Bücher

Helden-Epen und Randnotizen Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente

Marcel Kittel, Sprint-Talent aus Thüringen, siegt zum Auftakt der Jubiläumstour. Ein Eintrag in die Geschichtsbücher der Rundfahrt ist ihm damit sicher.

Marcel Kittel, Sprint-Talent aus Thüringen, siegt zum Auftakt der Jubiläumstour. Ein Eintrag in die Geschichtsbücher der Rundfahrt ist ihm damit sicher.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der im Sterben liegende Tom Simpson, die vor Glück strahlenden Jan Ullrich und Marcel Kittel, der mit den Tränen kämpfende Richard Virenque: Unvergessene Bilder aus 100 Austragungen der Tour de France. Tragische Figuren, die zu Helden werden. Stars und Doping-Sünder. Die Geschichte der Frankreich-Rundfahrt - in 300 Bildern.

Als Radsport-Liebhaber hat man es derzeit nicht leicht. Regelmäßig in den Wochen vor der Tour de France wird man von übereifrigen Kollegen auf neue Doping-Enthüllungen hingewiesen. "Weißt du schon …?" "Hast du schon gehört, dass …?" "Das bricht dem Radsport sicher das Genick. Ach nein, der ist ja schon tot." Nett ist anders. Aber mit der Zeit lernt man, seine Ohren auf Durchzug zu schalten. "Lass die Leute reden, und hör ihnen nicht zu …", singen dann Die Ärzte im Kopf. Danke dafür! Und an alle, die kein gutes Haar am Radsport im Allgemeinen und an der Großen Schleife durch Frankreich im Besonderen lassen: Klappe halten! Zuschauen!

Jan Ullrich feiert 1997 den ersten und bisher einzigen Gesamtsieg eines Deutschen bei der Tour de France.

Jan Ullrich feiert 1997 den ersten und bisher einzigen Gesamtsieg eines Deutschen bei der Tour de France.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Tour findet in diesem Jahr zum 100. Mal statt. 100 Austragungen bedeuten tausende Momente, die sich wiederum in Millionen und Abermillionen Gedächtnissen eingebrannt haben. Wie etwa der, als sich Jan Ullrich als erster Deutscher 1997 den Sieg bei der Frankreich-Rundfahrt sichert und wie er in Paris auf dem Podium in die Kameras der Fotografen und Fernsehstationen lächelt. Müde nach 3944 Kilometern voller Strapazen und überglücklich, das Gelbe Siegertrikot übergestreift zu bekommen. Auf der 10. Etappe nach Arcalis in Andorra hatte er es sich geholt, den Mitkonkurrenten Marco Pantani und Richard Virenque ein Schnippchen geschlagen. Danach gab "Ulle" es nicht wieder her.

Die Erinnerungen daran sind etwas verschwommen. Der Zahn der Zeit nagt an den Bildern. Aber die Tour 1997 war die erste, die ich gebannt als Fan verfolgt habe. Davor gab es einige Sprintduelle zwischen Olaf Ludwig, dem früheren Friedensfahrt-Helden, und Dschamolidin Abduschaparow, seinem größtem Widersacher - bekannt für seinen weit ausladenden Fahrstil.

Richard Virenque: einer der gefallenen Stars der Tour de France

Richard Virenque: einer der gefallenen Stars der Tour de France

(Foto: L'EQUIPE)

Seitdem sind unzählige weitere Erinnerungen an die Tour bei mir hinzugekommen: Da wäre etwa Ullrichs Einbruch auf der Etappe von Grenoble nach Les Deux Alpes ein Jahr später. Als er als Führender nach einer Reifenpanne den unwiderstehlich kämpferischen Pantani ziehen lassen muss. Ullrichs vom Wind und peitschenden Regen weit aufgerissene und verquollene Augen, sein Gesicht gezeichnet von einem Hungerast. Ein Bild, das man nicht vergisst. Ebenso wenig wie das, des auf der Straße sitzenden Pelotons im gleichen Jahr. Aus Protest haben die Fahrer auf dem Asphalt Platz genommen. Es ist ein Kräftemessen zwischen Tour-Teilnehmern und Dopingfahndern, ausgelöst durch die Festnahme eines Pflegers des Teams Festina. Der hatte hunderte Ampullen mit Dopingsubstanzen bei sich, darunter auch Epo. Der Star des Teams, Virenque, muss sogar in Untersuchungshaft.

Aber die Tour geht weiter. Sie hat noch jeden Skandal überlebt. Die Fans sind der Frankreich-Rundfahrt treu geblieben. Nur die Trittbrettfahrer, die sich zu Hochzeiten der Tour in den Erfolgen der Stars gesonnt haben, sind gegangen: Die ARD steigt etwa aus der Live-Berichterstattung aus, obwohl sie zuvor mehrere Jahre einer von vielen Sponsoren des Teams Telekom gewesen ist. Der Politiker Rudolf Scharping fährt damals im Telekom-Tross mit, lässt sich mit Stars wie Ullrich fotografieren. Als Doping-Gerüchte aufkommen, kritisiert der heutige Vorsitzende des Bundes Deutscher Radfahrer Ullrich und die anderen Fahrer des Teams. Ein zweischneidiges Schwert. Aber das war schon immer so.

Helden in Strumpfhosen: So sahen die Fahrer zu den Anfängen der Tour-Historie aus.

Helden in Strumpfhosen: So sahen die Fahrer zu den Anfängen der Tour-Historie aus.

(Foto: L'Eqipue/Delius Klasing: Tour de France, 100 Rennen-100 Momente)

Zu den Anfängen der Tour beschimpfen die Fahrer die Rundfahrtleitung als "Mörder". Es geht über zum Teil unbefestigte Berggipfel, eingeschneit. Die Räder haben nur einen Gang. Mechaniker gibt es noch nicht. 1913 muss Eugène Christophe etwa nach einem Gabelbruch in der Abfahrt vom Col du Tourmalet in den Pyrenäen sein Fahrrad selbst reparieren. Er schafft das in einer nahe gelegenen Schmiede. Die Etappenführung, die er innehatte, ist aber Geschichte. Sein Name ist auch noch 100 Jahre später in aller Munde.

"Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente" ist bei Delius-Klasing erschienen.

"Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente" ist bei Delius-Klasing erschienen.

(Foto: Delius-Klasing)

Und nicht nur seiner. Die Tour macht Sportler zu Helden. Tragische, wie etwa der am Anstieg auf den Mont Ventoux an einem Dopingcocktail gestorbene Brite Tom Simpson; oder auch Laurent Fignon. Der Franzose gewann zwar zwei Mal die Tour, in Erinnerung bleibt er aber vor allem deshalb, weil 1989 nach fast 3300 Kilometern mit acht Sekunden Rückstand auf den Sieger Greg LeMond in Paris ankommt. Oder aber solche wie Cadel Evans. Still und ohne Anflug von Starallüren gewinnt der Späteinsteiger und ehemalige Mountainbiker 2011 die Tour - und ein ganzer Kontinent fiebert mit ihm. Australien erlebt einen weiteren Radsport-Boom. Einen Boom, den es nach dem Tour-Sieg von Ullrich auch in Deutschland gab. Diese Zeit ist leider vorbei. Es bleiben nur Erinnerungen - bis der nächste Boom einsetzt. Vielleicht mit einer neuen Generation von Radprofis wie den beiden Thüringern John Degenkolb und Marcel Kittel. Letzterer gewinnt die 1. Etappe der 100. Tour de France und fährt schon einmal in Gelb. Das ist schon einmal ein Anfang.

Ein Wort: Wow!

Bis man aber wirklich wieder von einem Radsport-Boom in Deutschland sprechen kann, ist es noch ein langer und steiniger Weg - bis dahin sollte man in Erinnerungen schwelgen. Genau dafür ist das bei Delius-Klasing erschienene opulente Buch  "Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente" genau richtig. In Zusammenarbeit mit der größten französischen Sporttageszeitung "L’Equipe" entstanden, verbindet es zahlreiche Anekdoten aus den verschiedenen Jahren der Rundfahrt mit wunderschönen Schwarz-Weiß- und Farbbildern zu einmaligen Momentaufnahmen.

Die zum Teil wortgewaltigen Essays der „L’Equipe“-Redakteure beleuchten die Anfänge der Rundfahrt, reichen bis in die Gegenwart und drehen sich um Intrigen, mythische Gipfel, Wasserträger bittere Niederlagen sowie große Triumphe. Gespickt sind die wunderbar geschriebenen Texte mit jeder Menge Wissenswertem rund um das nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaft drittgrößte Sportereignis der Welt - das einzige übrigens, das jährlich stattfindet, drei Wochen dauert und keinen Eintritt kostet. Wie kam es zur Einführung des Gelben Trikots? Seit wann gibt es Prologe? Wann war der erste Abstecher der Tour über die Staatsgrenzen Frankreichs hinaus? Wieso war die Tour noch nicht in Australien?

"Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente" ist mehr als ein offizielles Jubiläumsbuch. Es ist ein Nachschlagewerk und ein Pageturner in einem. Es verbindet Geschichte und Gegenwart. Es ist sowohl Fanzine als auch Bildband. Es ist ein Epos über die Tour de France, ein Muss für alle Radsport-Liebhaber - und auch für übereifrige Kollegen!

"Tour de France: 100 Rennen, 100 Momente" bei Amazon bestellen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen