's, bloß nicht aufgeben, ihr Süßen. Die Depressionen sind viel zu viele viel zu laute Stimmen. Das hier sind meine."

Was soll ich sagen? Sie hat recht. Toll.

Quelle: ntv.de